London. Freiwasser-Schwimmer Thomas Lurz verpasste die Goldmedaille über zehn Kilometer nur um 3,4 Sekunden. In der Schwimmszene bleibt er der Unvollendete. Olympiasieger Oussama Mellouli profitierte vom stillen Gewässer im Hyde Park.

Thomas Lurz hat alles getan für die Verwirklichung seines olympischen Traums. 3500 Kilometer hat der mit zehn Weltmeister-Titeln erfolgreichste Langstreckenschwimmer der Welt in den vergangenen zwölf Monaten abgespult, um endlich auch Olympiasieger zu werden. Alles hat er vorher genau analysiert. Auch die kleinsten Unwägbarkeiten ins Kalkül einbezogen. Weil der Serpentine Lake im Londoner Hyde Park nur eine Temperatur von knapp 20 Grad hat, hat er sogar zwei Kilo zugenommen. Körperfett schützt vor Auskühlung. Aber am Ende hat es nach Bronze vor vier Jahren in Peking auch diesmal nicht zum ganz großen Ding gereicht. Lurz bleibt der Unvollendete in der Schwimmszene. Der Tunesier Oussama Mellouli war noch um 3,4 Sekunden schneller als der Würzburger, der sich aber im Endspurt die Silbermedaille vor dem Kanadier Richard Weinberger sicherte. Es war die erste Medaille in London für den arg gebeutelten Deutschen Schwimm-Verband.

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„Klar, ich wäre sehr, sehr gern Olympiasieger geworden“, sagte Lurz, „aber ich wusste, dass Mellouli unglaublich schnell ist. Ich muss mit Silber zufrieden sein.“ Der Tunesier ist der erste Schwimmer der Welt, der im Becken und im Freiwasser olympische Medaillen gewonnen hat. Vier Jahre nach seinem Olympiasieg über 1500 Meter hatte er im Londoner Aquatics Centre Bronze über diese Strecke gewonnen. „Mellouli hat das gut gemacht. Der Wechsel vom Pool in den See ist nicht so einfach“, sagte Lurz, „ich habe damit gerechnet, dass er sich absetzt. Leider ist meine Hoffnung nicht eingetreten, dass er am Ende einbricht.“

Mellouli profitierte laut Wurz "vom ruhigen Park-Gewässer"

Der 28-jährige Mellouli, der schon einmal wegen eines Dopingverstoßes für 18 Monate gesperrt war, hat sich in diesem Jahr erstmals ins Freiwasser getraut. „Er hat davon profitiert, dass der See im Hyde Park ein fast so ruhiges Gewässer ist wie ein Pool“, erklärt Lurz, „im Meer wäre es schwerer für ihn gewesen. Da hätte ihm die Erfahrung gefehlt.“

In vier Jahren bei den Sommerspielen in Rio de Janeiro werden die olympischen Medaillen wieder im Meer ausgeschwommen. Ob der diplomierte Sozialpädagoge Lurz dann mit 36 Jahren noch einmal einen Anlauf nehmen wird, den Stempel des Unvollendeten abzulegen, darüber will er erst später entscheiden. Es wird auch eine Frage der finanziellen Absicherung sein.

Gast-Dozent mit Motivationsvorträgen

Als Gast-Dozent hält er Vorträge über das Thema „Motivation und Training“. Gemeinsam mit Yasmin Fargel hat er das Buch „Auf der Erfolgswelle" geschrieben. Er könnte sich auch vorstellen, eine Fast-Food-Filiale zu eröffnen. Ob dann noch Zeit für die tägliche Schinderei bleibt, ist fraglich.

Und als dann alle Fragen über Gegenwart und Zukunft beantwortet waren, eilte Lurz erst einmal unter die Dusche. Schließlich ist der See im Hyde Park alles andere als ein kristallklarer Bergsee. Der Serpentine Lake gilt als „Entenklo“. Und wie lautet die Wasseranalyse von Thomas Lurz? „Das kann ich bestätigen, aber wir Freiwasserschwimmer sind noch ganz andere Dinge gewohnt“, sagte er. Tierkadaver oder Holzlatten mit Nägeln blieben ihnen diesmal erspart. „Gegen argentinische Gewässer war das hier geradezu Trinkwasser“, sagte Stefan Lurz, der seinen Bruder trainiert, „aber wahrscheinlich hat er jetzt erst mal zwei, drei Tage Durchfall.“ Und immerhin eine Silbermedaille.