Essen. . Er kennt sie gut – die Schattenseiten des Polizeialltags. Der Ex-Beamte und Ex-Hooligan Stefan Schubert aus Bielefeld hat ein neues Buch darüber geschrieben. Darin erzählen Polizisten offen von Versagen, Fehlern, Vertuschungsversuchen und Sympathie für die Hells Angels.
Acht Jahre lang führte er ein Doppelleben als Polizist und Fußball-Hooligan. Sein Buch über diese Zeit wurde zum Bestseller. Jetzt hat Stefan Schubert aus Bielefeld nachgelegt. In „Inside Polizei“ geht es wieder um die Schattenseiten und Abgründe der Polizeiarbeit. Beamte schildern anonym und offen Momente aus ihrem Berufsalltag, in denen sie an ihre Grenzen stießen und Grenzen überschritten haben. Auch die Behördenspitze kommt dabei nicht gut weg. DerWesten sprach mit Schubert über Vertuschungsversuche, den Einsatz bei der Loveparade und die gefährliche Nähe zur Gewalt.
Im ersten Kapitel Ihres Buches schildert ein junger SEK-Beamter das Scheitern eines Einsatzes, bei dem die Zielperson wegen fehlerhafter Planung sogar ums Leben kommt. In der Öffentlichkeit wird der Vorfall dagegen als Erfolg gefeiert. Vertuschung, Falschinformation der Presse – ist das polizeiübliches Verhalten oder eine Ausnahme?
Stefan Schubert: Die Behördenleitungen wollen nach außen hin natürlich gut dastehen. Dass eigene Fehler nicht selbst an die Öffentlichkeit gebracht werden, ist durchaus üblich. Imageschädigende Vorfälle werden gerne als „geheim“ oder „nicht pressefrei“ deklariert und unter den Teppich gekehrt. Wenn das nicht klappt, wendet die Polizeiführung häufig die Salamitaktik an: nur zugeben, was nicht länger zu leugnen ist.
„Gewalt färbt auf Polizisten ab“
Auch die Staatsanwaltschaft hat in diesem Fall nicht konsequent ermittelt. Das deckt sich mit der Klage von Menschenrechts- Organisationen wie Amnesty International, dass Straftaten von Polizisten nicht konsequent verfolgt würden. Ist das auch das Ergebnis Ihrer Recherchen?
Schubert: Polizisten, die im Einsatz über das Ziel hinausschießen, haben bei der Staatsanwaltschaft ganz klar Pluspunkte. Das hat auch damit zu tun, dass man die Beamten im nervenaufreibenden Polizeidienst nicht noch mehr frustrieren möchte. Hinzu kommt der Korpsgeist innerhalb der Polizei. Der entsteht automatisch, wenn man gemeinsam gefährliche Einsätze durchlebt und Nachtschichten miteinander verbringt. Das schweißt zusammen, da drückt man auch schon mal ein Auge zu.
Zu Beginn zitieren Sie Friedrich Nietzsche: Wenn du lange in einen Abgrund blickst, blickt der Abgrund auch in Dich hinein. Wie groß ist die Gefahr, dass Polizisten selbst in den Strudel von Gewalt und Verbrechen geraten, den sie eigentlich bekämpfen sollen?
Schubert: Diese Gefahr ist groß. Gerade für Polizisten, die in Brennpunktgebieten im Einsatz sind, gehört Gewalt zum Alltag dazu. Das kann durchaus abfärben. Wenn man tagtäglich mit Verrohung zu tun hat, wird man schnell zynisch und greift unter Umständen auch selbst einmal zu „einfachen Lösungen“.
„Hells Angels werden als das kleiner Übel gesehen“
Sie schreiben über den Fall gewalttätiger SEK-Beamte, die grundlos einen Junkie zusammenschlagen. Selbst haben Sie ein Doppelleben als Polizist und Fußball-Hooligan geführt. Sie wissen also, wovon Sie sprechen.
Schubert: Nach außen hin werden Polizisten natürlich gerne als Retter und Idealisten verkauft. Aber das entspricht nicht immer der Realität. Die Polizei ist eine große Behörde mit Tausenden Beamten und zieht auch ganz unterschiedliche Arten von Männern an. Dazu gehören auch Abenteurer und Draufgänger, bei denen die Hand ein bisschen lockerer sitzt.
Zur Verflechtung mit dem Verbrechen gehört die Sympathie, die Polizisten in Ihrem Buch offen gegenüber Rockerbanden wie den Hells Angels äußern. Ist diese Haltung weit verbreitet? Wie ist das zu erklären?
