Gelsenkirchen. Ivica Horvat machte Schalke Anfang der 70er-Jahre zum Titel-Aspiranten. Seine vier Jahre auf dem Trainerstuhl von S04 übertraf nur Huub Stevens.

„Machst du mich bisschen Freude, schießt du Tor!“ Es waren auch Sprüche wie dieser an die Adresse von Klaus Fischer, die Ivica Horvat auf Schalke zur Legende werden ließen. Vor allem aber war es die magische Saison 1971/72, als der einstige Verteidiger die Knappen um ein Haar zum Double führte. Bis zum 25. Spieltag behaupteten Fischer & Co. die Tabellenführung, erst in der allerletzten Runde verlor S04 den Meistertitel endgültig an die Bayern. Wenige Tage später entschädigte sich Horvats wilde Horde mit dem DFB-Pokal. Doch statt mit weiteren Titeln glänzte der Kroate mit ungarischen Wurzeln in den Folgejahren vor allem als Krisenmanager und Talent-Entwickler. Schuld waren der Bundesliga-Skandal und zahlreiche Sperren gegen Schalkes Topstars.

Horvat kannte den deutschen Fußball gut

Als Horvat am Schalker Markt aufschlug, kannte er den deutschen Fußball bereits wie seine Westentasche. Von 1957 bis 1959 hatte der 60-malige jugoslawische Nationalspieler in Frankfurt gespielt und wesentlich zum Meistertitel der Eintracht (1959) beigetragen. Wenig später (1961 bis 65) betreute Horvat die Hessen als Cheftrainer. Im Sommer 1971, nach Zwischenstationen bei Dinamo Zagreb und PAOK Saloniki, übernahm er die junge, hochtalentierte S04-Truppe um Fischer, Rolf Rüssmann und die Kremers-Zwillinge.

Herrliche Zeiten: Ivica Horvat mit seinem Trainerkollegen Gyula Lorant vom 1. FC Köln.
Herrliche Zeiten: Ivica Horvat mit seinem Trainerkollegen Gyula Lorant vom 1. FC Köln. © imago/WEREK | imago sportfotodienst

„Horvat, lass die Löwen los!“, sangen die Fans schon zu Saisonbeginn, und Schalke gewann 5:1 in Hannover. Es folgen drei weitere Siege, darunter ein 6:2 über den 1. FC Köln, und in Gelsenkirchen blühten erste Meisterträume. Der baumlange Horvat ließ nicht nur erfolgreich, sondern anschaulich nach vorne spielen. „Er war ein Trainer, der zu uns passte“, so Schalkes damaliger Libero Klaus Fichtel. „Mit ihm haben wir keinen Hauruck-Fußball gespielt, sondern die Tore herausgespielt.“ Vor allem Schalkes Dreier-Sturm mit Rechtsaußen Stan Libuda, Linksaußen Erwin Kremers und Mittelstürmer Klaus Fischer versetzte die Liga in Angst und Schrecken.

In der heimischen Glückauf-Kampfbahn war S04 eine Macht. Am Saisonende stand lediglich ein einziger Punktverlust vor eigenem Publikum zu Buche (beim 1:1 gegen Gladbach). Die mögliche Meisterschaft vergaben die Knappen buchstäblich auswärts: Im letzten Saisonspiel beim Tabellenführer FC Bayern musste ein Sieg her, doch Schalke lief Beckenbauer & Co. ins offene Messer und kassierte eine 1:5-Klatsche. Dass die Saison dennoch mit einem Jubelkorso endete, war dem Pokalwettbewerb zu verdanken: Im Finale in Hannover schlug S04, angetrieben vom scheidenden Routinier Libuda, den 1. FC Kaiserslautern mit 5:0.

Alles war fantastisch – und dann kam der Skandal

Für fast alle Beobachter an jenem 1. Juli 1972 schien klar: Diese Schalker Mannschaft, betreut von diesem fantastischen Trainer, würde noch viele Titel sammeln. Doch der Bundesliga-Skandal warf seinen düsteren Schatten längst voraus. Im April 1971 hatten Schalkes Profis ein Heimspiel gegen Bielefeld (0:1) „verkauft“, für 40.000 Mark. Bis zum Beginn der Saison 1972/73 hatte der DFB den Fall aufgerollt, Schalke durfte wichtige Stützpfeiler wie Klaus Fischer, Jürgen Sobieray und später auch Rolf Rüssmann nicht mehr einsetzen – andernfalls drohte der Verband mit Lizenzentzug.

Statt also sein begonnenes Meisterwerk zu vollenden, musste Horvat improvisieren: Im Saisonverlauf warf der Hobby-Angler zahlreiche junge Spieler wie den Luxemburger Nico Braun oder die Bottroper Paul Holz und Manni Dubski ins kalte Wasser. „Schalke war damals im Nachwuchs gut aufgestellt“, erinnert sich Klublegende Rüdiger Abramczik, „in Friedel Rausch hatte man einen tollen A-Jugend-Trainer und in Horvat einen Profitrainer, der den Jungen, die hochkamen, vertraute.“ Ein 2:0-Heimsieg über den HSV am 34. Spieltag bedeutete den knappen Klassenerhalt. „Saison war schwierig“, dozierte Horvat mit seinem eigenwilligen Akzent, „nächste Saison könnte werden genau so schwierig.“

Abramczik erinnert sich gerne an „Papa“ Horvat

Doch 1973/74 trug Horvats Neuaufbau bereits beachtliche Früchte, zumal Goalgetter Fischer (ab dem 10. Spieltag) und Vorstopper Rüssmann (kurz nach der Winterpause) im Saisonverlauf begnadigt wurden. Außerdem schlug der erst 17-jährige Rechtsaußen Abramczik ein wie eine Bombe: „Horvat hat mich quasi fertig ausgebildet“, sagt „Abi“ dankbar. „Unter ihm durfte ich schon als 16-Jähriger oben mittrainieren. Er war ein harter Trainer, aber ein liebenswürdiger Mensch, für den man sich gern den Arsch aufriss.“ Am Saisonende grüßten die Knappen von Platz sieben, und es hätte sogar Rang drei werden können, wären nicht die letzten drei Partien allesamt verloren gegangen.

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Auch die Spielzeit 1974/75 schloss Schalke als Siebter ab, was angesichts der im Hintergrund laufenden (sport-)gerichtlichen Verfahren gegen Teile der Mannschaft mehr als beachtlich war. Horvat aber sah seine Mission als beendet an. Zum Abschied erklärte ein sichtlich gerührter Präsident Günter Siebert: „Der Verein ist ihm zu großem Dank verpflichtet.“ Rüdiger Abramczik ist sich bis heute sicher: „Wäre der Bundesliga-Skandal nicht gewesen, wären wir unter Horvat früher oder später Meister geworden.“

Im Sommer 1978 kehrte „Hoppa“, wie die Spieler ihn liebevoll nannten, noch einmal an den Schalker Markt zurück. Doch schon nach dem 23. Spieltag und einem 1:3 gegen Bochum musste der einstige Erfolgscoach vorzeitig gehen: S04 lag zu diesem Zeitpunkt nur auf Platz 14. 2012 starb Ivica Horvat in seinem Haus auf der kroatischen Ferieninsel Krk. Er wurde 86 Jahre alt.