Essen. Nach einem Jahrzehnt an der Hafenstraße hat der technisch versierte Linksverteidiger RWE schweren Herzens verlassen. Er hatte gute Gründe.
Da sitzt er nun im Stadion Essen auf der menschenleeren Tribüne. Komisches Gefühl. Kevin Grund hatte noch einen Termin auf der Geschäftsstelle und einige Dinge abgegeben: Winterjacke, Pulsuhr -Auskleidung sozusagen. Das ließ sich gut mit einem Interview verbinden. Arbeitstitel: Letzte Schicht Hafenstraße.
Kevin Grund hat Rot-Weiss Essen tatsächlich verlassen und wird künftig für den Oberligisten 1. FC Bocholt auflaufen. Es ist eine Zäsur für beide Seiten, doch es heißt ja, niemals geht man so ganz…. Auf Kevin Grund trifft das garantiert zu. Schon am Mittwoch (19 Uhr) wird er wieder an der Hafenstraße sein, beim Abschiedsspiel für ihn und Marcel Platzek, der ja fast ebenso so lange bei RWE kickte und nun gemeinsam mit Kumpel „Kev“ nach Bocholt weiterzieht.
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Die tolle Stimmung bei Rot-Weiss Essen war reizvoll
Abschied nach einem Jahrzehnt. Wie lange das ist, lässt sich daran erkennen, dass Kevin Grund noch im Georg-Melches-Stadion gespielt hat. „Die vielen Fans, die tolle Stimmung dort waren ein Grund, warum ich damals nach Essen gekommen bin. Am Freitagabend unter Flutlicht, da bekomme ich noch immer eine Gänsehaut.“ Und als RWE im ersten Jahr den Zweitligisten Union Berlin aus dem DFB-Pokal kegelte und alle um ihn herum vor Freude ausrasteten, dachte er sich nur: „Was für ein geiler Verein.“
Bei der Schnelllebigkeit des Fußballs sind zehn Jahre wirklich außergewöhnlich, weshalb sie Kevin Grund schon als „Legende“ rühmen. Eine stille Legende, denn richtig spektakulär waren seine Auftritte in all den Jahren nur äußerst selten. Es wurde nie viel Tamtam um ihn gemacht, Kevin Grund hat gespielt und man konnte sich auf ihn verlassen.
Sportlich und menschlich ein Führungsspieler
Grund ist niemand, der polarisiert, der das Volk gegen sich aufbringt oder ständig ins Rampenlicht drängt. Es ist halt der „Kev“, ein angenehmer und ruhiger Zeitgenosse, der sich in den Dienst der Mannschaft stellt. „Dass ich herum bölke, wird man nie erleben“, sagt Grund. Aber wenn es etwas zu klären gebe, mache er das auch - unter vier Augen. Und so begreift er sich auch als Führungsspieler.
Die sportliche Qualität befähigt ihn dazu. Fußball spielen kann der Linksfuß, er ist gut befreundet mit der Kugel, kein bissiger Abräumer, sondern Antreiber und Vorbereiter. „Er ist ein intelligenter Spieler mit überragenden Standards“, lobt RWE-Trainer Christian Neidhart. „Er hat alles, was wir uns auf dieser Position vorstellen.“ Dennoch trennen sich die Wege.
Mit leicht zusammengekniffenen Augen blickt Kevin Grund auf das satte Grün und sagt erst mal nichts. Kopfkino? Möglich, schließlich gab’s genug außergewöhnliche Momente auf dieser Bühne. Einer für die Ewigkeit war das Freistoßtor im September 2012 gegen Fortuna Düsseldorf II zum 2:0. Die Rot-Weissen standen um den Ball herum, beratschlagten. Dann lief einer an, ein zweiter ebenfalls, stolpern... Stopp.
Alles sah aus wie ein großes Missverständnis
Alles sah aus wie ein großes Missverständnis. Doch bevor die Fans über die vermeintliche Tölpelei ablästern konnten, kam Grund aus dem Hintergrund und platzierte die Kugel in den Giebel. Kurios. Im Internet wurde dieses Tor um die 15 Millionen Mal angeschaut. Fantastisch und kein Zufall. Noch im April wurde Grunds Freistoßtreffer zum 3:0 gegen Gladbach II für die Wahl zum Tor des Monats nominiert.