Schubert: Ich bin relativ oft auf Sympathien für Rockerclubs gestoßen. Polizisten sind Pragmatiker und Realisten. Irgendjemand muss schließlich im Rotlichtmilieu arbeiten. Wenn Hells Angels oder Bandidos verboten würden, würde keine Prostituierte weniger, ob freiwillig oder unfreiwillig, anschaffen gehen. Dann übernehmen andere, vielleicht brutalerer Gangs vom Balkan das Ruder. Da werden die Hells Angels oftmals als das kleinere Übel empfunden. Zudem kommen manche Polizisten auch privat mit Rockern in Kontakt, wenn sie etwa nebenbei als Türsteher arbeiten oder im Boxclub trainieren.
Wird die Gefahr von Rockerbanden wie den Hells Angels dramatisiert?
Schubert: Im Moment ist die Stimmung so hochgekocht, dass sogar eine kleine Schlägerei zwischen zwei Banden für bundesweite Presse und Polizeieinsätze mit Hunderten Beamten sorgt. Wenn man wollte, könnte man das auch jedes Wochenende mit dem libanesischen Miri-Clan im Ruhrgebiet machen. Doch da wird nicht so konsequent durchgegriffen.
„Normales, polizeiliches Handeln vielfach nicht mehr möglich“
In Ihrem Buch kommen auch zwei Polizisten zu Wort, die die Loveparade-Katastrophe hautnah miterlebt haben. Diese sehen keine Schuld bei der Einheit und bei der Einsatzleitung. Teilen Sie diese Meinung?
Schubert: Der Kardinalfehler lag vor allem darin, dass die Stadt Duisburg dieses Ereignis unter allen Umständen durchboxen wollte und deshalb mit der Zahl der Besucher völlig falsch kalkuliert hat. Diesen gravierenden Planungsfehlern konnten auch die Einsatzkräfte vor Ort nichts mehr entgegensetzen. Die Beamten hatten quasi keine Chance, auf den Massenansturm von Menschen verhältnismäßig zu reagieren. Die Polizei musste alleine vor Ort das ausbaden, was in den Monaten zuvor schief gelaufen war.
Viele Polizisten, die bei der Loveparade im Einsatz waren, brauchten danach eine Therapie. Sie schreiben, dass intern von rund 300 Beamten die Rede ist, die das Ereignis nicht ohne psychologische Hilfe verarbeiten konnten. Werden Polizisten angesichts der seelischen Belastungen Ihres Berufes ausreichend betreut?
Schubert: Die psychologische Betreuung hat sich in den vergangenen Jahren zum Glück verbessert. Nach der Loveparade wurden die Beamten gezielt dazu aufgefordert, sich bei Problemen zu melden. Diese Offenheit liegt auch daran, dass der Frauenanteil in den Behörden gestiegen ist. Früher war die Polizei eine reine Männer- und Machowelt. Da passten Ängste und Schwächen einfach nicht zum Selbstbild und wurden auch nicht offen angesprochen.
Welchen Ängsten und welchem Druck sind Polizeibeamte tagtäglich ausgesetzt?
Schubert: Das hängt davon ab, wo sie eingesetzt sind. In Großstädten haben Gewalt und Verrohung deutlich zugenommen. Da ist normales, polizeiliches Handeln vielfach gar nicht mehr möglich. Hier können auch kleinere Einsätze wie Unfälle oder Familienstreitigkeiten schnell eskalieren und für die Beamten gefährlich werden.
„Die Behördenmeinung ist mir nicht wichtig“
Würden Sie selbst noch einmal Polizist werden wollen?
Schubert: Ich war in jungen Jahren immer gerne Polizist. 22-Stunden-Schichten und Stress konnte ich da noch relativ gut wegstecken. Wenn man dagegen schon 20 Jahre auf dem Buckel hat, ist das einfach nur noch anstrengend und belastend.
Die Polizisten gewähren Ihnen in Ihrem Buch sehr detaillierte und teils private Einblicke in ihren Berufsalltag. Wie konnten Sie ihr Vertrauen gewinnen?
Schubert: Ich habe noch einige Kontakte aus meiner Zeit als Polizist. Viele Beamte sind aber auch nach meinem ersten Buch an mich herangetreten, weil sie sich an vielen Stellen wiedergefunden haben.
Gab es schon offizielle Reaktionen von Seiten der Polizei auf Ihr Buch? Haben Sie keine Sorge, als Nestbeschmutzer zu gelten?
Schubert: Die offizielle Behördenmeinung ist mir ohnehin nicht wichtig. Mir geht es vielmehr darum, den Polizeialltag so darzustellen, wie er wirklich ist. Denn Polizisten verkörpern nicht immer das Idealbild vom Staatsbürger in Uniform. Ein Polizist ist ein ganz normaler Mensch - mit Fehlern und Abgründen.
Infos zum Buch: Stefan Schubert, Inside Polizei – Die unbekannte Seite des Polizeialltags, Riva Verlag, 240 Seiten, 19,99 Euro