Herne/Wanne-Eickel. Beim ersten Wettkampf des SC Wiking Herne wurde noch von der Kanalbrücke ins kühle Nass gesprungen. Nun wird der Verein 100 Jahre alt.

Das Wochenende 17. und 18. September 1921! In München wurde erstmals nach dem Ende des I. Weltkrieges wieder das Oktoberfest gefeiert, in Helsinki spielte die deutsche Fußball-Nationalmannschaft 3:3 gegen Finnland, Berlin bereitete sich auf die Eröffnung der ersten deutschen Autorennstrecke, die „AVUS“, vor.

Und in Herne? Hier gründeten am 17. September 1921 75 Frauen und Männer den „1. Schwimmverein Herne“. 1923 trat ein Vorstandsmitglied aus (belegt ist diese Anekdote nicht) und gründete den SV Neptun Herne, der Ur-Verein gab sich 1925 den bis heute gültigen Namen SC Wiking Herne 1921. 100 Jahre in Wort und Bild zusammenfassen – dieser Aufgabe stellten sich Dr. Peter Piasecki und Michael Tippmann, die in diesen Tagen die Festschrift zum runden Vereinsgeburtstag herausbringen.

7.000 Zuschauerströmten ins Herner Sommerbad

100 Jahre! Der Blick zurück fiel den beiden Chronisten nicht leicht, denn viele Akten aus den Anfangsjahren verbrannten 1943 in der legendären Alt-Herner Vereinsgaststätte „Ömmes Knapp“. Trotzdem fanden sie noch einige Perlen. Zum Beispiel den ersten großen Wettkampf im August 1922 in Recklinghausen-Süd im Rhein-Herne-Kanal mit über 10.000 zahlenden (!) Zuschauern.

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„Es gab ja damals in Herne kein Schwimmbad, daher musste im Kanal geschwommen werden“, weiß Peter Piasecki. Und zwar, so die Chronisten, in Wettkämpfen wie „Seitenschwimmen“, „Ermunterungs-Rückenschwimmen“, „Kunstspringen von der Kanalbrücke“ oder „Streckentauchen“. Erst 1928 ging es ins funkelnagelneue Sommerbad im Herner Süden, wo zur Eröffnungsveranstaltung der SC Wiking, der SV Neptun und die „Freien Schwimmer“ 7.000 Besucher begrüßten. In den Wirren des II. Weltkrieges wurde 1943 der Übungsbetrieb eingestellt, im Juni 1946 erlaubte die Militärregierung den Wiedereinstieg ins Vereinsleben.

Meisterschaften für "Vereine ohne Winterbad"

Den Neustart des SC Wiking begleiteten im Sommerbad nicht nur Schwimmerinnen und Schwimmer, sondern auch eine überaus erfolgreiche Wasserball-Mannschaft. Alle kämpften unter freiem Himmel, daher gewann Helga Mülder (heute Helga Reich) 1954 auch ihre Goldmedaille über 400 m Freistil bei den Westdeutschen-VOW-Meisterschaften in Köln, damals aber noch nicht für die Wikinger startend. VOW? „Das waren Vereine ohne Winterbad“, schmunzelt Michael Tippmann.

Die öffentliche Badeanstalt im Rhein-Herne-Kanal in Recklinghausen-Süd um 1930, die auch in den ersten Jahren vom 1. Herner Schwimmverein genutzt wurde. Die Anlage bestand aus Pontons und besaß Becken für Schwimmer und Nichtschwimmer. 
Die öffentliche Badeanstalt im Rhein-Herne-Kanal in Recklinghausen-Süd um 1930, die auch in den ersten Jahren vom 1. Herner Schwimmverein genutzt wurde. Die Anlage bestand aus Pontons und besaß Becken für Schwimmer und Nichtschwimmer.  © JBH | SC Wiking

Ein „Verein mit Winterbad“ wurden die Wikinger erst 1959, als das Herner Hallenbad eröffnet wurde, das 2001 dem Stadtwerke-Haus weichen musste. Bis zur Jahrtausendwende prosperierte der Verein, die Athleten gewannen zahlreiche Meisterschaften in NRW, Triathleten kamen hinzu und die Mitgliederzahl stieg auf etwa 500. Sie alle freuten sich über Erfolge von Helga Reich oder Julia und Collin Leidgebel, die ihre Anfänge im SC Wiking hatten und den Herner Schwimmverein weit über die Stadtgrenzen hinaus bekannt machten.

