Düsseldorf. Im Interview verrät IOC-Präsident Thomas Bach, wie die Spiele der Zukunft aussehen müssen - und wie eine Bewerbung wachsen sollte.

Thomas Bach (63), geboren in Würzburg, ist Präsident des Internationalen Olympischen Komitess (IOC) in Lausanne und damit mächtigster Sportfunktionär der Welt. Das IOC entscheidet, wer Olympische Spiele austragen darf. Als der Fecht-Olympiasieger von 1976 die Tischtennis-WM in Düsseldorf besuchte, wollte er Fragen zur Olympia-Chance der Region Rhein-Ruhr nicht direkt beantworten. Sympathie für NRW-Spiele hat er im Interview nicht verborgen. Die Fragen stellten Pit Gottschalk und Kirsten Simon.

Wie gut kennen Sie Michael Mronz?

Thomas Bach: Ganz gut. Wir sind uns schon vor Jahren begegnet. Immer wieder gab es Berührungspunkte. Sowohl in seiner Funktion als Sport-Manager als auch als Ehepartner von Guido Westerwelle.

Haben Sie auch schon den CHIO in Aachen besucht, den er vermarktet?

Thomas Bach (r.) im Gespräch mit Kirsten Simon und Pit Gottschalk.
Thomas Bach (r.) im Gespräch mit Kirsten Simon und Pit Gottschalk. © fs

Bach: Die letzten paar Jahre nicht mehr. Aber ich kenne das Turnier gut und mag es. Wenn ich an Aachen denke, denke ich an die obligatorischen weißen Taschentücher, mit denen beim Abschied der Nationen gewunken wird. Die Atmosphäre ist einmalig, da wird der Reitsport emotional gelebt.

Schauen Sie sich als IOC-Präsident auch beim Fußball in Dortmund oder Schalke um? Dort ist die Atmosphäre ebenfalls sehr gut. . .

Bach: Ich kenne natürlich das Dortmunder Stadion vom BVB und von der Fußball-WM 2006. Ich habe gute Erinnerungen.

Gerade sind Sie in der Tischtennis-Hochburg Düsseldorf zu Gast. Welchen Eindruck gewinnen Sie von der Region Rhein-Ruhr?

Bach: Die Sportbegeisterung hier ist nicht neu für mich. Ich habe schon zu meiner Zeit als Athlet mitbekommen, dass in Nordrhein-Westfalen das Herz des deutschen Sports besonders laut schlägt. Hier lehnen sich die Zuschauer nicht zurück, sie sind mit Emotionen, Engagement und Herzblut bei der Sache. Vielleicht gibt es deswegen auch die enge Fanfreundschaft zwischen Schalke 04 und dem Club (in Nürnberg), der meiner Heimat noch etwas näher ist.

Wie dankbar sind Sie nach den Erfahrungen von Hamburg und München, wo sich die Bevölkerung zuletzt gegen Olympische Spiele ausgesprochen hat, dass Michael Mronz eine neue Olympia-Initiative an Rhein und Ruhr angestoßen hat?

Bach: Ich schaue mit Sympathie auf alle Initiativen, die es sich zum Ziel machen, Olympische Spiele nach Deutschland zu holen. Daraus habe ich niemals einen Hehl gemacht. Aber ich muss die Zuständigkeiten einhalten, andernfalls würde mir der Deutsche Olympische Sportbund zu Recht grausam auf die Füße treten. Ich hätte mir zu meiner Zeit als DOSB-Präsident auch nicht gewünscht, dass der IOC-Präsident zu Besuch ins Land kommt und vorgibt, wo es langgeht. So eine Bewerbung muss wachsen. Mit der Bevölkerung, mit der Sportbewegung. Die können Sie nicht überstülpen.

Halten Sie es grundsätzlich für möglich, dass Olympische Spiele eines Tages an eine Region und nicht an eine einzelne Stadt vergeben werden?

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Bach: Ja, aber. Entscheidend ist, den viel zitierten olympischen Geist greifbar und fühlbar zu machen. Die olympische Idee wird vor allem im olympischen Dorf gelebt und dann von den Athleten nach außen getragen. Das ist in dieser von Krisen befallenen, fragilen Welt wichtiger denn je. Bei uns treten Athleten aus 206 Nationalen Olympischen Komitees im härtesten Wettkampf ihres Lebens an, aber gleichzeitig wohnen sie zusammen unter einem Dach im Olympischen Dorf, gehen zusammen essen, unterhalten sich und feiern gemeinsam. Diese Seele muss erhalten bleiben. Das ist die eine Sache. Die andere ist, dass wir mit der olympischen Agenda 2020 Bedenken in Bezug auf Nachhaltigkeit Rechnung tragen. Wenn man sich nur auf eine einzelne Stadt konzentriert, kann dieses dazu führen, dass es für neue Sportstätten oder Infrastrukturmaßnahmen keine nachhaltige Nutzung gibt. Deshalb muss man sich jeweils die Situation anschauen.

Die Olympischen Spiele wurden zuletzt immer größer, teurer, aufwändiger. Ist man am Limit angekommen?

