Essen/Bochum. Bei den Paralympics in London soll es klappen mit der internationalen Medaille - dafür arbeitet die Essenerin Tamira Slaby, Sprinterin des TV Wattenscheid 01, im fast täglichen Training hart. Bereits mit 16 nahm sie vor vier Jahren an den Paralympics in Peking teil - und erreichte immerhin den vierten Platz auf der 100-Meter-Distanz.

Sechs bis sieben Mal trainiert sie. Anderthalb bis zwei Stunden pro Einheit. Dazu Dehn- und Kraftübungen im elterlichen Zuhause in Essen. Jede Woche. Vor allem für ein großes Ziel: Bei den Paralympics in London (29. August - 9. September) auf dem Treppchen zu stehen. Eine Medaille soll her? „Gold“, sagt Tamira Slaby selbstbewusst in ihrem Wohnzimmer, in der eine Vitrine mit all ihren Pokalen und Urkunden schon von so vielen Siegen erzählt, „wäre mir am liebsten, das ist doch klar.“

Bis dahin liegt noch ein langer, harter Weg vor der 19-jährigen Sprinterin des TV Wattenscheid 01, die sich in diesem Jahr voll und ganz auf den international längst professionellen Behinderten-Spitzensport konzentriert - erst nach London will die forsche junge Frau, die an einer Förderschule in Essen einen Abschluss gemacht hat, entscheiden, wie es beruflich weitergehen soll.

Medaille war schon in Peking zum Greifen nah

Nerven jedenfalls hat die Sprinterin mit der leichten Spastik der linken Körperhälfte (Hemiparese; Startklasse: T 38) - und vor allem ein Faible für Tempo: Beim Radfahren, Eisschnellauf, Speed-Skaten tobte sich Klein-Tami aus, ehe sie zum Laufen fand, beim TV Wattenscheid 01. Und schon mit 16 bei den Paralympics in Peking startete: „Mein bisher größtes Erlebnis“, sagt sie. „Die Atmosphäre war super.“ Ihre Eltern Peter und Michaela Slaby, ohne deren Unterstützung in jeder Beziehung kein Erfolg denkbar wäre, fieberten mit 90000 Menschen im Olympiastadion, im „Vogelnest“ mit, als die Finalläufe anstanden - und ihre Tochter gab nach Platz vier (100m) und fünf (200m) Interviews wie ein gestandener Star. Tamira Slaby sagt noch heute cool: „Das war auch nur ein Wettkampf.“

Geärgert hat sie sich dennoch ein wenig, irgendwann - schließlich war eine Medaille greifbar, war sie über 200m den bis heute gültigen Deutschen Rekord in der T-38-Klasse gelaufen (28,71 Sekunden). Auch über 100m hält Slaby den Rekord (14,29), und gleich zum Auftakt 2012 Mitte Januar stellte sie eine neue deutsche Hallenbestmarke über 200m auf (29,67). „Ganz gut“ würde es laufen bisher, im paralympischen Jahr, sagt die ehrgeizige Athletin.

Neuanfang mit neuem Trainer

Große Ziele für Paralympics

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    Verbessern muss sie ihren Start, auch daran arbeitet sie nun hart mit ihrem neuen Trainer Lothar Hesse. Unter Marc Blume, der sie von 2008 bis Ende 2011 betreute, sah sie keinen Fortschritt, die Chemie stimmte nicht mehr. Den Klub wechseln wollte Tamira Slaby aber - trotz guter Angebote - auf keinen Fall: „Ich bin Wattenscheiderin“, sagt sie so bestimmt wie überzeugt.

    Hesse, selbst Spastiker, Mitgründer der Behindertensport-Abteilung des TV 01 und ehemaliger Top-Athlet (u.a. Speerwurf-Weltmeister), verschob eigens seinen Abschied vom (Ehren-)Amt noch einmal, für „Tami“, sagt er - bis London zunächst. „Ich hoffe, dass sie das hinkriegt, wir werden das Training gut dosieren.“ Der Routinier fordert und fördert Slaby nun im Einzeltraining. „Jeder Spastiker ist anders“, sagt er - körperlich und mental. Für fünf Athleten müsse es eben „fünf verschiedene Trainingspläne“ geben im Hochleistungsbereich.

    Die Konkurrenz allerdings schläft nicht, im Gegenteil: Seit Peking 2008, sagt Peter Slaby, hat es im Ausland - in Ländern wie den USA, den Niederlanden oder in Osteuropa hat die Behinderten-Leichtathletik einen höheren Stellenwert und ein weit finanzstärkeres Fördersystem - einen Schub gegeben in der Klasse der T-38er. So liegt Tamira Slaby in der aktuellen Weltrangliste knapp hinter einem Medaillenrang, auf Platz vier (200m) und sechs; so reichte es für Tamira Slaby auch bei der Weltmeisterschaft in Christchurch/Neuseeland vor gut einem Jahr „nur“ zu Platz vier (200m) und fünf (100m) - exakt wie in Peking. Deshalb zählt sie zum B-Kader des Deutschen Behindertensportverbandes - in den A-Kader werden nur (internationale) Medaillen-Gewinner aufgenommen.

    Aber das kann sich ja bald ändern. Nach London.

    ERFOLG MIT DER VOJTY-THERAPIE

    Tamira Slaby hat seit ihrer Geburt eine leichte Spastik (infantile Cerebralparese) in der linken Körperhälfte. Die Ärzte prognostizierten, dass sie später nicht laufen und sitzen kann. „Dafür“, sagt Peter Slaby schmunzelnd, „läuft sie ja ganz schön schnell.“ Mit Ehefrau Michaela hatte er Tamira als Säugling adoptiert - und mit ihr ein Jahr lang eine „für alle anstrengende“, aber erfolgreiche Vojta-Therapie absolviert.