Bielefeld. .
Acht Jahre lang führte der Bielefelder Stefan Schubert ein Doppelleben: Als Polizist sollte er für Recht und Ordnung sorgen. Als Fußball-Schläger prügelte er Menschen krankenhausreif und sah bei zahlreichen Straftaten weg. Jetzt hat der ehemalige Hooligan-Polizist ein Buch geschrieben.
Gewalt kann glücklich machen. Das ist die bitterste Erfahrung von Stefan Schubert. Den Moment, in dem sein Gegner unter Faustschlägen und Tritten blutend zu Boden ging, beschreibt er als Rausch: „An diesem Punkt schien es, als ob das Adrenalin durch Endorphine verdrängt wurde. Die Anspannung fiel weg – und ich musste lächeln. Während ich weiter auf ihn einschlug, hatte ich dieses entrückte Grinsen im Gesicht.“
Stefan Schubert ist ein gepflegter, unscheinbarer Mann. Er wirkt klein, aber durchtrainiert. Der enge V-Kragen-Pullover lässt einen muskulösen Oberkörper erahnen. Dass sich auf seinem Oberarm ein Drache schlängelt, erzählt er. Unfreiwillig sucht man sein Gesicht nach Spuren der Gewalt ab. Und entdeckt eine kleine Narbe unter der rechten Augenbraue. Das Nasenbein ist leicht verschoben. Sieht er aus wie ein Fußball-Hooligan? Eher nicht. Wie ein Polizist? Schon eher. Doch Stefan Schubert war beides – Polizist und Hooligan, acht Jahre lang.
Deutschlands „Rambo-Polizist“
Als Beamter beim Bundesgrenzschutz schirmte er Bundeskanzler Helmut Kohl ab oder bewachte das Schlafzimmerfenster der Bundespräsidentengattin Marianne von Weizsäcker. Als Fußball-Hooligan prügelte er Menschen krankenhausreif, brach ihnen Nasenbeine und Kiefer-Knochen. Schubert brachte es auf zwei bis drei Schlägereien im Monat. Acht Jahre lang dauerte dieses Doppelleben, bis er aufflog und ihn Polizei und Medien an den Pranger stellten. Die „Bild“-Zeitung hat seine Geschichte zu einer Wortschöpfung mit Bindestrich inspiriert: Stefan Schubert war Deutschlands „Rambo-Polizist“.
Jahrelang hat er über diese Erlebnisse nur mit Freunden gesprochen. Erst jetzt, 12 Jahre nach seinem Ausstieg aus dem Polizeidienst, habe er den nötigen Abstand, um alles öffentlich zu machen, sagt Schubert. Er hat ein Buch über sein Leben als Polizist und Hooligan geschrieben. „Gewalt ist eine Lösung“ heißt es. Ein provokanter Titel. Doch für Schubert ist er nur konsequent. In seiner Welt hat er schon früh gelernt, dass Faustschläge und Tritte wirken können. Seine erste Prügelei erlebte er mit 16. Der Gegner: eine Jugendgang, die ihn schon länger schikanierte. Schubert und seine Freunde schlugen ihre Feinde nach intensivem Box-Training in die Flucht. Fortan hatten sie keine Probleme mehr. Die Saat der Gewalt war gelegt.
„Wir hatten das Gefühl, respektiert zu werden“
Als Fan von Arminia Bielefeld war Schubert oft im Stadion. Verstohlen blickte der 18-Jährige immer wieder zu „Block 4“ hinüber. Hier standen die jungen Männer, die in ganz Bielefeld gefürchtet waren: die Männer der „Blue Army Bielefeld“, auch „OWT“ genannt - OWT wie Ostwestfalenterror. „Die haben mich magisch angezogen“, erinnert sich Schubert. Über Freunde kam er schließlich mit den Schlägern in Kontakt, begleitete sie zu Spielen, machte bei der ersten Massenschlägerei mit – und rutschte immer tiefer in die Szene ab. Bis ihm schließlich die Gewalt zur Gewohnheit wurde. Zum Spaß, zum Rausch und zur Selbstbestätigung. „Wir hatten das Gefühl, respektiert zu werden, auch wenn dieser Respekt zu einem großen Teil auf purer Angst basierte“, schreibt Schubert. Die Gewalt war nicht mehr Lösung, sondern Selbstzweck.
Zur selben Zeit machte er eine Ausbildung beim Bundesgrenzschutz – und schloss sie als Klassenbester ab. Später wechselte Schubert zur Landespolizei in NRW und wurde schließlich sogar als Streifenpolizist nach Bielefeld versetzt. Zu dieser Zeit wurde sein Doppelleben immer gefährlicher. In den letzten Jahren lebte er in der ständigen Angst, entdeckt zu werden.
„Kneipenterroristen auf Terror-Tour“
Wie ist er mit Gewissensbissen klar gekommen? „Ich bin ehrlich: Ich hatte gar keine“, sagt Schubert. Die Frage ist ihm nicht unangenehm. Die Antwort kommt ohne Umschweife, begleitet von einem leichten Lächeln. „Wir waren junge Männer, die ihren Spaß haben wollten“, sagt er. Und hinter diesem „Spaß“ stand ein Grundsatz, der über jeden Zweifel erhaben schien: „Wir haben Menschen verprügelt, die sich prügeln wollten.“ Eine gefährlich einfache Logik.
