Pyeongchang. “Halbfinale, allein das Wort, das ist unglaublich“, sagte Eishockey-Bundestrainer Marco Sturm. Sein Team hat bei Olympia die Sensation geschafft.

Die Schiedsrichter wollten alles ganz korrekt machen. Sie gingen zum Videobeweis, schauten sich die Szene aus der 90. Sekunde der Verlängerung an und kehrten anschließend aufs Eis zurück, um ihre Entscheidung zu verkünden. „We have a good goal“, dröhnte es durch die Lautsprecher des Kwandong Hockey Centre. Es war nicht nur ein gutes, also reguläres Tor, es war einer der größten Momente in der deutschen Eishockeygeschichte, für den Patrick Reimer mit seinem Treffer zum 4:3 (2:0, 0:0, 1:3, 1:0) gesorgt hatte. „Ich konnte es kaum erwarten, dass er den Arm zum Mittelpunkt zeigt. Da gab’s nichts zu mäkeln“, strahlte der Nürnberger, der die Auswahl des Deutschen Eishockey-Bundes zum ersten Mal in ein olympisches Halbfinale geschossen hat.

Bundestrainer Sturm: "Allein das Wort, das ist unglaublich"

„Halbfinale, allein das Wort, das ist unglaublich“, sagte Bundestrainer Marco Sturm, schüttelte den Kopf und lächelte. Seine Mannschaft hatte gerade den Weltmeister Schweden im Viertelfinale bezwungen. „Von außen betrachtet ist das mehr als eine Sensation“, sagte DEB-Präsident Franz Reindl, „die Mannschaft ist über sich hinausgewachsen.“ Zum ersten Mal seit 26 Jahren konnte ein deutsches Team die Skandinavier bei einem großen Turnier schlagen. Nun wartet Kanada als nächster Gegner, am Freitag treffen beide Mannschaften im Halbfinale aufeinander (13.10 Uhr MESZ). Das zweite Halbfinale bestreiten Tschechien und Russland.

Zum ersten Mal seit 1976, damals wurde nach einem anderen Modus ohne Halbfinale gespielt, greift die DEB-Auswahl nun nach Edelmetall. „Wir haben immer von dem Traum gesprochen, dass wir um Medaillen hier mitspielen wollen – und wir haben es geschafft“, sagte Reimer, der zuvor zwei Spiele angeschlagen hatte pausieren müssen und erst gegen Schweden wieder im Aufgebot stand. Reimer war auch vor gut neun Monaten dabei, als man bei der Heim-WM in Köln in der Gruppenphase 2:7 gegen den späteren Weltmeister unterlag. Damals traten beide Mannschaften mit Unterstützung aus der NHL, der besten Liga der Welt an. Diesmal nicht, die NHL lässt ihre Profis nicht mitmachen in Südkorea. Das eröffnet für Mannschaften wie Deutschland ganz neue Perspektiven.

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Nur einen Tag nach dem Erfolg in der Viertelfinal-Qualifikation gegen die Schweiz (2:1 n.V.) war die Partie gegen die direkt in die Runde der besten acht eingezogenen und daher ausgeruhten Nordeuropäer eine enorme Belastungsprobe. „Schweden hat uns gebogen und gebogen, aber hat uns nicht gebrochen“, sagte Stürmer Patrick Hager. Schweden kämpfte verzweifelt um die Dominanz, die einem Weltmeister geziemt gegen einen Außenseiter. Doch die Partie mochte dem Favoriten nicht so leicht in die Hände fallen.

Nach starkem Beginn der Skandinavier brachte wie schon gegen die Schweiz ein Überspiel das erste Tor für die DEB-Auswahl. Christian Ehrhoff traf von der blauen Linie (14.). Ein Schock für die Schweden, der sich, ehe sie ihn verdaut hatten, noch vervielfachte. Denn 29 Sekunden nach dem Kölner sah der Berliner Marcel Noebels den frei liegenden Puck vor dem Tor und schlenzte ihn ins Netz (15.). „Ein unglaubliches Gefühl, ich kann das gar nicht fassen“, sagte der Angreifer des EHC Eisbären.

Mit dieser ungewohnten Situation tat sich der Weltmeister schwer. Die DEB-Auswahl spielte voller Mut und Selbstvertrauen, stürmte nach vorn, schoss. Erst zur Hälfte der Partie übernahmen die Schweden wieder die Kontrolle. Mit konstant hohem Tempo und mit schnellen Pässen drängten sie das Team von Bundestrainer Sturm zurück. Das opferte sich in der Defensive füreinander auf, stand gut und blockte viele Schüsse. „Ich bin einfach nur stolz auf diese Mannschaft“, sagte Sturm: „Sie hat alles gegeben, alles reingeschmissen, was ging. Sie hat sich für ihre harte Arbeit belohnt.“ Erst zum Ende des zweiten Drittels war dem Team anzusehen, dass die wuchtiger werdenden Angriffe der Schweden an den Kräften zehrten.

Patrick Reimer war der Siegtorschütze

Den Anschluss mussten sich die Schweden dennoch schwer erarbeiten, Anton Lander stocherte den Puck ins Netz (47.). Zwar traf Dominik Kahun gleich zum 3:1 (49.), doch binnen weniger Minuten hatten die Schweden den Ausgleich durch Patrik Hersley (50.) und Mikael Wikstrand (52.) hergestellt. „Es war nicht einfach, das 3:3 hinzunehmen und dann zurückzukommen“, sagte Ehrhoff, dem diese Leistung genug Anlass bietet, auch in die kommende Partie voller Hoffnung zu gehen. „Wir sind natürlich überglücklich mit dem Erreichten, der Weg soll aber noch nicht zu Ende sein“, sagte Siegtorschütze Reimer. Die Suche nach Superlativen für das Auftreten der deutschen Mannschaft in Pyeongchang scheint dabei schwerer als der nächste Sieg zu sein.