Witten/Tokio (JP). Der sehbehinderte Wittener Leichtathlet Marcel Böttger startet am Freitag im 100-m-Lauf bei den Paralympics. Förderung durch die Stadtwerke.
Vor seinem Abflug nach Japan war er noch gar nicht so ganz sicher, ob er auch an der Eröffnungsfeier der Paralympischen Spiele teilnehmen sollte. „Das dauert ja doch alles recht lange“, hatte Leichtathlet Marcel Böttger bei einem kurzfristig angesetzten Besuch bei Bürgermeister Lars König nachdenklich gesagt. Vor Ort aber war der 28-Jährige schließlich doch schnell gepackt vom Flair dieses Großereignisses - und so lief Böttger, einer von 133 deutschen Behindertensportlern bei diesen Paralympics, am Dienstag doch ins weite Rund des Olympiastadions von Tokio ein, schwenkte begeistert sein schwarz-rot-goldenes Fähnchen.
Ernst wird es für den sehbehinderten Sportler zum ersten Mal in der Nacht zum Freitag. „Mein Vorlauf ist am 27. August, deutscher Zeit um 3.13 Uhr - ich hoffe, da steht ihr auch alle früh für mich auf“, flachste Marcel Böttger, der bei den Spielen in der Klasse T 12 (Sportler mit zwei bis fünf Prozent Sehkraft) an den Start gehen wird. Die national für Tokio geforderte Norm von 10,87 Sekunden hatte er zwar mit seinen bei den Europameisterschaften in Polen gelaufenen 10,95 Sekunden knapp verpasst, doch angesichts seiner Weltranglistenposition und auch wegen seiner stabil guten Resultate nominierte ihn der Deutsche Behinderten-Sportverband doch für die Paralympics in Fernost. Gemeinsam mit seinem „Guide“ Alexander Kosenkow (44), der als Sprinter selbst schon vier Mal an Olympischen Spielen teilgenommen hatte, wird Böttger versuchen, einen Platz unter den besten Athleten der Welt zu ersprinten.
Stadtwerke Witten fördern Böttger spontan mit 1000 Euro
„Ich bin beeindruckt von dem großen Einsatz, den Marcel Böttger für seinen Traum von den Paralympics bringt“, sagte Bürgermeister Lars König beim Empfang. „Es ist schön, dass Witten nach mehreren Jahren wieder einen Sportler bei den Spielen hat. Ich wünsche ihm viel Erfolg in Tokio.“ Die Stadtwerke Witten unterstützten den ehrgeizigen 28-Jährigen, der seinem Hauptberuf als Physiotherapeut in einer Wittener Praxis nachgeht, spontan mit 1000 Euro. „Für uns ist es eine große Freude, dass wir Marcel Böttger fördern. Er ist ein Ausnahmesportler in unserer Stadt, der in kurzer Vorbereitungszeit sehr große Erfolge feiern konnte. Wir drücken die Daumen und wünschen ihm in Tokio schnelle Beine“, sagte Stadtwerke-Geschäftsführer Andreas Schumski.
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Erst vor gerade mal vier Jahren hatte Marcel Böttger, der seine Sehkraft schon als Baby wegen eines Tumors hinter beiden Augen weitgehend eingebüßt hatte, mit der Leichtathletik begonnen. Zuvor versuchte er sich an Fußball und Handball, eine damalige Leichtathletik-Trainerin des TV Wattenscheid 01 aber erkannte sein Talent, überredete ihn zum Wechsel. „Dabei“, sagt Marcel Böttger, „war ich anfangs ziemlich faul.“ Das allerdings hat er inzwischen im Griff. Sechsmal pro Woche trainiert er, was selbst seinen läuferischen Begleiter Kosenkow beeindruckt. „Das ist absoluter Hochleistungssport. Ich habe großen Respekt vor dem, was Marcel leistet.“
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Seit 2019 sind die beiden nun durch ihre Leidenschaft für den Sprint quasi eine Erfolgsgemeinschaft. Bei den Rennen sind Böttger und sein „Guide“ durch ein etwa zehn Zentimeter langes Kunststoffband mit Schlaufen für die Hände an beiden Enden miteinander verbunden. „Anfangs sind wir noch völlig unrhythmisch gelaufen“, erinnert sich der Wittener. „Es hat etwa drei Monate gebraucht, bis es einigermaßen klappte.“ Beide pflegen in etwa den gleichen Laufstil, mit kurzen, explosiven Schritten. „Wir sind beide nicht fürs Langsame gemacht“, flachst der 28-Jährige.
Wo die größte Schwierigkeit für einen sehbehinderten Sportler und seinen Begleiter liegt? „Ganz klar beim Start. Da muss der Bewegungsablauf absolut stimmen. Wenn man da aus dem Rhythmus kommt, hat man keine Chance mehr“, führte Böttger aus. Dass er seine bisherige Bestzeit wohl in Tokio wird unterbieten müssen, wenn er ins Finale möchte, dessen ist er sich vor seiner Paralympics-Premiere bewusst. „Eine 10,70 wird es da schon sein müssen“, so der Wittener. Schon die Qualifikation fürs Halbfinale am 28. August (der Endlauf ist am Sonntag) wäre allemal ein Erfolg. Ganz vorne scheint Gold quasi jetzt schon vergeben. „Den Norweger kann keiner schlagen, das steht für mich fest“, sagt Böttger. Für Weltrekord-Inhaber Salum Ageze Kashafali stehen nämlich formidable 10,45 Sekunden zu Buche, eine unfassbare Zeit.
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Marcel Böttger will sich da schon lieber auf seinen eigenen Wettbewerb konzentrieren. „Es ist wirklich schade, dass in Tokio auch bei uns keine Zuschauer vor Ort sind. Die Stimmung im Stadion wäre sicher toll gewesen.“ Wobei das für den 100-Meter-Sprinter nichts wirklich Neues ist. „Bei unseren sonstigen Wettbewerben sind die Stadien auch leer. Wenn sich da nicht mal jemand verirrt, kommt keiner“, sagt der Wittener lakonisch. „Für mich ist es einfach ein Traum, der mit den Paralympics in Erfüllung geht. Ich fühle mich sehr gut und freue mich auf meinen Wettkampf mit den besten Athleten der Welt.“