Minneapolis. Patrick „Coach“ Esume ist der bekannteste deutsche Football-Experte. Ein Interview über den Super Bowl, seine Rolle im TV und seine Zukunft.
In den USA ist Super-Bowl-Zeit, in der Nacht von Sonntag auf Montag treffen die New England Patriots auf die Philadelphia Eagles (0.30 Uhr, live bei ProSieben). Mittendrin bewegt sich der American-Football-Experte und Buch-Autor Patrick Esume, der von seinen Fans „Coach“ genannt wird. Wir haben uns mit Esume in Minneapolis getroffen.
Im Jahr 2017 waren Sie beim Super Bowl in Houston - das war Ihr erster als TV-Experte. Was ist 2018 in Minneapolis anders?
Patrick Esume: Auf jeden Fall das Wetter. Vor einem Jahr war es warm, da hast du mehr auf der Straße miterlebt. Aber ansonsten: gleicher Zirkus. Das macht genauso viel Spaß.
War denn die spektakuläre Opening Night am Montag für Sie in diesem Jahr angenehmer, weil sie wussten, was auf Sie wartet?
Esume: Auf jeden Fall. Wenn man das noch nie gemacht hat, so wie ich vor einem Jahr, ist die Anzahl der Pressevertreter und der Spieler erschlagend.
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Sie hatten bei ProSieben einen Neustart. Moderator Frank Buschmann war in dieser Saison nicht mehr dabei, zudem hatten Sie mit „Coach’s Corner“ eine eigene Sendung. War das etwas ganz Neues?
Esume: Es war ein Geschenk, zwei Jahre gemeinsam mit Frank Buschmann gearbeitet zu haben und an seiner Seite zu lernen. In diesem Jahr war ich dann gefragt als Kommentator UND Moderator. Das ist nicht einfach, weil ich Football-Trainer bin und mich als Experte dann zurückhalten muss. Am Ende des Tages rede ich aber über das, was meine Leidenschaft ist. Und was wir hier in Minneapolis machen, ist der krönende Abschluss.
Über 290.000 Fans folgen Ihnen bei YouTube, Twitter und Facebook. Der Ex-Fußballer Christoph Metzelder hat mir gesagt: Der Erfolg der Sportart Football in Deutschland hat viel mit dem Coach zu tun.
Esume: Das ehrt mich sehr, wenn Christoph das sagt. Der versteht das Sport-Business. Ich fühle mich aber nicht als das Gesicht der Sportart. Das wäre vermessen. Es haben so viele Trainer und Spieler unseren Sport in den letzten 25 Jahren geprägt, die aber nie die Chance hatten, so vor die Kamera zu treten wie ich.
Warum die Patriots die Eagles nicht unterschätzen werden
Kommen wir zum Super Bowl: Die Patriots und die Eagles haben ihre Conferences dominiert, trotzdem gehen die Eagles als Außenseiter ins Spiel. Besteht die Gefahr, dass die Patriots die Eagles unterschätzen?
Esume: Nein, weil sie wissen, wie gut die Defense der Eagles und vor allem, wie variabel der Angriff ist. Die Eagles können den Ball sehr effizient laufen und sie haben mit Nick Foles einen Quarterback, der bewiesen hat, warum er 2013 im Pro Bowl war. Der Mann macht keine Fehler. Ich würde schon sagen, dass die Patriots der Favorit sind, weil sie Super-Bowl-Erfahrung haben. Aber ich bin der Meinung, dass es ein Spiel auf Augenhöhe wird.
Ihr ProSieben-Kollege Roman Motzkus hat zu mir vor den Play-offs gesagt, die Eagles hätten „viele durchschnittliche Spieler, die über ihrem Level gespielt haben“.
Esume: Ich habe da eine andere Meinung. Die Offensive Line der Eagles ist erste Klasse. Wenn du so viele Schlüsselspieler verlierst wie die Eagles in diesem Jahr und trotzdem noch die Nummer 1 in deiner Conference bist, dann bist du kein Zufallsteam. Wer nach 16 Spielen mit 13:3 dasteht, hat gute Spieler, eine erstklassige Chemie und erstklassiges Coaching. Mit Nick Foles haben sie den besten Back-up-Quarterback der NFL. LeGarette Blount, Jay Ajayi, Superstar Fletcher Cox, Alshon Jeffery, Vinny Curry - das sind große Namen, nicht irgendwelche Heinis.
