Velbert/Essen. In Essen und Umgebung auf fast jedem Sportplatz bekannt – nur nicht unter seinem echten Namen: „Winnetou“. Was macht er nun ohne Fußball?
Seine Jagdgründe waren in den vergangenen Jahren bevorzugt Velbert und Essen. Doch er späht auch auf etlichen anderen Fußballplätzen am Niederrhein: „Winnetou“. Der ist nicht nur den Fans der Abenteuer-Erzählungen von Karl May bekannt, sondern auch der regionalen Fußballszene.
Wie es sich für einen Häuptling gehört, ist „Winnetou“ eine auffällige Erscheinung: Mit den langen Haaren, die ihm den Namen gaben, dem Stock, den er wegen eines Knieleidens benötigt, und der lauten, markanten Stimme, mit der er meinungsstark das Spielgeschehen kommentiert, das er zugleich auch schriftlich festhält.
Seit etlichen Jahren beobachtet der Mann, der wie der bekannte Apachen-Häuptling heißt, Spiele im Dienste verschiedener Vereine. „Inoffiziell bin ich auch immer noch als Schiedsrichter-Beobachter auf Kreisebene im Einsatz“, sagt er.
Winnetou glaubt alles besser zu wissen – und vieles weiß er wirklich besser
Vor einem Jahr arbeitete er lose mit dem Velberter Obeligisten zusammen, davor in Essen mit dem ETB Schwarz-Weiß, davor für etliche andere. Aufstellungen, Taktik, Stärken und Schwächen der Spieler etc – alles wird säuberlich aufs Papier gebracht. „In digitalen Zeiten ungewöhnlich: Aber er hat mir alles per Post in den Briefkasten geschickt“, sagt TVD-Trainer Marc Bach, der Winnetou so beschreibt: „Er kann auch mal anecken, aber das gehört dazu. Er ist ein guter Typ, ein Fußballbekloppter. Er kennt viele Leute und viele Leute kennen ihn.“
Den bürgerlichen Namen kennen allerdings nur wenige. Auch Bach musste auf unsere Anfrage passen: „Ich hatte ihn bei meinen Kontakten unter Winnetou gespeichert.“ Sein Trainerkollege Ralf vom Dorp, derzeit noch beim ETB und zuvor lange beim SC Velbert, kann aufklären: „Er heißt Klaus Wilcken und war früher Schiedsrichter.“
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Dass Wilcken mitunter aneckt, erklärt vom Dorp so: „Er glaubt, er hat die Fußballweisheit mit Schaumlöffeln gescheffelt.“ Da ist was dran: „Ich bin ein Freund klarer und auch harter Worte“, sagt „Winnetou“. Dem Sportlichen Leiter eines Essener Traditionsvereins warf er mal diesen verbalen Tomahawk an den Kopf: „Ich habe mehr Ahnung vom Fußball im kleinen Finger als der gesamte kleine Mann, der hier vor mir steht.“ So geht dann auch mal eine Zusammenarbeit zu Ende.
„Auf jeden Fall ist er ein wandelnder Fußball-Almanach. Vor allem zu historischen Spielen weiß er alles“, sagt vom Dorp. Recht hat er: Will man „Winnetou“ mit einer perfekt auswendig gelernten Aufstellung vom WM-Halbfinale Deutschland gegen Italien 1970 in Mexico-City beeindrucken, kontert er sofort: Er wisse heute noch, dass Gerd-Müller-Bewacher Rosato per Fallrückzieher auf der Torlinie gerettet hat.
Diese Szene und überhaupt der vielfach geschmähte Catenaccio der Italiener haben ihn so beeindruckt, dass sie seine Vorstellung vom Fußball bis heute prägen. „Defensiv-Stil ist schlau: Weniger aufwendig, aber meist erfolgreich. Deshalb wird zum Beispiel auch Holland nicht Weltmeister.“ Das sagte er seinerzeit auch gerne dem Essener Zweitligastürmer Erwin Koen. Fast überflüssig zu erwähnen: Der RWE-Fan-Liebling ist Holländer.
Ein Banküberfall als Tiefpunkt – aber zu seinen Fehlern will er stehen
Als Freund des gepflegten Abwehrspiels ließ „Winnetou“ Wilcken dem langjährigen Macher von Turu Düsseldorf folgende Analyse zukommen: „Euer Problem ist: Ihr habt immer Scheiß-Innenverteidiger.“
Allerdings – baut er selbst mal Mist, gilt: „Da stehe ich zu, überhaupt zu allem, was ich sage oder mache. Sind es Fehler, dann muss ich eben die Konsequenzen tragen.“ Deshalb geht er auch mit der größten Fehlanalyse seine Lebens souverän um: Er hatte mal einen Banküberfall versucht.
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Das ist mittlerweile ein Vierteljahrhundert her, bleibt aber auch deshalb haften, weil es doppelt dämlich war. Er hatte sich nämlich eine Hypothekenbank ausgesucht. „Ich hab mich schon am Eingang gewundert. Als ich dann drin war, sagten sie mir: Hier gibt es kein Geld. Aber ich könnte gerne ein paar Schuldscheine mitnehmen.“ Die Polizei nahm ihn dann mit, er bekam zweieinhalb Jahre, wurde aber deutlich eher entlassen. „Ich bin denen da richtig auf den Geist gegangen.“ Was ihn bei dieser Bank-Aktion geritten hatte, erklärt er mit der Variante einer weit verbreiteten Erklärung für Jugendsünden: „Ich war mittelalt und brauchte das Geld.“
Seinen Ruhestand genießt er zurzeit auf Madeira – weg von Deutschland
Angefangen hatte er einst im Stahlhandel, dann trat er jedoch in die Dienste von Hannover 96. Seither ist Fußball sein Lebensinhalt: Spiele analysieren und auch als Schiedsrichter leiten, was so lange ging, bis die Arthrose die Laufbahn 2012 stoppte.
Mittlerweile ist er 66 Jahre alt, Rentner und genießt seinen Ruhestand gerade auf Madeira. Seine Angriffslust hat der „Apachenkrieger“ aber keineswegs verloren: „Das ist hier eine Art Exil für mich. In Deutschland wird ja alles immer bescheuerter“, sagt er mit Blick auf die Pandemie-Einschränkungen. Er sei keineswegs Corona-Leugner, kritisiere aber Politik und Virologen scharf.
Deshalb ist aus dem einstigen Italien-Fan ein Schweden-Anhänger geworden. Die Skandinavier stehen für weniger Beschränkungen bei der Pandemie-Bekämpfung. „Ich saß im Trikot der schwedischen Nationalmannschaft in der Straßenbahn und wurde von Leuten, die wussten, was ich damit ausdrücken will, beschimpft.“
Und wenn schon: „Ich mag es, die Leute gegen mich aufzubringen. Das war ja schon so, als ich noch als Schiedsrichter auf dem Platz war.“