Mülheim. Der 1. BV Mülheim hat sich aus der Bundesliga zurückgezogen. Und steht damit nicht alleine da. Die Badmintonliga steht am Scheideweg.

Wenn Ende Februar, Anfang März, die Weltspitze des Badminton nach Mülheim kommt, blickt die gesamte Szene auf die Ruhrstadt. Die Yonex German Open sind über die Stadtgrenzen hinweg ein beliebter Treffpunkt für Badminton-Enthusiasten.

In der laufenden – und trotz Corona noch nicht abgebrochenen Saison – war mit dem 1. BV Mülheim auch ein Verein in der 1. Bundesliga vertreten. Über viele Jahre spielen die Mülheimer in der Beletage des deutschen Badminton. Und waren auch stets ein Anwärter auf die Playoffs, manchmal sogar auf den Titel. Dieses Kapitel endet nun. Die Mülheimer ziehen ihre Mannschaft zurück, spielen künftig in der 2. Bundesliga. Und mit diesem Schritt stehen sie nicht alleine da. Die Liga hat ein Problem. Das zu lösen, wird nicht einfach. Eine Bestandsaufnahme.

Die großen Mülheimer Erfolge liegen lange zurück

Die ganz großen Erfolge liegen 40 Jahre zurück. 1980 wurde der 1. BV Mülheim zuletzt deutscher Mannschaftsmeister in Badminton. Es war das Ende einer 13 Jahre andauernden Siegesserie des Rekordmeisters. Seit 1968 stellte immer der 1. BVM den Meister. Nach 1980 nie wieder.

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Trotzdem sind die Mülheimer einer der traditionsreichsten Vereine. Allerdings hatten sie sich auch schon nach der Saison 1991/92 aus der Bundesliga zurückgezogen, damals ging es in die Oberliga. Es folgte eine lange Abstinenz, erst 2011 gelang die Rückkehr in die Eliteliga. 2013 und zuletzt sogar noch 2019 belegte der Verein den dritten Rang, 2014 und 2015 wurde Mülheim gar deutscher Vizemeister. Ein Erfolg, der Mülheim gut zu Gesicht stand – schließlich ist dort einer der Bundesstützpunkte beheimatet.

Nur wenige Stützpunktspieler schlagen für Mülheim auf

Die besten deutschen Einzelspieler leben und trainieren in Mülheim. Von den Stützpunktspielern gehörte nur noch Alexander Roovers zum Kader des 1. BV Mülheim. Und der fiel verletzt aus. Eine Rückkehr auf den Court ist ungewiss. „Geld regiert die Welt. Und da gibt es auch in NRW entsprechende Konkurrenz“, sagt Frank Thiemann, 1. Vorsitzender des 1. BV Mülheim.

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Johanna Goliszewski (l.) und Lara Käpplein spielen seit vielen Jahren für den 1. BV Mülheim.
Johanna Goliszewski (l.) und Lara Käpplein spielen seit vielen Jahren für den 1. BV Mülheim. © FUNKE Foto Services | Martin Möller

Die Topspieler schlagen längst für Bischmisheim, Lüdinghausen oder Beuel auf. Der 1. BV Mülheim hatte mit Lara Käpplein und Johanna Goliszewski zumindest noch zwei Doppelspezialistinnen, die sich erst kürzlich aus der Nationalmannschaft zurückgezogen haben, im Kader. Ansonsten war das Team gespickt mit ausländischen Akteuren.

Heimische Spieler sollen das Publikum anlocken

Sportlich reichte das, um in der Liga zu bleiben. Bevor die Saison wegen des Coronavirus unterbrochen wurde gab es sogar noch Chancen auf die Playoffs. Wirtschaftlich wird das aber immer schwieriger – zumal auch die Zuschauerzahlen mindestens ausbaufähig sind.

„Es gibt nicht genügend deutsche Spieler, um Bundesligamannschaften damit zu bestücken“, sagt Frank Thiemann. Die Alternative wäre ein Qualitätsverlust in der gesamten Liga. Deshalb setzt man in Mülheim künftig auf die lokalen Helden in einer tieferen Liga – auch, um mehr Zuschauer zu generieren. „Wir erhoffen uns darüber eine bessere Akzeptanz beim Publikum“, sagt Thiemann über den Kader, der in der 2. Liga eine gute Rolle spielen soll.

Freystadt und Wesel tun es Mülheim gleich

Dass die Mülheimer mit ihrem Schritt zurück nicht alleine dastehen zeigt die Tatsache, dass auch der TSV 1906 Freystadt aus der Bundesliga zurückzieht. Der BV RW Wesel nimmt sein Aufstiegsrecht in die 1. Liga nicht wahr und zieht sogar aus der 2. Bundesliga zurück. In Wesel geht es zurück in die Regionalliga.

„Die Bundesliga wird immer teurer. Durch die Struktur mit dem Deutschen Badmintonverband (DBV) und dem Deutschen Badminton Liga Verband (DBLV) kommen weitere Kosten auf uns zu“, sagt Thiemann. Bundesliga um jeden Preis? Das Risiko wollten sie in Mülheim nicht gehen.

