Sotschi. Auch über die 10000 Meter der Männer am Dienstag ließen die niederländischen Eisschnellläufer ihrer Konkurrenz keine Chance und machten den vierten Dreifach-Erfolg für das holländische Team perfekt: Jorrit Bergsma siegte überraschend vor dem Topfavoriten Sven Kramer und Bob de Jong.
Die olympische Eisschnelllauf-Halle liegt natürlich in Sotschi. Aber wer die Adler-Arena betritt, denkt, er sei in Holland. Selbst die Sitze sind in Oranje. Wahrscheinlich eine zufällige Wahl der russischen Innenarchitekten, doch bezeichnend. Oranje, wohin das Auge schaut. Oranje sind die Shirts der Fanmassen, die von Holland in den Kaukasus gereist sind. Und selbst Königin Maxima und König Willem Alexander hatten statt royalen Roben einen Oranje-Trainingsanzug gewählt, um ihren so schnell auf Kufen laufenden Untertanen zuzujubeln.
Da störte es auch nicht, dass Willem in der Halle auch mal bei einem königlichen Nickerchen erwischt wurde. Nicht schlimm, es lief ja gerade kein Holländer. Das Königspaar ist inzwischen zum Skilaufen nach Lech am Arlberg weiter gereist. Ohne Maxima und Willem Alexander geht die Oranje-Party kräftig weiter.
Niederländer schon mit dem bislang besten Abschneiden bei Winter-Olympia
Auch über die 10000 Meter der Männer sah am Dienstag die Konkurrenz gegen die Eisflitzer aus den Niederlanden wie Statisten aus. Jorrit Bergsma siegte überraschend vor dem Topfavoriten Sven Kramer und dem 37 Jahre alten Bob de Jong. Es war der vierte Dreifach-Erfolg der Holländer in der Adler-Arena. Wie überlegen sie sind, zeigt diese einmalige Bilanz. 19 von 27 Eisschnelllauf-Medaillen haben sie gewonnen. Insgesamt gab es 20 Mal Edelmetall (eine im Shorttrack kommt hinzu), sechs in Gold, sechs in Silber und acht in Bronze. Zum Vergleich: Deutschland holte bisher 15, Russland 19, die USA 20. Das bislang beste Abschneiden der Niederländer bei Winter-Olympia 1998 in Nagano (5-4-2) wurde frühzeitig klar übertroffen.
Vor einer Flut haben die Holländer keine Angst: Die Goldflut soll weiter gehen. Noch stehen die 5000 Meter der Frauen und die beiden Teamstaffeln auf dem Programm.
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Seit dieser Woche ist die Stimmung unserer Nachbarn noch ausgelassener, weil endlich ihre Lieblingsband eingetroffen ist. Die Blaskapelle „Kleintje Pils“ gehört zum Eisschnelllauf wie die Toten Hosen zu Fortuna Düsseldorf. In den ersten Tagen waren sie noch verhindert. Die Band der Regionsverwaltung Krasnodar gab sich alle Mühe, aber Kleintje Pils ist eben Kleintje Pils. Keiner bläst den Eisschnellläufern so kräftig den Marsch wie sie.
„Schaatsen“, wie die Holländer ihren Volkssport nennen, liefert sich ein heißes Rennen mit dem Fußball, was die Beliebtheit angeht. Vier Millionen, und damit fast jeder vierte Niederländer, schalteten den Fernseher bei den internationalen holländischen Meisterschaften in Sotschi ein. Im Amsterdamer Olympiastadion brennt nach 86 Jahren wieder die olympische Flamme. Nach jedem holländischen Gold wird am Abend das Feuer entzündet.
Eisschnelllauf ist populär in den Niederlanden
In den Niederlanden schwappt die Euphorie über diesen Siegeszug über. „Oranje übermächtig ... Ein Februar, den man nie mehr vergessen wird. Hollands Glorie - ein Triumphzug in Sotschi“, schwärmte die Tageszeitung De Telegraaf und führte martialisch aus: „Neben Tulpen, Tomaten, Deichen und alten Meistern geht es jetzt um Frauen und Männern mit Muskeln aus Stahl.“ Hoffentlich sind sie nur mit Training und nicht mit Medikamenten entstanden.
Gibt es ein Erfolgsgeheimnis? Die Grachten sind längst nicht mehr eingefroren, daran kann es nicht liegen. Eisschnelllauf ist populär. So beliebt, dass sich holländische Kinder Bilder von Stars wie Ireen Wüst oder Sven Kramer über das Bett hängen.
Das Fördermodell ist ein ganz anderes als bei uns. Es gibt nämlich keins. Von wegen Absicherung bei der Bundespolizei, beim Zoll oder bei der Bundeswehr: In den Niederlanden setzt sich nur der Stärkere durch. Die Eisschnellläufer sind allesamt Profis, die in privaten Teams ähnlich wie im Radsport organisiert sind. Harmonie ist nicht nur kein Zauberwort, es ist ein Fremdwort.
Jan Smeekens wähnte sich über 500 Meter zunächst zeitgleich mit seinem Landsmann Michel Mulder. Dann zog die Jury die Tausendstel zur Bewertung heran. Smeekens wurde auf Platz zwei zurückgestuft. „Es dauert vielleicht Jahre, bis ich dieses Scheißgefühl wieder los bin“, schimpfte Smeekens. „Unser Dreifach-Sieg ist super, aber Eisschnelllauf bleibt eine Einzel-Sportart.“
Heute geht die Oranje-Feier mit dem 5000-Meter-Rennen der Frauen weiter. Ob Claudia Pechstein das Zeug zum Partyschreck hat, muss sich zeigen. Eines ist jedoch klar: Kleintje Pils wird allen wieder kräftig einheizen.