Gelsenkirchen. Gelsenkirchen hinkt bei der Modernisierung seiner Fußballplätze hinterher. Gerade mal sechs große Kunstrasen-Spielfelder gibt es in der Stadt.
Wer bei der Spvgg Westfalia Buer Fußball spielt, muss schwimmen können. Der Ascheplatz auf der Sportanlage an der Lohmühle kann Regenfälle nicht gut vertragen und verwandelt sich deshalb gern mal in ein kleines Freibad. Werner Altenwerth kann eine ganze Oper davon singen. Der Vorsitzende des A-Kreisligisten regt sich schon lange über den schlechten Zustand des Spielfeldes auf. „Seit fünf Jahren ist die Drainage des Platzes kaputt. Wenn es ein, zwei Stunden regnet, steht der Platz direkt zehn Zentimeter unter Wasser“, erzählt der Vereinsboss und fügt hinzu: „Wir haben Gelsensport schon mehrmals darauf hingewiesen, aber mehr als die Drainage zu spülen, haben sie nicht gemacht.“
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Werner Altenwerth hat sich deshalb kürzlich mit einem Brief an die örtliche Politik gewandt. Darin weist er darauf hin, dass die Asche das einzige dauerhaft nutzbare Spielfeld ist, denn der benachbarte Rasenplatz ist wetterbedingt nur zwischen April und Oktober bespielbar. Zudem spricht er das Ziel an: einen Kunstrasenplatz.
Gerade mal sechs der 56 Großspielfelder haben einen Kunstrasenbelag
Diesen Wunsch hat Werner Altenwerth allerdings nicht exklusiv. Nahezu jeder Verein, der noch keinen großen Kunstrasenplatz hat, wünscht sich einen. Und das sind in Gelsenkirchen viele: Gerade mal sechs der 56 Großspielfelder, also knapp elf Prozent, haben einen Kunstrasenbelag. In anderen Ruhrgebiets-Großstädten wie Bochum, Oberhausen und Essen ist die Quote drei- bis sechsmal so hoch. Woran das liegt? Dem geht eine Recherche der WAZ und des Instituts für Journalismus und Public Relations der Westfälischen Hochschule Gelsenkirchen (WHS) auf die Spur.
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Doch vorweg erst einmal eine grundlegende Frage: Warum steht Kunstrasen bei den Vereinen überhaupt so hoch im Kurs? „Die meisten wollen wegen der Verletzungsgefahr einfach nicht mehr auf Asche spielen“, erklärt Westfalias Vorsitzender Werner Altenwerth. „Außerdem können wir Kunstrasenplätze das ganze Jahr über unabhängig vom Wetter nutzen.“ Letzteres belegt der aktuelle Sportstätten-Entwicklungsplan der Stadt Bochum. Demnach ist ein Kunstrasenplatz durchschnittlich 30 Stunden pro Woche bespielbar, Asche 26 Stunden und Rasen nur 14 Stunden.
Vorerst keine neuen Kunstrasenplätze geplant
Obwohl Gelsenkirchen bei der Modernisierung der Fußballplätze hinterherhinkt, sind derzeit – abgesehen von den bereits beschlossenen Maßnahmen auf den Sportanlagen Halfmannshof und Auf dem Schollbruch (beide Kleinspielfeld) sowie Jahnstadion(Großspielfeld, das der SV Hessler 06 fast zur Hälfte selbst finanziert) – keine neuen Kunstrasenplätze in der Stadt geplant.
„Konkrete Planungen für die Zeit danach gibt es nicht“, sagt Gelsensport-Geschäftsführer Marco Baron. „Die Matrix für die Verteilung der Kleinspielfelder ist abgeschlossen, so dass wir eine neue Bewertung erarbeiten müssten. Wir müssen aber auch berücksichtigen, dass in den kommenden zehn Jahren sehr viel Geld in die Sanierung der Kunstrasenplätze investiert werden muss.“
Klar, Kunstrasenplätze sind nicht die einzige Voraussetzung für einen funktionierenden Verein. Dass moderne Sportstätten aber wichtig sind, um möglichst viele für den Sport, und in diesem Fall für den Fußball, zu gewinnen, ist unbestritten. Dennoch geht die Stadt Gelsenkirchen bei der Modernisierung einen anderen Weg als andere Revier-Kommunen.