Das Ritual war immer gleich. Zunächst dröhnten sich die Männer zu, mit Bier, Wodka, Kokain und Ecstasy. Von „Kneipenterroristen auf Terror-Tour“ sangen die „Böhsen Onkelz“ in ihrem Lieblingslied, das die Gelage immer wieder dröhnend begleitete. Kneipenterroristen - genau das waren sie. Und das erfüllte sie mit Stolz. Zweifel wurden im Alkohol ertränkt. „Ein wilder Haufen Fleisch gewordener Waffen mit durchtrainierten, tätowierten Oberkörpern war entsichert. Ein falsches Wort, eine dumme Geste – und das Feuer würde eröffnet werden“, schreibt Schubert in seinem Buch.
Doch Stefan Schubert machte sich nicht nur als Schläger strafbar, er schaute auch weg, wenn seine Kameraden Geschäfte ausraubten oder mit Drogen dealten. „Mein Rechtsempfinden und Schuldbewusstsein wurden immer weiter ausgehöhlt“, sagt er. Es gab in jener Zeit jedoch ein Tabu für ihn: Sobald Polizisten auf der Bildfläche erschienen, zog er sich zurück. Der Hooligan Schubert wollte keine Polizisten schlagen. Im Dienst dagegen spielte Schubert den „good cop“. „Ich war viel entspannter und auch gerechter als die Kollegen. Ich hatte mich ja schon privat ausgetobt. Die Uniform musste keine Machtfantasien mehr befriedigen.“
War es Korpsgeist?
In seinem Buch schreibt Schubert auch über die erschreckenden Parallelen zwischen seinem Hooligan-Dasein und dem Polizisten-Beruf. „Von außen betrachtet hätten meine beiden Welten gegensätzlicher nicht sein können. In Wahrheit jedoch gab es viele Gemeinsamkeiten.“ Kameradschaft, strenge Hierarchien und die ständige Nähe zur Gewalt. Sogar die Feindbilder seien gleich gewesen: Autonome, Skinheads, Rocker – einfach jede rivalisierende Horde junger Männer. Schon in der Ausbildung als Bundesgrenzschützer wurde den Beamten laut Schubert eingebläut: „Ihr dürft Euch prügeln. Aber erstens: Lasst Euch nicht erwischen. Und zweitens: Ihr müsst gewinnen!“
Dass sein Doppelleben acht Jahre lang nicht aufgeflogen ist, erstaunt Schubert bis heute. Hier und da hat er sogar den Eindruck, von Kollegen gedeckt worden zu sein. War es Korpsgeist? Schubert weiß es nicht. Immer wieder erschien er mit verkrusteten Händen oder blauen Augen zum Dienst. Sein Name tauchte im Laufe der Jahre in einem halben Dutzend Straf- und Ermittlungsverfahren auf. Doch wenn bei Schlägereien die Polizei näher rückte, konnte er stets entwischen, bevor die Falle zuschnappte. Dutzende Male hatte er Glück, unverschämtes Glück. Bis ihn im Sommer 1996 ein Fernsehteam bei Massenkrawallen auf dem Bielefelder Klosterplatz filmte. Der Anfang vom Ende.
Journalisten hefteten sich fortan an Schuberts Fersen. Die Staatsanwaltschaft Bielefeld leitete ein Ermittlungsverfahren wegen Landfriedensbruch ein. Und schließlich belastet ihn auch die Aussage eines Kollegen, den er einst in einer Stammkneipe zusammenschlug, schwer. Im September 1998 dann das endgültige Aus. Schubert verließ den Polizeidienst – freiwillig. Er zahlte eine Geldstrafe von 10.000 Mark. Die Ermittlungen gegen ihn wurden eingestellt. Im selben Jahr stieg Schubert auch aus der Fußball-Szene aus. „Zwei Lebensbereiche, die mir einmal sehr wichtig waren, zerplatzten auf einen Schlag“, schreibt er.
„Einen Drang zur Gewalt verspüre ich gar nicht mehr“
Nach dem Ende seiner Polizei-Karriere arbeitete Schubert als Fitness-Trainer, Türsteher und Disko-Chef. Und übernahm schließlich ein Fitness-Studio in Bielefeld. Heute sagt der 39-Jährige: „Ich bin bürgerlich geworden. Einen Drang zur Gewalt verspüre ich gar nicht mehr.“ An den Wochenenden geht er nicht mehr ins Stadion, sondern besucht die Wirtschaftsfachschule. Er will einen Abschluss als Betriebswirt machen.
Doch hier und da schwingt im Buch und im Gespräch immer noch ein leicht verklärter Unterton mit, wenn Schubert von seiner Zeit als Fußball-Schläger erzählt. Hier spricht niemand, der sich vor Reue verzehrt. „Im Großen und Ganzen bin ich mit mir im Reinen“, sagt Schubert. „Aber vielleicht mache ich’s mir immer noch zu leicht.“