Bach: Das erste Bewerbungsverfahren, das nach den Regeln der neuen Agenda läuft, ist das für 2024. Da sehen Sie, dass die beiden Bewerberstädte Los Angeles und Paris eine Rekordzahl an bestehenden und temporären Sportstätten nutzen wollen. Das haben wir in dieser Dimension vorher nicht erlebt und hat erheblich Kostensenkungen zur Folge.

Nach der Ablehnung in Deutschland – sind Olympische Spiele überhaupt noch zeitgemäß?

Bach: Das orientiert sich nicht an Deutschland allein. Weltweit stellen wir fest, dass das Interesse größer ist denn je. Die Hälfte der Weltbevölkerung hat die Spiele in Rio verfolgt und damit die Botschaft unterstützt, dass man sich in einer Welt voller Misstrauen und Feindschaft nicht den Kräften unterwerfen sollte, die alles auseinandertreiben. Insofern sind die Spiele mehr als zeitgemäß. Auf der anderen Seite müssen wir uns den Herausforderungen stellen, die mit diesem Zeitgeist einhergehen. Ich denke zunächst an die Veränderungen bei Entscheidungen. Da passiert vor allem in der westlichen Welt vieles nach einer reinen Gefühlslage. Diese neue Herangehensweise kann mit Skepsis nicht ausreichend beschrieben werden, es geht um Misstrauen.

Was tun Sie dafür, Vertrauen zurückzugewinnen?

Bach: Wenn wir auf das Bewerbungsverfahren schauen, haben wir zwar keinen Anlass für Misstrauen, aber durchaus für Skepsis gegeben. Das Verfahren ist zu teuer und zu perfektionistisch. In vielen westlichen Ländern funktioniert es so nicht mehr. Also müssen wir etwas ändern. Unsere vier Vizepräsidenten werden jetzt Vorschläge unterbreiten, wie wir individueller werden können, um uns besser auf potenzielle Kandidaten einzustellen. Es geht auch darum, Kosten zu senken.

Wird das IOC auch auf mögliche Kandidaten zugehen und ihnen Mut machen, sich um Olympische Spiele zu bewerben?

Bach: Wenn wir von Überlegungen erfahren, sei es in einer Stadt, in einer Region oder bei einem Nnationalen Olympischen Komitee, wäre ein solcher Schritt nach meiner Vorstellung ein sehr geeignetes Instrument. Beginnt der Dialog früh, lässt sich vieles gemeinsam entwickeln. Die Städte könnten von unserem Know-how profitieren und müssten nicht ein Heer von Beratern voranstellen, was erfahrungsgemäß zu immer größeren Projekten führt.

Wie sehen denn Ihre Modernisierungspläne aus, wenn es um das Programm geht? Einige Traditionalisten sind ja bereits aufgeschreckt.

Bach: Wir werden nie eine Lösung finden können, über die alle jubeln. Insgesamt empfinde ich das Programm aber als eine gelungene Mischung aus Tradition und Fortschritt. Dem Fortschritt geben wir in Tokio 2020 viel Raum: Mit Skateboarding, Surfen oder Klettern setzen wir neue Akzente. . .

. . . und hoffen offensichtlich, über die Trendsportarten gerade junge Menschen zu erreichen.

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Bach: Die Programmreform für Tokio hat drei Ziele: Mehr Jugendlichkeit, mehr Weiblichkeit und der Urbanisierung des Sports Rechnung zu tragen. Wir können nicht mehr darauf warten, dass die Jugendlichen zu uns kommen. Früher ist niemand am Sport vorbeigekommen. Sei es durch Freunde, durch die Familie oder die Schule – irgendwann war der Sport gegenwärtig. Das ist heute anders. Also müssen wir dorthin gehen, wo die Jugendlichen sind. In die urbanen Zentren. Deshalb sind in Tokio Klettern und Skateboarding im Stadtzentrum geplant.

Verstehen sich nicht gerade Skateboarder oder Surfer gerne als Freigeister, die keinesfalls in Strukturen gepresst werden möchten?

Bach: Wir haben viele Gespräche mit Vertreten der Skateboarder und der Surfer geführt. Beide verfolgen eine ähnliche Lebenseinstellung und haben vielleicht die Sorge, dass sie bei Olympia in Reihe und Glied antreten sollen. Wir müssen aufpassen, dass man ihre Freiräume nicht einschränkt. Aber am Ende wird sich das fügen. So war es auch bei den Snowboardern, die eine ähnliche Philosophie verfolgen.

Wird sich das Programm so weit öffnen, dass eines Tages auch der Wettkampf mit Computerspielen olympisch wird, der E-Sport?