Westfalia-Abteilung schließt sich Wiking an

Und heute? Etwa 200 Mitglieder zählte der SC Wiking im Dezember 2020, in diesem Jahr kamen die Mitglieder der ehemaligen Schwimmabteilung im SC Westfalia hinzu. Wurde früher im Kanal, im Sommer- und im Hallenbad trainiert, ziehen die Schwimmerinnen und Schwimmer heute ihre Bahnen im Südpool, im Wananas und im Becken des Otto-Hahn-Gymnasiums – wenn dies nicht seit gut zwei Jahren geschlossen wäre.

Und der SC Wiking schafft sich Nischen. So bietet er Nichtschwimmerkurse für Erwachsene, für Menschen mit Behinderungen und natürlich auch für Kinder an. „Dafür konnten wir im Lehrschwimmbecken an der Börsinghauser Straße glücklicherweise Zeiten des SC Westfalia übernehmen“, erklärt Michael Tippmann, denn gerade die Schwimm-Ausbildung von Kindern, zurzeit ein Streitthema in der kommunalen Sportpolitik, ist dem Verein sehr wichtig.

Sorgen über höhere Nutzungsgebühren

Und die Zukunft des Jubilars? „Vor einem Jahr war ich noch eher pessimistisch“, gibt Michael Tippmann zu, „aber durch die Aufnahme der Westfalia-Mitglieder geht es wieder aufwärts. Auch in der Bäderlandschaft sehe ich Potenzial für uns, denn das OHG-Becken wird ja bald modernisiert sein und am Südpool soll es zwei neue Lehrschwimmbecken geben“.

Die Silbermedaille von Helga Reich, gewonnen 2015 bei der WM in Kazan/Russland. 
Die Silbermedaille von Helga Reich, gewonnen 2015 bei der WM in Kazan/Russland.  © JBH | SC Wiking

Sorgen bereiten ihm in der Zukunft allerdings die Nutzungsgebühren für Bäder, die den Vereinsetat überbelasten könnten. „Im Südpool und im Wananas müssen Schwimmvereine für Trainings- und Übungsstunden schon bezahlen. Mehr geht aber nicht, denn noch höhere Kosten würden unweigerlich zu einer Beitragserhöhung führen. Und die möchten wir unseren Mitgliedern nicht aufbürden.“

Geburtstagsfeier im Casinoverein

Ein gutes Jahr bastelten Peter Piasecki und Michael Tippmann an der Festschrift. Sie schrieben aber nicht nur eine Chronik, sondern ließen auch Aktive zu Wort kommen, um zu zeigen, was Schwimmen „neben dem Sport bedeuten kann“. Großen Spaß habe es gemacht, aber, so Tippmann, „es war manchmal auch sehr anstrengend“.

Die Festschrift soll Mitte Oktober bei einer Feier im Casinoverein Unser Fritz vorgestellt werden. Dazu lädt der SC Wiking neben Vertretern der Stadt, der Sportpolitik und des Stadtsportbundes auch seine unermüdlichen ehrenamtlichen Helferinnen und Helfer, verdiente Athleten sowie die drei Ehrenmitglieder ein.

Autoren wünschen nur das Beste zum Jubiläum

Beide Autoren sind übrigens weiterhin auch aktive Schwimmer im SC Wiking. Dr. Peter Piasecki (72) stand dem Verein fünf Jahre als 1. Vorsitzender vor, Michael Tippmann (60) ist seit 20 Jahren Geschäftsführer und damit Ansprechpartner „für alles und jeden“. Daher liegt sein Geburtstagswunsch zum 100. auch auf der Hand: „Ich wünsche mir für unseren Verein mehr engagierte Personen und mehr breite Schultern, auf die wir die anfallende Arbeit verteilen können.“

Michael Tippmann (l.) und Dr. Peter Piasecki haben die Festschrift zum 100. Geburtstag ihres SC Wiking verfasst.
Michael Tippmann (l.) und Dr. Peter Piasecki haben die Festschrift zum 100. Geburtstag ihres SC Wiking verfasst. © FUNKE Foto Services | Alexa Kuszlik

Und Peter Piasecki? „Ich wünsche mir, dass sich der Verein im Kinder- und Jugendbereich weiterentwickeln kann, dass wir unsere Inklusionsprojekte fortsetzen und eventuell sogar erweitern können und dass wir endlich unsere Schwimmkurse für Erwachsene wieder anbieten können.“