Essen/Duisburg. In der Diskussion um effektivere Sportförderung kritisiert das bei den Olympischen Spielen in London erfolgreichste Bundesland Nordrhein-Westfalen den Bund, DOSB und die Spitzenverbände. Auch Judoka Andreas Tölzer gehört zu den erfolgreichen Athleten aus NRW. Im Schwergewicht über 100 Kilogramm gewann Tölzer Bronze.

Andreas Tölzer ist eine mächtige Erscheinung. Nicht umsonst wird der 1,93-Meter-Mann auch der "Bulle von Gladbach" genannt. An diesem Donnerstag ist es aber nicht sein kräftiger Körper, der sofort ins Auge fällt, sondern die nur 150 Gramm schwere Bronzemedaille um seinen Hals. Die Medaille anfassen? Lieber nicht. Die Angst, der 145-Kilo-Judoka würde in der Sportschule Wedau in Duisburg seinen berüchtigten "Tölzer-Umdreher" anwenden, ist größer als der Drang, die Bronzemedaille zu berühren.

Tölzer ist "wahnsinnig stolz" auf seine Medaille und das sieht man ihm an! Nach Platz 7 in Athen und Platz 9 in Peking hat Tölzer "endlich eine Medaille geholt“. Bislang stand er zwar oft in einem Finale, verlor aber meistens gegen den übermächtigen Franzosen Teddy Riner. Jetzt hat er sich selbst "einen Traum erfüllen" können.

Mehr Aufmerksamkeit für den Judo-Sport erwartet der 32-jährige jetzt aber nicht. Das Interesse am Judo sei schon immer länderabhängig gewesen. In Frankreich habe er zum Beispiel schon vor 18.000 Menschen gegen Teddy Riner gekämpft. "Mein französischer Kollege kann nicht mal in Ruhe in ein Restaurant gehen. In Frankreich gibt es sogar einen eigenen Comic über ihn." In Deutschland dagegen genießt ein Judoka nicht diese Art von Aufmerksamkeit, Tölzer kann noch "in Ruhe in ein Restaurant gehen". Der Nachteil ist aber, dass der Sport dann auch nicht auf große Fördergelder zurückgreifen kann.

Heftige Kritik an Bund und DOSB

Förderung von deutschen Leistungssportlern ist aktuell ein wichtiges Thema für den Landessportbund NRW. "Die Förderung von NRW durch den Bund ist nicht angemessen. Der Bund fördert beispielsweise den Olympiastützpunkt Berlin stärker als die drei nordrhein-westfälischen Olympiastützpunkte zusammen, obwohl diese deutlich mehr Athleten betreuen", sagte Walter Schneeloch, Präsident des Landessportbundes NRW. 113 von 392 Mitgliedern der deutschen Olympiamannschaft (29 Prozent) kamen nach einer LSB-Rechnung aus Nordrhein-Westfalen, von 44 Medaillen entfielen 16 auf NRW-Sportler. Damit ist Nordrhein-Westfalen das erfolgreichste Bundesland bei den Olympischen Spielen in London.

Gisela Hinnemann, Vizepräsidentin Leistungssport des LSB NRW, ergänzte: "In Nordrhein-Westfalen gibt es immer noch zu wenige und zu wenig gut ausgebildete Trainer. Die finanzielle Ausstattung des Leistungssports reicht nicht aus. Statt benötigter 13 Millionen Euro stehen nur 6 Millionen Euro jährlich zur Verfügung." Hinzu käme laut Hinnemann, dass NRW bei der Zusammenarbeit mit dem Deutschen Olympischen Sportbund (DOSB) und den Spitzenverbänden "eine klare Führung" vermisse. Außerdem würden die Potenziale der Sportwissenschaft zu wenig genutzt.

Landesverbände geben Zielvereinbarung nicht an Sportbund weiter

Schneeloch hob hervor, auch die NRW-Strukturen überdenken zu wollen. "Dass teilweise ein und derselbe Trainer sowohl von uns als auch von der Sportstiftung NRW gefördert wird, halte ich für nicht effizient." Wichtig sei zudem ein rigoroses Umdenken beim Schulsport: "Körperliche Fitness und Leistungsfähigkeit, Laufen, Springen und Werfen müssen wieder im Mittelpunkt des Sportunterrichts stehen."

In der gesamten Diskussion um Zielvereinbarungen zwischen DOSB und dem Bundesinnenministerium ist besonders interessant, dass selbst der Sportbund erst durch die Veröffentlichung von den Medaillenvorgaben für das deutsche Olympiateam erfuhr. "Die Verbände geben nichts weiter", so Hinnemann.

Tölzer erreicht persönliches Ziel

Und Andreas Tölzer? Wusste er von einer Zielvereinbarung? Er habe schon mal gehört, dass es so etwas gebe, kannte die Ziele aber nicht. Tölzer hatte allerdings eine "persönliche Zielvereinbarung", die er vor den Spielen mit sich selbst ausgemacht hat. "Und die habe ich erreicht!"

Nicht nur der Gewinn der Bronzemedaille wird Tölzer lange in Erinnerung bleiben. Auch die Begrüßung der Athleten im Hamburger Hafen war eine ganz besondere Erfahrung. "Ich habe das laute Tröten der MS Deutschland immer noch im Ohr." Der Empfang vor über 10.000 Menschen war "unglaublich schön" und "überwältigend". Wahrscheinlich mindestens so überwältigend wie die Begegnung mit einer olympischen Bronzemedaille... (mit sid)