Essen. .
Nationalspieler Marcell Jansen musste im Spiel gegen Belgien zur Pause raus. Weil er schlecht gespielt hatte, meinte der ARD-Kommentator und beging wohl einen Irrtum. Jansen holt nun via Internet zum Rundumschlag gegen Reporter aus.
Wiederanpfiff beim Länderspiel Belgien gegen Deutschland: Die deutschen Spieler kommen nach der Halbzeitpause aus der Kabine. Nur Marcell Jansen ist nicht mehr dabei, HSV-Profi Heiko Westermann betritt anstelle seines Teamkollegen den Rasen des Brüsseler Stadions. Eine Personalie, die erklärt werden will. Zuständig dafür ist an diesem Abend Fernseh-Kommentator Gerd Gottlob. Vor mehr als neun Millionen Zuschauern mutmaßt der ARD-Mann, Bundestrainer Joachim Löw habe Jansen aufgrund dessen Leistung in der ersten Halbzeit aus dem Spiel genommen. Doch nach der Partie heißt es: Eine Sehnenreizung habe Jansens Auswechslung erfordert.
Das ARD-Publikum bekam also offenbar eine Fehlinformation geliefert. Ärgerlich, ohne Zweifel, aber aufgrund der Echtzeitproduktion des Fernsehsports nicht immer vermeidbar. Der Betroffene will sich jedoch mit der Fehleinschätzung nicht einfach abfinden.
„Kommentatoren fühlen sich wie Popstars“
Auf seiner Homepage ließ Jansen seinen Ärger über Gottlobs Äußerung in eine Abrechnung mit der Riege deutscher Fußball-Reporter münden: „Es ist mir oft ein Rätsel, wie Kommentatoren ein Spiel sehen und wie sie den Zuschauern eine Meinung mitteilen, die absolut nicht dem entspricht, was auf dem Platz geschieht“, schreibt der Nationalspieler. Jansen weiter: „Es erweckt bei mir manchmal den Eindruck, als wenn die Kommentatoren sich als Popstars fühlen und sie der Meinung sind, sie haben den Fußball erfunden.“
Manni Breuckmann indes rät dazu, Jansens Reporterschelte nicht überzubewerten. Unmut über Fußball-Kommentatoren habe es schon immer gegeben, sagt die langjährige „Stimme des Westens“. Zwar könne er Jansens Ärger nachvollziehen, „immerhin hören dem Kommentator fast zehn Millionen Menschen zu.“ Doch Breuckmann, der für den WDR-Hörfunk bis Ende 2008 Bundesliga-Spiele kommentierte, nimmt den Kollegen Gottlob in Schutz: „Verletzt sich ein Spieler in der Halbzeit, ist es Aufgabe der Presseabteilung, die Journalisten so schnell wie möglich zu informieren“, erklärt Breuckmann. „Wenn der Reporter keine Information über Jansens Verletzung hatte, musste er sich auf seinen Eindruck verlassen. Da Jansen weder humpelte noch blutete, ist er zu dieser Einschätzung gekommen. Und lange warten kann er in einer Live-Situation nun mal nicht.“
„Unglücklich gelaufen“
Die Nachfrage beim DFB bestätigt Breuckmanns Vermutung: „Das ist in der Tat unglücklich gelaufen“, sagt ein für die Nationalmannschaft zuständiger Sprecher, der in Brüssel vor Ort war. „Die medizinische Abteilung hat uns über Jansens Verletzung erst unmittelbar vor Ende der Pause informiert. In der Kürze der Zeit hat die Info Gerd Gottlob offenbar nicht mehr rechtzeitig erreicht.“
Unabhängig davon, ob Gottlobs Einschätzung Fahrlässigkeit oder tatsächlich widrigen Umständen geschuldet war, demonstriert der Vorfall einmal mehr die Macht des Internets und sozialer Netzwerke. Nicht nur auf seiner Homepage, auch via Twitter und Facebook stellte Jansen seine Sicht der Dinge dar - und erhält regen Zuspruch aus der Web 2.0-Gemeinde. Verstärkt nutzen Prominente Social-Media-Plattformen, um mit Fans und Sympathisanten direkt in Kontakt zu treten - Sportler machen da keine Ausnahme.
Auch Podolski twittert
So teilte Lance Armstrong Ende Juni via Twitter mit, die Tour de France 2010 sei definitiv seine letzte. Auch Sprintrekordler Usain Bolt und Schwimm-Olympiasieger Michael Phelps zwitschern ausgiebig aus ihrem Sport- und Privatleben. Aus der Reihe der Bundesliga-Profis haben sich neben Jansen bisher unter anderem Lewis Holtby, Maik Franz und Lukas Podolski auf der Microblogging-Plattform eingefunden. Die Journalisten als klassische Vermittler zwischen den Sportlern „da oben“ und den Fans „da unten“ werden in Zeiten des Mitmach-Internets häufig übergangen.
Doch Jansen hat offenbar nicht vor, sich zum Sprachrohr einer Protestbewegung gegen Fußball-Kommentatoren zu machen. Es gehe ihm um „konstruktive Kritik“, betont der Nationalspieler. Er sei „nicht beleidigt“ und wolle seine Vorwürfe keinesfalls auf den gesamten Berufsstand der Kommentatoren bezogen wissen. Doch die provozierende Frage, sie kommt trotzdem noch: „Wieso gibt es diese nette Funktion im Pay TV, in der ich mir ein ganzes Fußballspiel ohne Kommentar anschauen kann? Hat es vielleicht auch damit zu tun?“.