Kasan/Köln. Der deutschen Schwimmer können sich zum Auftakt der WM über zwei überraschende Medaillen freuen. Doch wichtig wird es erst Montag und Dienstag.

Henning Lambertz hat einen schönen Vergleich gefunden für die WM-Bühne der Freiwasserschwimmer. „Das ist wie bei einem Luftballon, wo durch das schmale Stück, wo man die Luft reinbläst, das Frischwasser einströmt“, beschreibt der Chefcoach der deutschen Schwimmer. „Und in der großen Blase ist dann der Rundkurs gesteckt.“ Das schmale Stück ist die Wolga, die große Blase ihr Nebenfluss Katanka, der in Kasan in den Kuibyschewer Stausee mündet. Und dort freute sich Lambertz nach dem dritten Platz von Finnia Wunram am Samstag wie auf einem Kindergeburtstag mit ganz vielen Luftballons.

„Das ist der fantastischste Einstieg, den ich seit Langem irgendwo sehen durfte“, genoss der leidgeprüfte Chefbundestrainer den unerwarteten Erfolg der 19-jährigen Magdeburgerin über fünf Kilometer. Wunram, 2,8 Sekunden langsamer als die amerikanische Weltmeisterin Haley Anderson, war angesichts ihrer Leistung ebenso perplex. „Damit hätte ich nie im Leben gerechnet. Eine Top-Ten-Platzierung wäre schon ein Hammer gewesen“, jubelte die Bronzemedaillengewinnerin.

Drei Stunden später hellten sich die Mienen von Lambertz und Freiwasser-Bundestrainer Stefan Lurz noch weiter auf: Wunrams Vereinskollege Rob Muffelfs holte Silber über fünf Kilometer – und hatte dabei gegenüber Sieger Chad Ho aus Südafrika nur wegen des schlechteren Anschlags das Nachsehen. Es waren zwei unverhoffte Leuchtraketen zum WM-Start, doch richtig unter Spannung stehen die Chefs der Freiwasser-Schwimmer erst am Montag und Dienstag.

Es geht um die Olympiatickets

Dann werden in Kasan über die zehn Kilometer die Eintrittskarten für die Olympia verteilt. „Das sind die mit Abstand wichtigsten Rennen“, betont Lurz. Die besten zehn Frauen und Männer haben ihr Ticket für Rio sicher, die übrigen jeweils 15 Plätze werden im nächsten Jahr vergeben. Die notwendige Top-Ten-Platzierung traut der Bundestrainer allen vier DSV-Startern – bei den Männern am Montag Christian Reichert und Andreas Waschburger, bei den Frauen tags darauf Isabelle Härle und Angela Maurer – zu. Wobei grundsätzlich gilt: „Wenn wir drei der vier möglichen Startplätze für Olympia schaffen, wäre das eine super Sache.“

Gar nicht super fanden es Deutschlands Dauerkrauler, als sie Anfang Mai beim Weltcup in Mexiko vom Rücktritt ihres zuverlässigen Gold-Lieferanten Thomas Lurz (35) erfuhren. „Thomas war für uns im Freiwasser einfach eine Leitfigur. Er hat immer den ganzen Druck auf sich geladen – das war für die anderen ganz gut. Da war einer, der alles aushalten musste, auch was die Medienarbeit anging“, trauert die Mainzerin Angela Maurer, die am Montag 40 wird, den vielen gemeinsamen Wettkampfjahren mit Lurz (zwölf WM-Titel, Silber und Bronze bei Olympia) hinterher.

Die größten Medaillenhoffnungen ruhen auf der Essenerin Isabelle Härle

„Ich denke, dass wir im Freiwasser erst einmal kleinere Brötchen backen müssen. Ziel muss sein, dass sich jetzt möglichst viele von uns für Olympia qualifizieren“, betont Maurer. Die größten Medaillenhoffnungen des DSV für Rio ruhen – Qualifikation vorausgesetzt – auf Isabelle Härle. „Sie nimmt die zehn Kilometer in Kasan sehr, sehr ernst“, weiß Schwimmer-Chef Lambertz. Deshalb verzichtete die Essenerin, im Vorjahr Europameisterin auf der kurzen Freiwasserstrecke, am Wochenende auch auf einen Start über die fünf Kilometer.

„Ich hoffe immer so ein bisschen auf Isabelle, weil die eine ganz tolle Grundgeschwindigkeit hat. Wenn sie noch ein Jahr mehr Erfahrung und das eine oder andere Rennen gewonnen hat, kann sie bei Olympia vielleicht vorne mitmischen“, glaubt Bundestrainer Stefan Lurz – dem nach dem Karriere-Ende seines Bruders aber prinzipiell klar ist: „Die Lücke, die er hinterlassen hat, ist schon enorm. Einen zwölffachen Weltmeister wird es im deutschen und im internationalen Freiwasserschwimmen in den nächsten zwei-, dreihundert Jahren wahrscheinlich nicht mehr geben. Das war einmalig und wird einmalig bleiben.“