Haltern. . Vor dem Super Bowl spricht Ex-BVB- und Schalke-Profi Christoph Metzelder über die Faszination American Football.

So richtig verliebte sich Christoph Metzelder am 18. Januar 2015 in die Sportart American Football. In der Nacht konnte der 37-Jährige nicht schlafen, schaltete den Fernseher ein und sah, wie in der Profiliga NFL die Seattle Seahawks die Green Bay Packers besiegten. Auch in der Nacht zu Montag (0.30 Uhr/Pro 7) sitzt der Fußball-Vizeweltmeister von 2002 vor dem TV-Gerät, wenn sich die New England Patriots und die Philadelphia Eagles im Super Bowl gegenüberstehen. Aus gutem Grund: Er will sehen, was der Fußball von der NFL lernen kann.

Herr Metzelder, stellen wir uns vor, in Deutschland gäbe es wie beim Super Bowl ein Endspiel um die Deutsche Fußball-Meisterschaft.

Metzelder: Es ist ja nicht so, als würde man was völlig Neues erfinden. Es gab vor der Einführung der Bundesliga Endspiele um die Deutsche Meisterschaft – in Belgien gibt es solche Play-offs. Aber wenn man sich den Rahmenterminkalender anschaut: Im Fußball kriegt man das nicht mehr unter.

Finden Sie die Entwicklung im europäischen Fußball gefährlich?

Metzelder: Wir sollten nicht unterschätzen, was gerade passiert. Ich würde mich da weniger auf die Ablösesummen konzentrieren. Am Ende ist das Transfersystem eine wesentliche Möglichkeit, dass die kleinen Vereine eine Refinanzierung für die Ausbildung von Spielern bekommen. Die Gehälter gehen aber in Bereiche, die immer schwerer zu vermitteln sind. Die Auswirkungen auf junge Menschen und ihr Umfeld, das macht mir Sorgen.

In der NFL gibt es eine Deckelung der Gehälter, den Salary Cap. Das Maximum pro Team beträgt momentan etwa 136 Millionen Euro. Was halten Sie davon?

Metzelder: Der Salary Cap ist eine Möglichkeit, für mehr Wettbewerb zu sorgen, mit mehr oder weniger gleichen Ausgangschancen. Im europäischen Vereinsfußball haben viele Fans die Sorge, dass der Wettbewerb immer mehr ausgehöhlt wird. Das zeigen Vorrunden-Ergebnisse in der Champions League – 5:0, 6:0, 7:0, 8:0.

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Im Internet können US-Fans genau verfolgen, dass Tom Brady 41 Millionen Dollar verdient. Wie hätten Sie das zu Ihrer Zeit gefunden?

Metzelder: Das hätte ich nicht gut gefunden. Denn hier gibt es einen anderen Umgang damit. In den USA oder auch in einigen südeuropäischen Ländern definieren Fans ein Stück weit ihre Spieler über die Höhe der Summen. Die Hysterie in Paris über die Neymar-Ablösesumme habe ich nicht wahrgenommen.

Auch der Draft soll die NFL ausgeglichener machen. Das schlechteste Team des Vorjahres sucht sich den besten Jugendspieler aus. Ist dieses Modell übertragbar?

Metzelder: Warum sollte Borussia Dortmund so viel Aufwand in der Jugendarbeit betreiben, wenn aus der U19, die Deutscher Meister wird, der beste Spieler zum SV Darmstadt 98 geht? Wir haben zwei unterschiedliche Sportsysteme. In den USA gibt es die starke Verknüpfung von Schule und Sport. Beende ich meine schulische oder akademische Ausbildung, werde ich entweder Profi- oder Freizeitsportler. Dazwischen gibt es eigentlich nichts. Hier in Deutschland gibt es eine Vereinsstruktur, mit Auf- und Abstieg, mit Ligen. Man stelle sich vor, man würde sich in Deutschland auf 18 Erstligisten einigen, die nicht absteigen können...

Das ist also utopisch?

Metzelder: Undenkbar.

Mehr Gerechtigkeit bringt der NFL seit vielen Jahren der Videobeweis. Was kann die DFL von den amerikanischen Kollegen lernen?

Metzelder: Dass die Trainer die Möglichkeit einer bestimmten Anzahl von Einsprüchen pro Halbzeit bekommen – wie die Challenges in der NFL, wenn die Trainer zweimal pro Halbzeit rote Flaggen werfen können. Dann wird daraus ein taktisches Mittel und kommt dem Sport mit all seinen Facetten näher.

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Der Super Bowl hat riesigen Event-Charakter. Hier ist Helene Fischer beim Pokalfinale durchgefallen…

Metzelder: Wir haben eine andere Herangehensweise. Es gibt eine starke Beziehung von Fans und Mitgliedern zum Verein mit allen Vor- und Nachteilen. Deswegen ist ein Event-Charakter nicht gern gesehen. Doch wenn wir in die Zukunft blicken, müssen wir den Blick von uns lösen und auf unsere Kinder schauen. Die haben jetzt schon eine größere Beziehung zu Stars als zu Vereinen. Sie sind digital und wollen unterhalten werden. Der Sport ist im Spitzenbereich Unterhaltungsindustrie.

Die NFL setzt viel mehr auf Charity-Aktionen als die DFL. Vorbildlich?

Metzelder: Wie die NFL das Thema entdeckt hat und lebt, wie sie es den Spielern vorgibt, aber dann auch öffentlich honoriert – das ist schon sehr stringent. Soziales Engagement muss aber aus einem selbst kommen, nur dann ist es glaubwürdig und macht Spaß. Ich mache das sehr gern, kann aber verstehen, dass ein 20-Jähriger andere Dinge im Kopf hat, als eine Stiftung aufzubauen.

Mit ihrer Werbeagentur Jung von Matt/Sports haben Sie als Berater von Hertha BSC Anti-Rassismus-Proteste aus der NFL hierher geholt. Die Hertha-Spieler haben wie NFL-Profis vor dem Spiel gekniet. Dafür gab es nicht nur Lob.

Metzelder: Wir wollten das Momentum aufgreifen, um das Thema nach Deutschland zu bringen. Denn es ist auch ein deutsches Thema. Der Sport ist politisch wichtig, da er für gesellschaftliche Werte einsteht.

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Bisher werden nur wenige Vereine mit politischen Botschaften in Verbindung gebracht – nicht Hertha.

Metzelder: Das war einer der Kritikpunkte der Aktion – jahrelang habt ihr nichts gemacht, jetzt fangt ihr an. Irgendwann gibt es aber den Punkt, an dem man beginnt, die gesellschaftliche Kraft des Fußballs zu verstehen. Vereinen wie Union Berlin oder dem FC St. Pauli nimmt man das eher ab, weil sie sich als Stadtteilklubs sozialpolitisch und kulturell um die lokalen Themen gekümmert haben. Ich habe bei Schalke und Dortmund gespielt. Diese Vereine hängen nicht im luftleeren Raum, sondern im Ruhrgebiet, einer Region, die vom Strukturwandel betroffen ist. Viele Menschen haben ihre Arbeitsplätze und auch Perspektive verloren. Da habe ich als Verein und als Spieler einen gesellschaftlichen Auftrag.

Bleibt am Ende die Frage aller Fragen: Patriots oder Eagles?

Metzelder: Die Patriots haben die größere Erfahrung und den Glauben, dass Tom Brady auch im vierten Quarter alles drehen kann.