Sie haben Nick Foles angesprochen. Er war zwar 2013 im Pro Bowl, danach hatte seine Karriere aber nur noch Tiefpunkte.
Esume: Manchmal läuft die Karriere eben nicht so, wie man es plant. Ein Jahr ist man ein Superstar, ein Pro-Bowler. Im nächsten Jahr läuft es aber nicht, weil die Chemie nicht stimmt, die Spieler um dich herum nicht funktionieren. Das Play-Calling ist vielleicht schlechter als im Jahr davor. Und als Quarterback bist du immer der, der es ausbaden muss. Läuft es, bist du der Superstar, läuft es nicht, bist du der erste, der vor der Presse den Kopf verliert. Dann bist du schnell Back-up. Foles ist für mich keine Überraschung. Was er 2013 abgeliefert hat, war schon großes Kino.
Was sind die Schlüssel zum Super-Bowl-Sieg für die Eagles?
Esume: Offensiv müssen sie das replizieren, was die Jacksonville Jaguars im Conference Finale vor zwei Wochen in der ersten Halbzeit gemacht haben. Sie müssen den Ball und die Zeit kontrollieren. Die Jaguars hatten viel mehr Ballbesitz, Tom Brady war kaum auf dem Feld. Deshalb wird das Laufspiel der Eagles mit Ajayi und Blount wichtig sein. Die Defensive wird das Laufspiel der Patriots stoppen. Die Achillesferse könnten die jungen Cornerbacks Ronald Darby und Jalen Mills sein. Die sind unerfahren. Wenn die gut spielen, haben die Eagles eine Chance. Wenn nicht, wird Brady sie auseinanderschrauben.
Für Esume ist Quarterback Brady wichtiger als Trainer Belichick
Ist es für die Patriots überhaupt wichtig, dass Tight End Rob Gronkowski rechtzeitig fit wird?
Esume: Auf jeden Fall spielt das eine Rolle. Wenn „Gronk“ spielt, dann musst du ihm Aufmerksamkeit schenken. In der Red Zone musst du den Knaben doppeln. Ich habe in der Pressekonferenz mit Eagles-Safety Rodney McLeod gesprochen, habe ihn gefragt: Was ist in der Red Zone Euer Plan? Er hat gesagt: Ja, wir müssen „Gronk“ in der Red Zone doppeln. Das bedeutet aber auch, dass dann die Receiver Chris Hogan, Brandin Cooks und Danny Amendola Eins-gegen-eins stehen. Insofern ist es wichtig, wenn er auf dem Feld ist, auch wenn er nicht seinen besten Tag hat.
Endet die Patriots-Ära mit Headcoach Bill Belichick und Tom Brady bald? In den USA war von Zerwürfnissen die Rede. Gab es die?
Esume: Da war definitiv was. Der Wechsel von Back-up-Quarterback Jimmy Garoppolo zu den San Francisco 49ers hat für Unruhe und Missstimmung zwischen Klubbesitzer Robert Kraft und Belichick gesorgt. Die waren da nicht einer Meinung. Als Trainer kann ich Belichick verstehen: Klar ist es schön, Tom Brady zu haben. Aber der ist 40. Der reißt sich bei einem Snap das Kreuzband oder bricht sich irgendwas - dann ist die Karriere zu Ende. Du willst dann natürlich einen Typen wie Garoppolo haben, der potenziell das Erbe hätte übernehmen können wie damals Steve Young bei den 49ers von Joe Montana. Oder wie Aaron Rodgers bei den Green Bay Packers von Brett Favre. Nach einem Hall-of-Fame-Quarterback wieder den nächsten Hall-of-Famer zu haben - das ist schwer. Deshalb: Garoppolo lässt kein Trainer gern gehen. Doch Kraft ist mit Brady sehr eng und der will keine Götter neben sich haben. Das hat Belichick sicher nicht gefallen.
Endet die Patriots-Dominanz, wenn Brady oder Belichick aufhören?
