Essen. Der heutige Geschäftsführer des VfL Osnabrück äußert sich im Interview zur Lage beim Tabellenschlusslicht der 3. Liga und schaut sorgenvoll zur Hafenstraße.

Eigentlich hat der Mann überhaupt keine Zeit. Michael Welling, zur Zeit als Geschäftsführer beim VfL Osnabrück tätig und seit einigen Tagen auf verschärfter Trainingssuche, fiebert aber wie so viele dem Abstiegsduell am kommenden Sonntag (16.30 Uhr) an der Bremer Brücke entgegen, ausgerechnet gegen seinen Ex-Klub Rot-Weiss Essen. Der 53-Jährige führte vor mehr als zehn Jahren als Vorstandsvorsitzender die Rot-Weissen durch die schwere Zeit nach der Insolvenz und gab dem Traditionsklub wieder ein Profil. Im Interview am Sonntagmorgen in einem Rüttenscheider Café blickte der Wahl-Essener gerne zurück - aber auch in die nahe Zukunft.

VfL Osnabrück gegen Rot-Weiss Essen: Michael Welling blutet das Herz

Der VfL Osnabrück und Rot-Weiss Essen sind zwei Leidensgenossen, wenn man auf die Tabelle schaut. Michael Welling kennt beide Vereine sehr gut. Was gibt es für Erklärungen für die aktuelle Lage?

Welling: Es blutet einem das Herz, gerade, weil mein Herz an beiden Vereinen hängt. Beide befinden sich im Abstiegskampf, beide sind in der Krise. Ich würde sagen: tabellarisch wir noch ein bisschen mehr als Rot-Weiss. Und gleichzeitig auch von den Ansprüchen her, die vor der Saison da waren. Die da sein mussten, mit Blick darauf, dass wir aus der 2. Bundesliga abgestiegen sind, während Rot-Weiss immer noch dabei ist, sich in der 3. Liga zu etablieren. Darum ist bei uns die größere Fallhöhe. Deswegen: bittere Situation für beide.

Wenn man nüchtern mathematisch herangeht, muss man wohl sagen: Es muss schon viel passieren, damit es nicht einen von beiden am Ende erwischt - oder?

Das will ich mir nicht ausmalen, weil ich träume davon: Vorletzter Spieltag, da spielen wir an der Hafenstraße. Und mit einem hart erkämpften Unentschieden feiern wir gemeinsam den Klassenerhalt. Das wäre mein Wunsch. Dass einer von beiden in die Regionalliga muss, das wäre eine Katastrophe; für die Vereine und die Umfelder in erster Linie, aber auch für mich emotional wäre es ganz ganz bitter. Deswegen male ich mir das gerade nicht aus. Ich glaube, dass in beiden Vereinen genügend Kraft steckt, den Weg da unten aus dem Keller zu schaffen, zumal diese 3. Liga sehr ausgeglichen ist, weil die Geld-Gleichverteilung dazu führt, dass es keine Ausreißer nach unten oder nach oben gibt. Das ist manchmal gut, manchmal schlecht, heißt aber: Dass man mit einer Siegesserie, die immer möglich ist, ganz schnell unten rauskommen kann - aber auch andere vielleicht ganz schnell unten reinrutschen können. Von daher: Aufgeben ist keine Option.

Osnabrück sucht den Weg aus der Negativspirale

Was macht diese Dritte Liga so gefährlich? Wenn man dran denkt: Letztes Jahr, Arminia Bielefeld, die hatten lange ihr Kratzen. Jetzt seid ihr die Leidtragenden - warum stürzt man so ab, wenn man aus der Zweiten Liga runtergeht?

Es liegt nicht am Geld, wir sind wirtschaftlich solide aufgestellt, wir investieren gerade sicherlich mehr als der eine oder andere Zweitliga-Absteiger. Ich glaube, es liegt eher daran, dass man aus einer Negativspirale kommt. Wenn wir das jetzt auf den VfL Osnabrück beziehen: Wir haben diesen sensationellen Aufstieg in der 90 plus sechsten Minute gehabt, der uns nach oben katapultiert hat, wovon man träumt. Wir haben sicherlich einige Fehler gemacht in der Kaderzusammenstellung nach dem Aufstieg - und wir verlieren seitdem. Wir haben es letztens zusammengetragen: Von den letzten 51 Spielen haben wir lediglich sechs Siege feiern können. Und diese negative Grundtendenz haben wir mitgenommen. Wir hatten die Idee, viele Spieler aus der 2. in die 3. Liga mitzunehmen, die letztes Jahr Leistungsträger waren, die vorher den Aufstieg geschafft haben. In der Wahrnehmung, dass die Spieler die Qualität haben, um auch direkt wieder in der 3. Liga erfolgreich sein zu können. Wir haben unterschätzt, wie sehr das in den Kleidern der Spieler noch steckt, immer wieder auf die Fresse zu kriegen. Und wir haben dann in der Kaderzusammenstellung das eine oder andere nicht so gemacht, wie es sinnvoll gewesen wäre. War es richtig, mit dem Abstiegstrainer in die neue Saison zu gehen? Man beginnt mit Negativerlebnissen - und man kommt dann da nicht raus. So stehen wir heute da, wir konnten uns einfach nicht befreien. Das macht es sehr schwierig, weil die Erwartungshaltung natürlich auf allen drückt, das ist schon hart. Aus diesem Abwärtsstrudel herauszukommen, das ist schon eine Mammutaufgabe.

