London. Vor und während Olympia sorgte Oscar Pistorius wegen angeblicher Vorteile selbst für Diskussionen. Nun wurde er durch neue Wunder-Stelzen geschlagen - und beklagte sich bitterlich über eine vermeintliche Benachteiligung. Ein Kommentar.

Für Oscar Pistorius hat sich der Spitzname „Blade Runner“ etabliert. Grob übersetzt: Klingen-Renner. Blade Runner. Das führt zurück auf den Titel eines Films, in dem Harrison Ford die Hauptrolle spielt, einen Zukunftspolizisten, der darauf spezialisiert ist, von Menschen geschaffene und von Menschen kaum zu unterscheidende sogenannte Replikanten zu jagen und auszulöschen. Es gibt rührende Szenen in diesem Film, weil diese Replikanten denken, fühlen, leiden. „Blade Runner“ wurde deshalb auch als Parabel über die Angst vor dem Gleichen und doch Andersartigen interpretiert. So, wie viele andere Sci-Fi- und Fantasy-Werke, die sich mit der menschlichen Reaktion auf das Andersartige, das in diesen Fällen Super-Andersartige auseinandersetzen. Die X-Men-Serie. Watchmen.

Warum wird das alles in einen Sportkommentar hineingewuchtet? Nun, wer das 200-Meter-Rennen bei den Paralympics verfolgt hat, der konnte schon eine düstere Vision davon entwickeln, wie die Zukunft in Teilen des Behinderten-Hochleistungssports aussehen könnte. Was Masse wirklich faszinieren kann, was das Zeug zu echt aufregendem Entertainment hat, wird herausgepickt und vom nach der Quote und nichts als der Quote gierenden Weltfernsehen aufdringlicher und aufdringlicher als Mega-Event der Super-Andersartigen inszeniert, als Mutanten-Stadl, in dem die High-Tech-Waffen für die Duellanten top durchdesignt sind.

Wie lange dauert es, bis Bolt überholt wird?

Klar. Muss nicht passieren. Wo verarmte Würstchen zur Zuschauerfreude im Dschungelcamp Kakerlaken fressen, ist es nur recht wahrscheinlich. Und dass Oscar Pistorius nach dem Rennen bitter darüber klagte, dass sein Bezwinger Alan Oliveira „über Nacht mit Stelzen, die zehn Zentimeter zu hoch sind“, angetreten sei, weist stark in diese falsche Richtung. Den Weltrekord hält nämlich trotz des Zehn-Zentimeter-Tunings Pistorius. Frage: Wie lange wird es wohl dauern, bis die Techno-Sprinter schneller unterwegs sind als einer wie Usain Bolt? Und wie werden sie aussehen beim Rennen um die Sponsoren? Um es so zu formulieren: Der durch ein seltsames Urteil des Internationalen Sportgerichtshofes zu den Olympischen Spielen gelangte Pistorius war schon seinerzeit in London ein tolles Spektakel. Und im Comic gelandet ist er ja auch bereits mit seinen Klingen: als Oscar Victorious.

Einen Beitrag dazu, Normalität herzustellen im Miteinander, im alltäglichen Umgang von Nichtbehinderten mit Behinderten, leisten die Paralympics auf eine solche Weise natürlich nicht. Sollte der oft formulierte Anspruch aber weiterhin Gültigkeit haben, wäre es gut, Regeln zu schaffen, die das Menschliche ganz bescheiden über dem Machbaren einordnen. Ein wenig Aufmerksamkeit würde darüber verloren gehen. Genau die Aufmerksamkeit, die exakt niemand braucht.