Essen. . Isabelle Härle holt nach dem Umstieg vom Becken ins Freiwasser Welt- und Europameister-Titel. Bei der WM in Kasan will sich die Essenerin für Olympia 2016 in Rio qualifizieren.

Ohne Wecker geht bei Isabelle Härle nichts. Morgens um kurz vor Fünf beginnt der Arbeitstag für die 27-Jährige. Mit einem Frühstück, bei dem die Betonung auf der ersten Silbe liegt.

„Mehr als eine Kleinigkeit ist nicht drin. Um diese Zeit hat man noch keinen großen Hunger“, sagt die Essenerin, die bei der am Wochenende beginnenden Schwimm-Weltmeisterschaft im russischen Kasan als einzige Deutsche sowohl im Freiwasser als auch im Becken an den Start gehen wird.

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Um bei der WM in der Spitze mitzuhalten, gleitet die Welt- und Europameisterin im Freiwasser in der Vorbereitung schon um 5.30 Uhr durch das Wasser im Rüttenscheider Bad. Meter für Meter. Bahn für Bahn. Tag für Tag.

Kachelzählen in Rüttenscheid

In der ihnen eigenen Selbstironie sprechen Schwimmer vom Kachelzählen, um die Monotonie ihres sportlichen Tuns zu beschreiben. Isabelle Härle kennt jede Kachel im Rüttenscheider Bad. Notfalls könnte sie bei einem Riss dem Klempner Bescheid geben. 90 Kilometer schwimmt sie in der Woche, manches Auto hat weniger auf dem Tacho.

Auch wenn sie angesichts dieses gewaltigen Pensums noch keine Schwimmhäute zwischen den Fingern hat, muss sie sich von Zeit zu Zeit selbst überreden. „Klar, man steht nicht jeden Tag um fünf Uhr auf und sagt, Yuppidu, ich darf jetzt für zwei Stunden ins Wasser springen“, erzählt Härle. „Aber als Schwimmer wirst du mit solch einem Programm groß und ich weiß, dass meine Konkurrentinnen genauso hart trainieren.“

Top Ten für Olympia

Die Essenerin nimmt die ganze Fron für ihr großes Ziel auf sich. „Olympia 2016 in Rio de Janeiro – darauf ist bei mir alles ausgerichtet“, sagt sie. In Kasan will sie ihren Traum verwirklichen. Dafür muss sie im Rennen über zehn Kilometer unter die Top Ten kommen.

Die Aussichten sind bestens. Im Freiwasser ist Isabelle Härle, die bei der WM auch im Becken über 1500 Meter starten wird, zu einer Weltklasse-Athletin gereift, doch so richtig kann sie sich noch immer nicht damit anfreunden. „Das Freiwasserschwimmen ist nicht meine Liebe auf den ersten, aber auch nicht auf den zweiten Blick”, gibt sie zu.

Europameisterin über fünf Kilometer

Aber da sie mit der Liebe auf den dritten Blick so erfolgreich ist, hat sie ihr sportliches Leben darauf ausgerichtet. 2013 wurde sie Team-Weltmeisterin, 2014 Europameisterin über fünf Kilometer. Da diese Strecke nicht olympisch ist, hat sie ihr Training auf die zehn Kilometer ausgerichtet.

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Das Langstreckenschwimmen ist nichts für Weicheier. Im Freiwasser schwimmen schon mal Ratten und jede Menge Abfälle. Vom gebrauchten Tampon bis zum entsorgten Fahrrad. Am Anfang ihrer Freiwasser-Karriere musste sie ihren Ekel besiegen. „Wenn ich jetzt ins Wasser gehe, ist es mir völlig egal, ob der See in Kasan dreckig ist oder nicht. Ich denke nur an mein Rennen“, erklärt sie.

Während die Beckenschwimmer durch Leinen getrennt sind, geht es im Pulk der Freiwasserschwimmer schon mal rustikal zu. Ein bisschen schüchtern sei sie anfangs gewesen, gibt sie zu. Inzwischen hat sie sich an die unfeineren Methoden in den trüben Gewässern gewöhnt und gelernt, bei Bedarf auch mal die Ellenbogen einzusetzen.

Hendrik Feldwehr mit Verständnis

Nach der WM wird Isabelle Härle ihr Studium in Wuppertal als Sport- und Bewegungstherapeutin abschließen. „Ich habe bei all der Schwimmerei immer etwas für den Kopf gebraucht“, sagt sie. „Außerdem kann man von unserem Sport nicht leben.“ Für den Sport hat sie auf viel verzichtet. Freizeit, das ist fast ein Fremdwort. Deshalb ist sie froh, dass sie einen verständnisvollen Partner hat: Hendrik Feldwehr, Essener Brustschwimmer. Der will auch nach Rio. Zu zweit träumt es sich noch schöner.