Michael Welling hörte 2017 als Vorstandsvorsitzender bei Rot-Weiss Essen auf.
Michael Welling hörte 2017 als Vorstandsvorsitzender bei Rot-Weiss Essen auf. © T.Tillmann | T.Tillmann

Marcus Steegmann (Sportdirektor Profifußball bei RWE) hat letzte Woche noch gesagt: Für ihn ist es das größte Rätsel, dass der VfL Osnabrück mit diesen Einzelkönnern oder Stars nicht dieses Team bildet.

Als Star würde ich glaube niemanden aus der 3. Liga bezeichnen. Namen, Individualisten, das ist sicherlich der Fall. Wenn man rein nach den Namen geht, ja, dann haben wir eine gute Truppe. Aber wenn wir das Potenzial nicht heben, dann haben wir auch keine gute Truppe. Fußball ist eben auch Mannschaftssport, da muss viel mehr zusammenkommen als individuelle Qualität. Wir dürfen uns nicht darauf ausruhen, dass wir gute Spieler haben, es geht einfach nur darum, jetzt eine gute Mannschaft zu werden, die die Situation annimmt, Abstiegskampf in Liga Drei anzunehmen. Einige haben letztes Jahr vor 60.000 Leuten beim HSV 2:1 gewonnen - heute spielen wir Abstiegskampf in Verl, wo nur wenige Zuschauer da sind. Diese Rahmenbedingungen anzunehmen, die Mentalität zu haben, auch dort alles zu geben, diese entsprechende Basis an den Tag zu legen, das ist unsere große Aufgabe.

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Michael Welling ist zwar jetzt beruflich in Osnabrück, aber Sie wohnen immer noch im Essener Süden, wie weit sind Sie noch involviert bei Rot-Weiss, wie sehen Sie jetzt den Verein von außen?

Also, involviert bin ich natürlich nicht mehr, ich bekomme das eine oder andere mit, natürlich bin ich noch immer Rot-Weiss-Beobachter, natürlich hängt mein Herz an Rot-Weiss Essen. Das war acht Jahre ein - wenn nicht sogar - der größte Teil meines Lebens, das waren acht Jahre 24/7 Rot-Weiss Essen, das streift man nicht ab, auch wenn jetzt einige Jahre vergangen sind. Dadurch, dass wir mit der Familie immer noch hier leben, guckt man da natürlich hin, freut sich mit, fiebert mit. Der Aufstieg hat mich unglaublich gefreut, gleichzeitig war ich unglaublich traurig, weil ich nicht dabei sein konnte, da wir parallel ein Spiel hatten. Ich habe vor der Saison die Spielplan-Planer angefleht: Ihr könnt alles machen, aber gebt uns bitte nicht zum Auftakt Essen gegen Osnabrück, das würde mich zerstören.

.... woran sie sich ja gehalten haben.

Und zweitens: Bitte nicht die Spiele zum Auftakt parallel - und so durfte ich dann beim ersten RWE-Spiel in der 3. Liga im Stadion sein. Das war emotional für mich sehr schön, das zu sehen. Was gerade Marcus Uhlig und das Team da geschaffen haben, das ist großartig. Was da jetzt für Schlagzeilen kommen, das beobachte ich, aber das von außen zu beurteilen, das maße ich mir nicht an, das habe ich nie gemocht bei anderen, als ich noch selbst da war. Ich beobachte, ich sehe personell viel Fluktuation, wenige von den Kollegen, mit denen ich damals noch zusammen gearbeitet habe, sind heute noch da. Von daher verliert man zwar nicht die Bindung zum Verein, aber natürlich zu den Menschen auf der Geschäftsstelle. Schon beim Spiel in Osnabrück wird der eine oder andere aus Essen mit mir zusammen im Auto hin- und wieder zurückfahren. Und wenn wir dann im Mai in Essen spielen, sehe ich viele bekannte Gesichter im Stadion sehen - da freue ich mich drauf. Mein Herz hängt an beiden Vereinen.

(Was die drei Kultvereine Mainz 05, Rot-Weiss Essen und VfL Osnabrück unterscheidet, was sie verbindet, und welche besondere Verbindung von Michael Welling zu Sascha Peljhan besteht, das steht morgen an dieser Stelle im zweiten Teil des Interviews).

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