London. Die Wattenscheiderin Tamira Slaby bleibt bei großen Wettkämpfen weiterhin vom Pech verfolgt. Die 20 Jahre alte Sprinterin wurde bei ihrem ersten Start in London nach einem Fehlstart disqualifiziert. Beim zweiten Start in ihrer Spezial-Disziplin 200 m reichte es nur zu Platz fünf. Dennoch kämpft Tami weiter.

Sie ist ein Energiebündel. Selbst in diesen Minuten unmittelbar nach dem Lauf, in dem sie auf eine Medaille gehofft hatte und sie nur mit viel Mühe die Tränen unterdrückt, merkt ihr Gegenüber schnell, in dieser Frau steckt eine Menge Power. Sie will - und sie will viel. Deshalb ist Tamira Slaby, die in Essen lebt und für den TV Wattenscheid läuft, nach London zu den Paralympics gekommen. Eine Medaille wäre ihr am liebsten gewesen, „das ist doch klar“, hatte sie im Vorfeld gesagt. Und jetzt das.

Nach dem erfolgreichen Sprung ins Finale über 200 Meter in ihrer Startklasse T 38 reichte es im Finale am Donnerstagabend wie berichtet nur zu Platz fünf in 29.14 Sekunden. Im Vorlauf am Morgen war sie noch persönliche Bestzeit gelaufen (28,63 Sekunden), aber auch das hätte nicht für eine Medaille gereicht.

Tami lief den niederschmetternden Diagnosen davon

Vielleicht wollte sie zu viel und zu schnell. Denn sie war ungeheuer nervös, was auch den Fehlstart am Samstag, im Vorlauf über 100m, erklärt. Mitten im finalen Lauf habe dann ihre Spastik zugeschlagen, „ich konnte nicht mehr“. Aber, fügt sie hinzu, „das ist jetzt auch okay.“ Das ist flapsig gesagt, und im Moment sicher nicht ganz ehrlich gemeint, aber Tamira Slaby wird darüber hinwegkommen, wieder aufstehen und weitermachen.

So wie die 20-Jährige alles in ihrem Leben geschafft hat, was sie sich vorgenommen hat. Gegen alle Widerstände. Zum Beispiel gegen die Meinung der Ärzte, die ihren Adoptiveltern erklärt hatten, der Säugling, bei dem eine leichte Spastik (infantile Cerebralparese) in der linken Körperhälfte diagnostiziert worden war, werde nie sitzen und laufen können. Tamira, oder Tami, wie sie genannt wird, lief allen davon. Das heißt, zuerst radelte sie, der Wirbelwind, der nach eigener Aussage seine Eltern wegen seines Bewegungsdrangs zur Verzweiflung trieb, fuhr Mountainbike, probierte andere schnelle Sportarten.

Eine Klassenkameradin nahm sie mit zur Leichtathletik, das gefiel ihr noch besser, und im Alter von 13 Jahren landete sie beim TV Wattenscheid, einem Klub, dem sie trotz anderer Angebote die Treue hält. „Ich werde immer Wattenscheiderin bleiben.“ Hier läuft sie und läuft und läuft, aber das reicht ihr natürlich nicht. Inliner und Radsport sind zwei von mehreren Hobbys, die sie betreibt.

Mama ist die Beste

Vater und Mutter Slaby sind in London natürlich dabei, vor allem ihre Mutter ist für Tamira eine unglaublich wichtige Person. „Ohne diese Frau würde ich heute im Rollstuhl sitzen.“ Denn genauso, wie Tamira niemals aufgibt, ließ die Diagnose der Ärzte die Eltern nicht resignieren, sondern kämpfen und anstrengende, aber erfolgreiche Therapien beginnen. Dafür ist Tamira mehr als dankbar. Kein Wunder, dass sie im Juli beim Festival des Sports in Bochum zu den Athleten gehörte, die ein Banner mit der Aufschrift „Danke, Mama!“ entrollten. Manches kann eben nicht oft genug gesagt werden.

Heute und morgen hat die junge Leistungssportlerin frei, da wird sie mit ihren Eltern London erkunden. Auch shoppen gehen, neue Baggyhosen und vor allem Haargel. Davon hat die kesse 20-Jährige, die Interviews wie ein Profi gibt, in den letzten Tagen viel verbraucht, damit ihre Stoppelfrisur auf der Bahn im vollbesetzen Olympiastadion auch sitzt.

Slaby lässt ihre Zukunft offen

Wie es nach den Paralympics weitergehen wird, kann Tamira Slaby heute noch gar nicht sagen. „Ich weiß es wirklich nicht“, und das klingt ehrlich. Sie hat eine Förderschule in Essen besucht und sich immer die Zeit gegeben, erst nach London zu überlegen, was werden soll, welche berufliche Zukunft sie sich vorstellen kann.

Das wird sie jetzt auch tun. Sie ist noch jung, in vier Jahren bei den nächsten Paralympics in Rio de Janeiro ist sie erst 24 Jahre. Und weiter laufen wird sie ohnehin. Der Grund dafür ist ganz einfach, sie hat das mal so ausgedrückt: „Ich liebe es zu laufen.“