Moers. Rene Lewejohann, neuer Trainer des Landesligisten, hatte andere Angebote. Warum er sich für Scherpenberg entschieden hat - und was er plant.
Die Situation vieler Fußballtrainer in Deutschland vergleicht Rene Lewejohann mit dem Innenleben einer mit Sandkörnern gefüllten Eieruhr: „Viele wollen rein, nur wenige kommen durch.“ Rene Lewejohann ist, was die neue Spielzeit 2024/25 anbetrifft, erst einmal durchgekommen. Auch wenn sich der Wechsel des 40-jährigen Herners, der in seiner Heimat auch für die beiden ehemaligen Zweitligisten Westfalia Herne und DSC Wanne-Eickel aufgelaufen ist, nicht gerade wie ein beruflicher Fortschritt liest. Das Integrated Academy Team mit U18-Spielern aus den USA gibt Schalke 04 zum 30. Juni auf. Damit fällt auch Lewejohanns Posten als Co-Trainer neben Ex-Profi Patrick Weiser (Köln, Rennes, Wolfsburg) dort weg. Im Engagement beim Landesligisten SV Scherpenberg sieht der ehemalige Angreifer seine nächste Chance, wie er im Interview betont.
Herr Lewejohann, von Schalke zu Scherpenberg klingt mutig. Was hat Sie letztlich zu diesem Schritt bewogen?
Ich wollte wieder einen Cheftrainerjob haben. Dazu geht meine Zeit auf Schalke nach vier Jahren Nachwuchsleistungszentrum zu Ende. Das Projekt Scherpenberg hat mich gepackt, Sven Schützek als Sportlicher Leiter hat sich sehr um mich bemüht, es fühlt sich ehrlich an. Mit Sven spreche ich derzeit öfter als mit meiner Frau. Na klar, der SV Scherpenberg ist nicht Real Madrid, ist aber ein Begriff im Amateurfußball. Wir werden einen neuen Kader zusammenstellen mit jungen, hungrigen Spielern, die Bock haben. Ich habe dazu in Gregor Grillemeier einen Ex-Profi als Co-Trainer an meiner Seite. Von ihm werde ich auch lernen, das habe ich in unserem Gespräch nach wenigen Minuten gemerkt. Kurz und gut: Ich bekomme die Chance, als Cheftrainer meine eigene Handschrift weiter zu entwickeln und mich zu verwirklichen. Scherpenberg kann dazu ein Sprungbrett für mich sein.
Letzteres setzt natürlich auch Erfolg voraus. Wird deshalb das Maximalziel in der neuen Saison Aufstieg in die Fußball-Oberliga heißen?
Über Ziele kann ich erst sprechen, wenn der Kader steht. Alles andere wäre unseriös. Aber: Intern werden wir uns Druck geben. Und: Mein Telefon steht nach meiner Zusage für Scherpenberg nicht still. Wenn es um neue Spieler geht, müssen wir trotz vieler Angebote alles durchdacht machen.
Lewejohann: Nico Klotz ist ein gewichtiger Faktor, wenn er fit ist
Ex-MSV-Profi Nico Klotz galt eigentlich schon als Abgang. Offenbar hat er sich aber noch nicht entschieden. Werden Sie mit Klotz noch einmal sprechen?
Ich wäre ja blöd, wenn ich es nicht machen würde. Nico ist als Außenverteidiger doch ein gewichtiger Faktor, wenn er fit ist.
Sie bringen eine Menge Erfahrung mit, nicht nur als ehemaliger Zweitligaspieler bei Rot Weiss Ahlen. Sie haben auch schon in Australien gecoacht.
Ich kann jetzt auch ein Team auf Englisch führen. Und habe so weitere Kontakte aufgebaut. Das halbe Jahr bei Sydney FC war richtig spannend. Der Klub hatte ein ähnliches Projekt wie Schalke mit den US-Junioren. Wir haben vor Ort im Training versucht, die deutsche Fußballphilosophie rüberzubringen, haben Camps organisiert und vieles mehr. Das hat mich als Trainer ein Stück kompletter gemacht.
Lewejohann: Ich stehe für Integration und Offenheit
Sie sprechen auch Türkisch und Arabisch.
Das hat mir in meiner Landesliga-Zeit beim FSV Duisburg durchaus Respekt eingebracht. Ich stehe für Integration und Offenheit, musste mir aber auch alles immer hart erarbeiten in meinem Leben. Geschenkt bekommen habe ich nie etwas. Und Fußball war ziemlich früh mein Ausweg aus dem Alltag.