Man braucht sich nicht zu fragen, ob der Abschied schwerfällt. Man spürt es. „Es war eine geile Zeit, einfach mega“, sagt Kevin Grund. „Ich werde das hier nie vergessen. Ich durfte so tolle Menschen kennenlernen und habe Freunde fürs Leben gewonnen. Aber jetzt beginnt ein neuer Lebensabschnitt und ich freue mich darauf, ein neues Projekt zu starten, bei dem ich meine Erfahrungen weitergeben kann.“
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Vor gar nicht allzu langer Zeit hatte derselbe Mann noch gesagt: „Ich kann mir nicht mehr vorstellen, woanders zu spielen.“ Er wolle an der Hafenstraße bleiben, egal in welcher Funktion, und sei es als Trainer im Nachwuchsbereich, wo er bei der U12/13 als Technikcoach schon ausgeholfen hat.
Sohn Bailey rennt weiter in Rot-Weiss-Klamotten rum
So leicht schüttelt man all das nicht ab. Vor allem sein neunjähriger Sohn Bailey hat mit Papas Entscheidung zu kämpfen. „Er ist ja praktisch im Melches-Stadion geboren. Er rennt zu Hause weiterhin in Rot-Weiss-Klamotten rum. Für ihn ist das wohl noch schwerer.“
Rot-Weiss Essen gehört zur Familie, und Kevin Grund zu Rot-Weiss Essen, auch wenn Google ihn im Zebra-Trikot des MSV Duisburg findet, von wo der fußballerische Feinmotoriker 2011 gekommen war. Eigentlich wollte Grund in Essen bleiben, RWE wollte grundsätzlich ebenfalls mit ihm weiterarbeiten. Doch auch diese Saison erfüllte beiden nicht den großen Traum vom Aufstieg. Und die Gespräche mit den Verantwortlichen ließen die Entscheidung reifen. Nicht Herz über Kopf, sondern die Vernunft siegte. „Was macht am meisten Sinn für mein weiteres Leben?“
An die Zeit nach dem Fußball gedacht
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Für ein weiteres Jahr Regionalliga hätte es allemal gereicht, Grund fühlt sich fit genug nach seiner vielleicht besten Saison im RWE-Trikot. „In Essen hätte ich noch ein Jahr Vertrag bekommen. Aber in Bocholt habe ich nun einen Zweijahresvertrag mit Option. Dort kann ich vielleicht noch drei Jahre spielen.“ Ein entscheidender Punkt für den Familienmenschen. Irgendwann ist Feierabend, und dann? „Jetzt kann ich gleichzeitig in einer Fußballschule trainieren und bei Teamsport Philipp arbeiten.“ In dem Sportunternehmen wird er alle Bereiche durchlaufen und für die Zeit danach lernen.
Kevin Grund wird nun etwas mehr Zeit für die Familie haben, für seine Frau und seine beiden Söhne. Hobby ist sein Engagement in Bocholt aber keineswegs. „Wir trainieren auch viermal die Woche und der Verein ist sehr professionell aufgestellt, da sind die Abläufe ähnlich wie hier in Essen.“
Hoffentlich kein Wiedersehen in der Regionalliga
Auch wird Kevin Grund weiterhin zur Hafenstraße kommen, wenn es sich ergibt, für die sozialen Projekte der Essener Chancen bleibt er auf jeden Fall im Einsatz. „Es macht mich stolz, dass ich das RWE-Trikot tragen durfte“, sagt er zum Schluss. Und das Abschiedsspiel, das RWE ihm und „Platzo“ als Dankeschön mit auf den Weg gibt, empfindet er als große Ehre „Das gibt’s nicht für jeden.“
Vielleicht schaffen die beiden ja mit Bocholt den Aufstieg in die Regionalliga. Wiedertreffen möchten sie dann Rot-Weiss Essen dort aber auf keinen Fall.
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