London. Nach seiner Niederlage über 200 m hat Oscar Pistorius über 100 m nicht einmal eine Medaille gewonnen. Danach trat der Südafrikaner wie ein Botschafter auf. Doch über 400 m muss er unbedingt gewinnen.

Vom Bad Boy in drei Tagen zum zahmen Lamm: Olympia-Teilnehmer Oscar Pistorius, der an der Schwelle stand, zu einem großen Verlierer der Paralympics zu werden, hat eine Charme-Offensive gestartet. Die war zwar im Kern sympathisch, wirkte aber in ihrem Ausmaß übertrieben aufgesetzt und unglaubwürdig.

Nachdem er über 100 m sogar ohne Medaille geblieben war, war der nach der überraschenden 200-m-Finale noch wütend Verschwörungs-Theorien verbreitende Südafrikaner jedermanns Freund. "Dass ich Teil eines der besten Rennen aller Zeiten war, bedeutet für mich mehr, als wenn ich eine Medaille gewonnen hätte", sagte der gut gelaunte "Blade Runner" zum Erstaunen vieler Zuhörer: "Ich hätte eben eine Medaille mehr, aber dieses Rennen war gut für unseren gesamten Sport, weil jeder gesehen hat, wie sensationell er sich entwickelt."

Vorwürfe brachten viel Kritik

Seine Ausführungen gipfelten in der Behauptung, er habe sich für seinen Zimmergenossen Arnu Fourie, der beim Sieg des 19 Jahre alten Briten Jonnie Peacock statt seiner die Bronzemedaille gewann, "mehr gefreut als Arnu selbst. Und mehr, als wenn ich die Medaille bekommen hätte."

Mit seinen sachlich durchaus nachvollziehbaren Vorwürfen, der 200-m-Lauf sei wegen der zu hohen Stelzen des siegreichen Brasilianers Alan Oliveira "lächerlich" und "unfair" gewesen, hatte sich Pistorius nach seiner allersten Finalniederlage bei Paralympics zu Wochenbeginn viel Kritik eingehandelt. Vor allem innerhalb der paralympischen Führungsgremien galt der zum Weltstar aufgestiegene und als Botschafter auserkorene Pistorius plötzlich für viele als Nestbeschmutzer. Schon unter der Woche war er mehrmals zurückgerudert, noch Stunden vor dem 100-m-Finale twitterte er wieder, wie "unglaublich leid" es ihm tue.

Pistorius rudert zurück 

Am Donnerstag war Pistorius nun ein fairer Verlierer, aber dafür ein geradezu unglaublich chancenloser. "Natürlich bin ich bisschen enttäuscht, weil ich eine Medaille wollte", sagte Pistorius: "Aber ich bin ein gutes Rennen gelaufen, es waren einfach drei Jungs besser als ich."

Die 100 m "habe ich doch schon seit drei Jahren nicht mehr dominiert", ergänzte er: "Außerdem hat keiner so viele Rennen in den Knochen wie ich, weil ich bei Olympia dabei war und nun schon fünf Läufe bei den Paralympics hinter mir habe. Mein Körper ist einfach müde, in der letzten Nacht hatte ich ein richtiges Tief."

Mit diesen schweren Knochen muss Pistorius nun aber dafür sorgen, dass er nach seinem Dreifach-Triumph von Peking am Samstag wenigstens die 400 m gewinnt, will er nicht ohne Einzel-Gold und somit endgültig als Geschlagener die Rückreise nach Südafrika antreten müssen. "Das ist meine Strecke, darauf liegt mein Fokus, das ist das, was für mich zählt", sagte er.

London war "ein einziger Traum"

Danach werden er, seine Leistungen und sein Auftreten abschließend beurteilt werden. Pistorius zog sein Fazit aber schon im voraus. "Ich war bei Olympia, habe dort das Halbfinale erreicht und im Staffel-Finale gestanden. Ich bin bei den Paralympics Weltrekord im 200-m-Halbfinale gelaufen, habe mit der Staffel in Weltrekordzeit Gold gewonnen und war über 100 m Teil eines unvergesslichen Rennens", zählte er auf und kam zu dem Schluss: "Dieser Londoner Sommer war für mich ein einziger Traum."

Damit es kein böses Erwachen gibt, muss Pistorius über 400 m aber unbedingt für ein Happy End sorgen und Gold gewinnen. Und auf seine Ausführungen danach darf man auch schon wieder gespannt sein. (sid)