Esume: Belichick ist ein erstklassiger Coach, aber Tom Brady macht Belichick und nicht Belichick macht Brady. Als Trainer sage ich immer: Gute Spieler machen gute Coaches. Wir Trainer helfen den Spielern, aber ein Spieler mit der Größe von Brady - der macht das Leben von Belichick einfacher. Wenn Brady aufhört, ist eine Ära vorbei - nicht wenn Belichick aufhört.
Es gab nicht nur sportliche Diskussionen in dieser NFL-Saison. Die TV-Quoten in den USA gingen zurück, es wurde oft über schwere Kopf-Verletzungen geredet, es gab Anti-Rassismus-Proteste, initiiert von Ex-49ers-Quaterback Colin Kaepernick. Halten sich diese Diskussionen?
Esume: Ja, es ist vielleicht eine kleine Krise. Aber das sind sind alles „Zeit-Themen“, die vergehen. Die Kaepernick-Proteste kannst du auf den ganzen Globus projizieren: Ignoranz, Toleranz, Ungleichheit. Was ist bei uns mit der AfD? Wenn dann der Präsident involviert ist, wie hier Trump, wird das zum Riesending. Auch die schweren Verletzungen wurden zurecht hochgepusht. Aber das sind erwachsene Männer, die sich für diesen Sport entschieden haben. Ich glaube, dass Football der Nummer-1-Sport in Amerika bleiben wird. Der Football gibt eine Menge zurück an die Gesellschaft. Ja, die TV-Quoten sind gesunken - dafür ist das Online-Angebot gestiegen.
Warum Esume nicht an einen Vereinsjob denkt
Sie haben in Ihrem Buch geschrieben, der aktuelle Football-Boom in Deutschland könnte wieder zu deutschen NFL-Spielern führen.
Esume: Mittel- oder langfristig auf jeden Fall. Über Nacht passiert das nicht. Es entstehen gerade Vereine an unmöglichen Orten, ganz viele Kids fangen an, Football zu spielen. Die sind jetzt zehn, zwölf Jahre alt. Wenn wir die Zeit zehn Jahre vorspulen, dann sind die 22, können zum NFL-Draft. Dann werden welche dabei sein, die am College spielen und gedraftet werden.
Wann findet ein NFL-Spiel in Deutschland statt?
Esume: Ich habe mich darüber mit Albert Breer von ESPN unterhalten, der tief in diesem Thema steckt. Er sagte zurecht, dass es für die NFL erst einmal maßgeblich ist, sich in London zu etablieren. Die Verbindung zwischen England und Amerika ist ganz anders als zwischen Deutschland und Amerika. Der TV-Markt in England ist auch anders. Breer glaubt aber auch, dass es eine Blaupause gibt, wenn London einmal etabliert ist. Dann kann die NFL auch nach Deutschland kommen. Ich glaube schon, dass Deutschland ein interessanter Markt ist.
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Sie haben in Ihrem Buch geschrieben, dass eine Rückkehr zu einem Verein als Headcoach nicht infrage kommt. Bleibt es dabei?
Esume: Ich habe für mich entschieden: So wie es jetzt ist, helfe ich dem Sport und mir am meisten. Ich sitze im Fernsehen und versuche, meine Leidenschaft und meine Begeisterung für den Sport rüberzubringen. Als Headcoach der französischen Nationalmannschaft bin ich immer noch auf höchstem europäischen Level involviert. In Hamburg fühle ich mich auch wohl. Das ist für mich das Idealszenario.
Was spricht genau gegen einen Vereinsjob?
Esume: Momentan sehe ich das für mich nicht. In Europa ist es Amateursport. Ich bin abhängig von Amateurspielern und Amateurmanagement. Das kann man machen, wenn man jung ist oder finanziell unabhängig. Ansonsten ist das ein risikobehafteter Job. Ich habe einen alten Freund getroffen, der Koordinator in der Canadian Football League ist. Der hat mich gefragt, ob ich ihn im Mai unterstützen kann. Vielleicht mache ich sowas, vier oder sechs Wochen Trainingscamp in der CFL oder der NFL. Damit bleibe ich am Puls der Zeit.