Bach: Ein schwieriges Feld. Sie benötigen zunächst eine Organisation, die dahinter steht und sich um Regeln, um Fair Play und um den Anti-Doping-Kampf kümmert. Diese Organisation sehe ich noch nicht. Aber so etwas ließe sich regeln. Ein anderer Punkt ist komplizierter: Spiele, in denen auf Menschen geschossen wird, in denen Autos explodieren oder in denen es um Krieg geht, lassen sich nicht mit der olympischen Idee verbinden. Wenn beim E-Sport existierende Sportarten virtuell betrieben werden, kann das sehr interessant sein und sollte etwas sein, über das wir nachdenken sollten. Denn es kann ein Weg sein, um die Jugendlichen an den Sport im klassischen Sinn heranzubringen. Wenn das virtuelle Spiel einen Jugendlichen dazu ermuntert, am Abend mit den Freunden kicken zu gehen, dann ist alles gut. Dieser zweite Schritt sollte aber unbedingt schon beim ersten Schritt mitgedacht werden.

Haben Sie sich selbst schon einmal an E-Sport herangewagt?

Bach: Im vergangenen Jahr haben wir eine Tour durch das Silicon Valley gemacht. Wir sind dabei der Frage nachgegangen, ob es aus Sicht der IT- und High-Tech-Industrie in 25 Jahren überhaupt noch Sport geben wird. Dort hat auch E-Sport eine Rolle gespielt. Die Spezialisten haben uns ein Spiel vorgestellt, in dem die Zahl der explodierenden Autos Ausdruck des Erfolgs war. Als sie mir das für das olympische Programm vorgeschlagen haben, ist bei mir der Vorhang gefallen, muss ich gestehen.

Sie sind seit 2013 IOC-Präsident. . .

Bach: . . . richtig, es ist Halbzeit.

Sie sind schon seit Jahrzehnten im Spitzensport tätig, in unterschiedlichen Funktionen. Welches Erbe will man hinterlassen, wenn man etwas so sehr prägt?

Bach: Ich glaube, es ist ein bisschen früh und vielleicht nicht ganz fair, wenn man noch mitten im Geschehen steckt, schon ins Museum gestellt zu werden. Ich glaube, mit der Agenda 2020, mit der Reform des Programms, mit der Digitalisierung, mit der Gründung des Olympic Channel und mit dem olympischen Flüchtlingsteam oder mit unserer Zusammenarbeit mit den Vereinten Nationen in vielen Bereichen hat gezeigt, wohin wir wollen.

Warum wir fragen: Vor allem die vergangenen Monate waren geprägt von der Diskussion um Russland und sein Dopingsystem. Fürchten Sie, dass die viele Kritik, die Sie einstecken mussten, am Ende alle Reformen überstrahlen könnte?

Bach: Ich bekomme diese Diskussion in Deutschland natürlich mit und finde es einfach schade, dass wegen der Einseitigkeit mancher so vieles von dem anderen, was wir tun, überhaupt keine Berücksichtigung findet. Aber in anderen Ländern verhält es sich ganz anders, und das macht es verkraftbar. Die Kritik ist in Deutschland sicher am stärksten. Sie wird in meinem Heimatland von einigen auch mit dem Versuch der persönlichen Diskreditierung betrieben. Auf der anderen Seite erlebe ich es auch in Deutschland, wenn ich mal in der Heimat bin, dass die Leute freundlich auf mich zukommen. Ich habe noch keinen einzigen erlebt, der mir gesagt hätte: Was hast du denn da wieder gemacht? Im Ausland sieht man, wie unsere Reform-Programme ankommen und geschätzt werden. Ganz ehrlich: Wenn ich in Mosambik in das Hospital eines Sportzentrums komme, welches vom IOC unterstützt wird, mir ein kleiner Junge in den Arm gelegt wird, der zwölf Stunden vorher geboren worden ist, dann sind das emotionale Momente, die mir zu Herzen gehen. Da wird deutlich, was die olympische Idee bewirken kann.

Es sind keine neun Monate mehr bis zu den Winterspielen in Pyeongchang. Wird in Südkorea wieder mehr der Sport im Mittelpunkt stehen als weitere Dopingskandale?

Bach: Ich glaube, dass sich die Gemüter beruhigen. Man sieht schon, dass die Diskussion sachlicher geworden ist. Zwei Kommissionen sind damit beschäftigt, aufzuarbeiten, was bei den Winterspielen in Sotschi 2014 genau passiert ist. Von den Ergebnissen dieser Kommissionen hängen unsere Sanktionen ab.

Werden diese vor Pyeongchang umgesetzt?

Bach: Ich hoffe es. Mir wäre es am liebsten, dass es noch vor Beginn der Wintersportsaison geschieht, so dass vor den Qualifikationen für die Spiele Klarheit herrscht.

Müsste Ihre Stimme manchmal lauter sein, wenn es um so essenzielle Fragen wie russisches Staats-Doping geht?

Bach: Es ist sehr einfach, an solchen Punkten laut zu sein und Symbolpolitik zu betreiben. Aber davon bin ich kein Anhänger. Es geht auch um die Frage der langfristigen Betrachtung. Ich trage in meiner Funktion nicht nur für den Augenblick eine Verantwortung, sondern für viele Jahre. Insbesondere die Athleten, aber auch die Verbände und Regierungen müssen sich darauf verlassen können, dass wir unseren Prinzipien treu bleiben und nicht einer augenblicklichen politischen Zeitgeiststimmung nachgeben. Beim Thema Doping geht es um Gerechtigkeit und nicht um politische Symbolentscheidungen.