Statt auf großen Kunstrasenplätze, die für alle Mannschaften von den Bambinis bis zu den Alten Herren nutzbar sind, setzt die Stadt vor allem auf Kunstrasen-Kleinspielfelder. 13 dieser Plätze wurden bereits gebaut. Das Problem: Die Kleinspielfelder sind nur für den Spielbetrieb bis zur E-Jugend zugelassen und dienen den restlichen Vereinsfußballern daher, wenn es die Größe der Gruppe überhaupt zulässt, nur als Trainingsstätte.
Mini-Investitionen in Gelsenkirchen
Die vielen Kleinspielfelder ändern zudem nichts daran, dass Gelsenkirchen auch in einem weiteren Vergleich schlecht dasteht: dem der Investitionen in den Bau und die in der Regel nach rund 13 Jahren anstehende Sanierung von Kunstrasenplätzen. 5,4 Millionen Euro waren es in Gelsenkirchen bisher insgesamt, fast zwei Millionen flossen in den vergangenen fünf Jahren.
Zum Vergleich: Das etwas kleinere und deutlich höher verschuldete Oberhausen hat im selben Zeitraum 2,3 Millionen Euro investiert. Im etwas größeren und weniger verschuldeten Bochum sind es sogar mehr als zehn Millionen Euro. Und selbst wer nun hofft, dass Gelsenkirchen stattdessen andere Sportarten vermehrt unterstützt, muss abwinken: Die 5,3 Millionen Euro, die die Kommune seit 2015 in die allgemeine Sportförderung steckte, können es weder mit Oberhausen (8,5 Millionen Euro) noch mit Bochum (17,5 Millionen Euro) aufnehmen.
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Erklärungen für die stark variierenden Kunstrasen-Investitionen lieferten die jeweiligen Städte auf WHS-Anfrage. Demnach finanziert die Stadt Gelsenkirchen ihre Kunstrasenplätze lediglich aus Mitteln der vom Land Nordrhein-Westfalen anhand der Einwohnerzahl festgelegten Sportpauschale. Da diese, in diesem Jahr ist sie 790.292 Euro hoch, aber für alle Sportarten vorgesehen ist, ist der Handlungsspielraum für Kunstrasenplätze begrenzt. Nur den großen Kunstrasenplatz am Hasseler Lüttinghof finanzierte die Stadt aus Eigenmitteln.
Fördermöglichkeiten sind da
Oberhausen und Bochum sind dagegen kreativer. Sie nutzen nicht nur die Sportpauschale, sondern gehen aktiv auf die Suche nach weiteren Fördermöglichkeiten. Mit Erfolg: Oberhausen verknüpfte die jüngsten drei Kunstrasen-Projekte mit anderen Bewegungsangeboten, baute rund um den Fußballplatz beispielsweise Beachvolleyball- oder Beachhandball-Felder und erhielt dadurch Gelder aus dem Investitionspakt „Soziale Integration im Quartier“. Bochum modernisierte zuletzt Ascheplätze, die auch Schulen nutzen, und sicherte sich für den Umbau in Kunstrasen Mittel aus dem Programm „Gute Schule 2020“. Eine Alternative ist zudem der Ansatz, den Oberhausen zunächst verfolgte: Die Stadt schloss 15 gering ausgelastete Plätze, fasste die Klubs auf anderen Anlagen zusammen und rüstete diese dank der eingesparten Unterhaltungskosten mit Kunstrasenplätzen aus.