Bundesliga soll attraktiver werden

Denn ähnlich wie bereits in anderen Sportarten hat der DBV sein Produkt Bundesliga an den DBLV ausgegliedert. Ab der kommenden Saison ist dieser für die ersten beiden Ligen verantwortlich – und möchte die Liga attraktiver machen.

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Dass mit Mülheim, Freystadt und Wesel gleich drei Mannschaften auf die 1. Liga verzichten, findet der DBLV-Vorsitzende Arno Schley nicht kritisch. „Es ist bedauerlich, aber wir hatten in der Vergangenheit immer wieder Abgänge und Zugänge in der Liga. Ich bin aber überrascht, dass wir es geschafft haben, die Bundesliga ohne Probleme auf zehn Mannschaften aufzufüllen. Für die zweite Liga haben wir sogar mehr Bewerber als wir benötigen“, sagt er.

Spieltage sollen Eventcharakter bekommen

Das sichert zumindest einen konstanten Ligabetrieb, wenn es nach Corona weitergehen kann. Allerdings macht das die Hallen noch lange nicht voll. Zumal mit Freystadt ein Verein zurückgezogen hat, der in den vergangenen Jahren eben dieses Problem nicht hatte. „In den ländlichen Regionen hat Badminton Bundesliga einen anderen Stellenwert. Im Ruhrgebiet ist es sehr fußballlastig“, sagt Thiemann.

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„Wir müssen versuchen, mehr Eventcharakter in die Veranstaltungen zu bringen“, sagt Arno Schley. Er weiß aber auch: „Dafür muss man investieren. Es kann sich dann auch negativ auswirken. Vielleicht reicht das Geld nicht aus, vielleicht amortisiert es sich nicht.“ Ob mehr Sponsoren und Zuschauer angezogen werden? Ungewiss.

Partien werden im Livestream übertragen

Gewiss ist aber, dass die Erstligisten aber der kommenden Saison verpflichtet sind, den Zuschauern einen Livestream anzubieten. Das Equipment stellt der Verband, das Personal die Vereine. „Ich finde Professionalisierung an sich gut, aber das passt nicht in den Rahmen. Wir haben nur Ehrenamtler und wenn wir dafür jemanden einkaufen müssen nehmen wir Kosten für den Gastverein in die Hand“, sagt Frank Thiemann und gibt zu bedenken: „Vielleicht kommen dann noch weniger in die Halle.“

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Auch dieses Problem soll langfristig gelöst werden – hier hat Arno Schley aber „keine Patentlösung. Aber ich glaube, dass wir den Veranstaltungen einen gewissen Rahmen geben müssen. Dabei dürfen wir aber keinen Verein verlieren.“

Tischtennis-Bundesliga als Vorbild

Als Beispiel nennt er die Tischtennis-Bundesliga. Allerdings: Mit Timo Boll und Dmitry Ovtcharov hat Tischtennis auch zwei internationale Aushängeschilder vorzuweisen. Das fehlt dem Badminton seitdem Marc Zwiebler im Sommer 2017 seine internationale Karriere beendet hat.

Auch um neue international anerkannte Spieler zu formen, hat der DBV ein Nachwuchskonzept vorgelegt. „So wollen wir wieder mehr Spitzenspieler hervorbringen. Die internationalen Topleute können dann für zusätzliche Attraktivität sorgen“, sagt DVB-Vizepräsident Uwe Gredner.

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Finanziell stehen die Vereine gut da

Vielleicht gelingt es über diese Zugpferde dann auch wieder, den Freizeitsportler für die Bundesliga zu begeistern – und so letztlich die Hallen zu füllen. „Es braucht Idole, die in den Medien präsent sind“, sagt Arno Schley, der froh ist, dass die Vereine zumindest in finanziell ruhigen Fahrwassern fahren. „Vielleicht müssen wir im Sport insgesamt ein Stück zurück zu den Wurzeln. Aber das bestimmen die Vereine selbst. Ich bin jedenfalls froh, dass wir Badmintonspieler nicht das extreme Profitum haben“, sagt er.

Eine Patentlösung für die Probleme, die die Badmintonliga hat, hat er keine. Und wie schwierig die Professionalisierung einer Liga ist zeigt das Beispiel Volleyball. Dort versuchte man schon ab 2012 die Strukturen zu verändern, stellte hohe Auflagen an die Vereine. Die Folge: Traditionsreiche Klubs wie beispielsweise Unterhaching konnten die Bundesliga nicht mehr finanzieren. Den Sprung aus dem Schatten anderer Sportarten wie Basketball oder Eishockey ist der Liga nie gelungen.

1. BV Mülheim will langfristig zurück in die Bundesliga

Auch unter diesen Eindrücken scheint die Entscheidung von Frank Thiemann und seinen Mitstreitern beim 1. BV Mülheim eine kluge zu sein. „Manchmal ist es vielleicht besser einen Schritt zurückzumachen, um dann zwei nach vorne zu gehen“, sagt Thiemann.

Langfristig wäre das für Mülheim gut. Damit die Badmintonhauptstadt nicht ohne Bundesliga bleiben muss.