Köln. Der schwul-lesbische Fanclub „Andersrum Auf Schalke“ setzt sich für ein gleichberechtigtes Miteinander ein und kämpft für die Akzeptanz Homosexueller im Stadion und in der Vereinssatzung. Ein Besuch bei Martin, Schalke-Fan und -Mitarbeiter, der sich jetzt outet.

Martins Arbeitsplatz ist die Veltins-Arena. Dreimal pro Woche führt der 29-Jährige Kleingruppen durchs Innere des hochmodernen Fußballstadions. Als Tour-Guide ist Martin Experte, was den Mythos Schalke angeht. Der Geograf hat sogar seine Diplom-Arbeit über die Veltins-Arena geschrieben. Note: 1,7. Zuletzt hat Martin in der Marketing-Abteilung des Fußballclubs mitgearbeitet. Dass Martin schwul ist, wissen auf Schalke gerade mal zwei Kollegen.

„Einige werden bestimmt vom Stuhl fallen, wenn sie jetzt davon lesen“, sagt Martin und lacht. Es habe Jahre gedauert, bis er sich selbst eingestanden hat, schwul zu sein. Martin nennt das „den ganz normalen Prozess“. Kurz vor dem Abitur liebte Martin noch eine Frau, obwohl er sich seiner sexuellen Orientierung längst bewusst war. Nach der Trennung schlüpfte seine beste Freundin je nach Anlass in die Rolle der falschen Freundin. „Ich möchte mich bei meinen Kollegen auf Schalke entschuldigen. Ich habe sie die ganze Zeit hinters Licht geführt. Mir tut das sehr leid“, sagt Martin.

Homosexualität und Fußball darf keinen Widerspruch darstellen

Seit dem vergangenen Wochenende ist Martin offizielles Mitglied im Fanclub „Andersrum Auf Schalke“ – dem ersten und bislang einzigen schwul-lesbischen Fanclub der Blau-Weißen. Martin sagt vor allem das Leitbild zu: Homosexualität und Fußball darf keinen Widerspruch darstellen, es geht um ein gleichberechtigtes Miteinander.

Fanclub-Sprecherin Renate Reinartz ist seit seit der Gründung am 6. Mai 2010 um 19.04 Uhr dabei. Seit anderthalb Jahren kämpft sie mit harten Bandagen, dass neben der Religion und der Hautfarbe auch die sexuelle Orientierung im Stadion keine Rolle spielen darf. Und dass ihr Anliegen gefälligst in der Vereinssatzung verankert wird. Auf der nächsten Jahreshauptversammlung soll ihr Antrag auf Satzungsänderung endlich auf der Tagesordnung stehen. „So hat man es mir von Aufsichtsratsseite schon zugesagt“, erklärt Renate.

Monatlicher Stammtisch in Planung

Nur acht Mitglieder sind derzeit bei „Andersrum Auf Schalke“ aktiv. Sieben Männer, ein Transgender – Renate. „Unsere Karteileichen zähle ich nicht“, sagt sie. Neue Mitglieder werden dringend gesucht, schließlich will der Fanclub mehr Aufmerksamkeit. „Wir machen alles, was andere Fanclubs auch machen“, erklärt Renate. Die Heimspiele werden besucht, es werden Auswärtsfahrten unternommen, auch „Rudelgucken“ steht auf dem Plan. Ein monatlicher Stammtisch in Gelsenkirchen ist geplant. Renate kennt viele Schalker, die sich regelmäßig bei ihr melden, sogar zu den Treffen kommen, aber zögern, den Mitgliedsantrag zu unterschreiben. „Die Angst vor dem Coming-Out im Stadion ist noch da“, meint Renate.

André hat sich längst geoutet. Als Schwuler und als Schalker. Auf dem Unterarm des 36-Jährigen steht es blau auf weiß tätowiert: „Eine Liebe, die niemals endet.“ Der Kölner wurde im Internet auf den Fanclub aufmerksam und trat sofort ein. „Ich dachte mir, dass ich doch nicht der einzige schwule Schalke-Fan auf dieser Welt sein kann“, sagt er. Jetzt wirbt er für „Andersrum auf Schalke“ im Internet und überwacht die Facebook-Seite.

Beim Gedanken ans Wolfsburg-Spiel ist ihm mulmig

Die Eintrittskarte für das nächste Heimspiel gegen den VfL Wolfsburg steht schon auf seinem Bücherregal in der kleinen Wohnung im Köln-Mülheim. Gleich darüber hängt die Stecktabelle, die die Königsblauen natürlich weit vor den Reviernachbarn aus Dortmund sieht. Von wegen, die Tabelle lügt nicht.

Martin ist am Donnerstag wieder in der Arena. Als Tour-Guide. Am 1. Februar wird er beim Spiel gegen Wolfsburg dann als Schalke-Fan da sein. Zum ersten Mal als bekennender schwuler Schalke-Fan. Dass ihm beim Gedanken daran noch mulmig ist, verschweigt er nicht. Und das liegt nicht an der Spielstärke der Wolfsburger.

Hitzlsperger als Wegbereiter

Denn homophobe Äußerungen von Fußballfans im Stadion seien fast normal. Die Mitglieder von „Andersrum Auf Schalke“ sind sicher: Daran wird auch das Coming-Out von Thomas Hitzlsperger vorerst nichts ändern. Allerdings habe der 52-malige Nationalspieler den Weg für mehr Akzeptanz geebnet.

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Martin nennt Hitzlsperger einen Wegbereiter. Gut findet er, dass es ein Spielertyp wie Hitzlsperger ist, der seine Homosexualität jetzt öffentlich gemacht hat. Einer, der nicht unbedingt die Klischees eines schwulen Fußballers erfüllt. „Ein Spieler mit sattem Schuss, einer der extrem zweikampfstark ist, ein unbequemer Gegenspieler“, erklärt Martin und ergänzt: „Die Botschaft ist also: Auch ein Schwuler kann einem Gegenspieler mal weh tun.“ An eine Welle von Coming-Outs glaubt Martin aber nicht. „Man stelle sich nur vor, ein Spieler outet sich und dann ist Derby. Das wäre für ihn doch 90 Minuten die reine Hölle.“

Die homophoben Äußerungen im Stadion nerven

Auch Daniel (22) stimmt zu, ein schwuler Dauerkartenbesitzer beim 1. FC Nürnberg und Mitglied des Fanclubs „Norisbengel.“ Daniel nerven die homophoben Äußerungen von Fans in den Stadien. Häufig wird der Gegner als schwul bezeichnet, meistens der Schiedsrichter, manchmal sind es auch eigene Spieler. Daniel: „Auch wenn es sich nicht gegen einen persönlich richtet, ist es oft besser, wegzuhören.“

Renate erinnert sich nicht gerne, aber noch sehr gut an eine Pleite gegen den BVB in der Arena. „Da rief einer neben mir die ganze Zeit, Jürgen Klopp ist schwul. Da hätte ich ihm am liebsten gesagt, dass Klopp ja fast sympathisch wäre, wenn es tatsächlich so wäre.“