Ihr Leben hätte auch durchaus in eine andere Richtung gehen können?
Sehr leicht sogar. In meinem Elternhaus wurde jeder Pfennig gequetscht, da gab es dann auch mal Trockentoast. Das Umfeld in Herne-Wanne war dazu nicht gerade günstig. Die Kriminalität war oft sehr nah. Einige der Jungs, die ich aus der Nachbarschaft kannte, saßen mehr im Gefängnis, als dass sie draußen waren. Ich habe in der Zeit auch gelernt, mich durchzusetzen. Nicht nur auf dem Bolzplatz.
Fußball als beste tröstliche Ablenkung bei tiefer Trauer
Der Fußball besitzt für Sie zweifelsfrei eine enorme Bedeutung.
Und ob. Meine Frau sagt manchmal, ich würde mir lieber ein Spiel ansehen als mit ihr Essen gehen. (lacht) Aber im Ernst: Der Fußball hat mein Leben geprägt. Und er war auch die beste tröstliche Ablenkung, als vor einigen Jahren in meiner Zeit bei der Hammer Spielvereinigung innerhalb von sechs Monaten mein Bruder und mein Vater verstorben sind. Da habe ich sehr gespürt, welch positive Energie der Fußball und eine Mannschaft auf einen Menschen ausüben können.
Ist es Ihnen in Ihrer Karriere als Spieler mal vor die Füße gefallen, sich nie den Mund verbieten zu lassen?
Und ob. Ich hätte damals jemanden gebraucht, der mich führt. So wie ich das als Trainer und manchmal als Sozialpädagoge gegenüber meinen Spielern mache. Vielleicht hätte ich es zu mehr als sieben Zweitligaspielen gebracht.
Lewejohann: Mein Buch über die aktive Zeit ist geschlossen
Bedauern Sie das im Nachhinein, immerhin haben Sie einst als A-Jugendlicher mit dem VfL Bochum im Halbfinale um die Deutsche Meisterschaft gestanden und in jener Saison 24 Tore erzielt?
Zugegeben: Ich hatte auch viele Verletzungen, die mich immer wieder ausgebremst haben. Und wer weiß: Vielleicht wäre ich als Profi mit dem großen Geld auf dem Konto auch durchgedreht im Kopf. Aber: Letztlich ist mein Buch über die aktive Zeit geschlossen. Und ich lese es auch nicht nochmal von vorn.
Dafür geben Sie nun Ihre Erfahrungen weiter.
Genau das erfüllt mich auch sehr. Wichtig ist im Fußball, dass deine Mannschaft eine Gemeinschaft, eine Einheit wird, die sich trägt. Als Trainer gebe ich Lösungen, eine Taktik, einen Plan vor. Auf dem Platz müssen aber die Jungs die Entscheidungen treffen. Ich lege Wert darauf, dass wir gegen den Ball im System gut arbeiten. Dazu brauche ich aber auch Spieler, die offensiv intuitiv sind und Sachen machen, die keiner vorausahnt.
Angebote an Lewejohann aus den Niederlanden und aus Spanien
Gab es auch Alternativen zum SV Scherpenberg für Sie?
Ja, ich hatte beispielsweise ein Angebot aus dem Juniorenbereich eines niederländischen Zweitligisten. Beim spanischen Erstligisten Cadiz hätte ich in ein ähnliches Projekt einsteigen können wie zuletzt beim NLZ auf Schalke. Letztlich spielt aber immer eine große Rolle, wo und wie man vorwärts kommt. Ein Job im Profifußball wird für mich immer ein Thema sein und bleiben. Vielleicht sind Scherpenberg sowie Moers am Rand des Ruhrgebiets und als Stück meiner Heimat genau dafür die besseren Adressen – wenn ich denn Erfolg habe. Erfolg und sehr gute Kontakte sind schließlich die Hauptfaktoren, um im Fußball nach oben zu kommen.
Wenn Sie im Sommer in Scherpenberg als Cheftrainer starten, dann...
... steht die Uhr für alle auf Null. Dass die Mannschaft lebt und Charakter hat, habe ich am vergangenen Donnerstagabend in Lowick gesehen: Abendspiel nach einem Arbeitstag, drei Verletzte in der ersten halben Stunde, Torjäger Tim Falkenreck mit Kreuzbandriss raus und auch noch 0:2 hinten. Großer Respekt, dass das Team dann noch ein 2:2 herausgeholt hat.