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Viele Wege zum einen Ziel: moderne Sportanlagen, um möglichst viele Menschen zum Sport zu animieren. In Gelsenkirchen kommt keiner dieser Ansätze zum Einsatz. Die Lage dadurch zu verbessern, gering ausgelastete Sportplätze zu schließen, kam für Gelsensport-Geschäftsführer Marco Baron bisher nicht infrage. „Unser Ansinnen ist es nicht, Sportplätze zu schließen und den Quartieren Sporträume zu nehmen“, sagt er. „Auch von den Vereinen wurde, so wurde mir berichtet, nahezu jede Andeutung in die Richtung, zusammenzuarbeiten oder sich zusammenzuschließen, kategorisch abgelehnt. Wenn sich ein Verein verändern will, stehen wir gerne beratend zur Verfügung. Er kann sich dann bei mir melden.“
Altenwerth: „Viele Politiker haben auf unseren Brief reagiert und wollen uns helfen“
Doch wie steht es um die Fördermittel? Das Geld aus den genannten Programmen ließ Gelsenkirchen zwar nicht ungenutzt und investierte es etwa in den Stadtteil Hassel oder in Whiteboards für Schulen. Am mangelnden Einsatz für Sportplatz-Fördergelder ändert das aber nichts. „Wir haben keine Fördermittel für den Bau von Kunstrasenplätzen beantragt, da diese sonst an anderer Stelle fehlen“, lautet die knappe Antwort von Stadt-Sprecher Martin Schulmann.
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Werner Altenwerth wollte für seine Westfalia schon vor einigen Jahren selbst Fördergelder für einen Kunstrasenplatz beantragen, scheiterte aber an den Regularien. „Gelsensport hat das abgelehnt, weil bei dem Programm nur Vereine mit eigenen Sportanlagen antragsberechtigt waren und unsere Anlage der Stadt gehört. Nur sie kann Anträge für andere Programme stellen“, berichtet er. Dass die Kommune, der 28 von 32 Spielstätten gehören, selbst noch nie Förderanträge für Kunstrasenplätze gestellt hat, ist die Sackgasse, in der viele Gelsenkirchener Klubs stecken. Ändern könnte die Stadt das, indem sie etwa den vom Land NRW aufgelegten „Investitionspakt zur Förderung von Sportstätten 2020 und 2021“ nutzt. Die Hoffnung hat Werner Altenwerth noch nicht aufgegeben. „Viele Politiker haben auf unseren Brief reagiert und wollen uns helfen. Vielleicht passiert jetzt ja wirklich etwas“, sagt er. Bis es so weit ist, werden seine Bueraner aber noch einige Male bei Regen auf ihrer Asche schwimmen gehen müssen.
Marco Baron verteidigt Kleinspielfeld-Modell
Dass der Fokus beim Bau von Kunstrasenplätzen in Gelsenkirchen auf Klein- statt Großspielfeldern liegt, hat laut Gelsensport-Geschäftsführer Marco Baron mehrere Gründe: „Das Ziel des Konzeptes, das die Politik im Jahr 2014 mit breiter Zustimmung beschlossen hat, war, alle Sportanlagen mit einem Kleinspielfeld auszustatten. Neben der zusätzlichen Trainingsfläche war ein weiteres Argument, dass diese Plätze insbesondere Kindern und Jugendlichen, auch außerhalb des Vereins, zugutekommen“, erklärt er. „Zudem setzt der DFB seit einiger Zeit verstärkt auf kleine Spielformen wie das Drei-gegen-drei. Dafür eignen sich Kleinspielfelder sehr gut.“
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Darüber hinaus verweist Marco Baron darauf, dass Gelsensport von den Klubs keine Gebühren für die Nutzung der Sportplätze verlangt und sie damit indirekt fördere. Beim Blick auf die Vergleichsstädte relativiert sich dies jedoch: Oberhausen handhabt es genauso, Bochum nutzt die geringen Einkünfte aus den Verbrauchskosten der Klubs (Strom, Gas usw.) nicht für den Kunstrasenbau.
Den Fokus der Klubs allein auf Kunstrasenplätze kritisiert Marco Baron: „Es ist mir zu einfach“, betont er, „die Verantwortung nur auf die Kommunen zu schieben. Kunstrasen ist nicht die einzige Voraussetzung für einen guten Verein. Da spielen etwa auch Trainerqualifikationen und Vereinsentwicklung eine Rolle.“ Erste Erfolge kann der Fußballkreis Gelsenkirchen in dieser Hinsicht schon vorweisen: 150 Trainer erwarben kürzlich kostenfrei ihre C-Lizenz.