Gelsenkirchen. In unserer Serie über die größten Trainer auf Schalke geht es heute um Edi Frühwirth, der Schalke den modernen Fußball beigebracht hat.

Die kleine Familiengruft befindet sich am Südrand des weitläufigen Friedhofs in Wien-Ottakring. Der Grabstein aus schwarzem Marmor und die gelben Blumen lassen es kaum vermuten, doch hier liegt Schalkes bislang letzter Meistertrainer begraben.

Etwas mehr als 61 Jahre ist es her, dass der Österreicher Edi Frühwirth (*1908; †1973) Königsblau auf Deutschlands Fußball-Thron hob. Nachdem Szepan, Kuzorra & Co. zwischen 1934 und 1942 sechsmal die alte Meistertrophäe „Viktoria“ gewonnen hatten, feierte S04-Kapitän Berni Klodt im Jahr 1958 eine Premiere: Zum ersten und bis heute letzten Mal durfte ein Schalker die seit 1949 verliehene Meisterschale in Empfang nehmen.

Selbst im Endspiel blieb Frühwirth gelassen

Dabei hatte vor dem Endspiel in Hannover kaum jemand auf die Knappen gesetzt. Gegner war der Hamburger SV um Jungstar Uwe Seeler. „Ich weiß noch, dass wir alle ziemlich nervös waren im Vorfeld dieses Spiels“, erinnert sich Willi Koslowski, der an jenem 18. Mai 1958 mit Klodt und Günter Siebert die Schalker Sturmreihe bildete. „Nur einer blieb ruhig und gelassen: unser Trainer Edi Frühwirth. Ich glaube, das hat gerade auf uns junge Spieler wohltuend abgefärbt.“

Zumal sich Frühwirths taktischer Kniff – Otto Laszig, Kalli Borutta und „Ille“ Karnhof markierten Seeler abwechselnd in einer gemischten Mann-, Raumdeckung – als genial erwies. Hamburg hatte Schalke kaum etwas entgegen zu setzen, und die Knappen führten durch Klodts Doppelschlag schon zur Pause mit 2:0. Nach dem Seitenwechsel beseitigte Manni Kreuz mit seinem Treffer zum 3:0-Endstand die letzten Zweifel am siebten Meistertitel der Klubgeschichte. Und der war mehr als verdient, wie Koslowski betont: „In jener Saison haben wir den mit Abstand modernsten Fußball in Deutschland gespielt.“

Schalkes Meisterschaften

1934: 2:1 gegen den 1. FC Nürnberg in Berlin.

1935: 6:4 gegen den VfB Stuttgart in Köln

1937: 2:0 gegen den 1. FC Nürnberg in Berlin

1939: 9:0 gegen Admira Wien in Berlin

1940: 1:0 gegen den Dresdner SC in Berlin

1942: 2:0 gegen Vienna Wien in Berlin

1958: 3:0 gegen den Hamburger SV in Hannover

Während Schalkes Stürmer von ihren Gegenspielern damals noch über den gesamten Platz verfolgt wurden, hatte Frühwirth die sture Manndeckung abgeschafft. „Wir haben größtenteils im Raum verteidigt“, erzählt Koslowski. „Nur wenn der Ball in die gefährliche Zone zentral vorm Tor kam, sind wir zur Manndeckung übergegangen. Frühwirths Maxime hieß: Die Mitte muss zu sein. Außen dagegen durften wir die gegnerischen Mannschaften schon mal machen lassen.“ Für die damalige Zeit war dieses Konzept revolutionär.

Schalke angelte sich den „Wundertrainer“

Die Geschichte des Edi Frühwirth gleicht der vieler „Konzepttrainer“ der heutigen Zeit: Lediglich ein Pflichtspiel-Einsatz für Rapid Wien steht für den gelernten Stürmer zu Buche. Später versuchte sich Frühwirth bei kleineren Klubs, doch er sah ein: Für eine große Karriere als Spieler reichte es nicht. Also schloss er sein Ingenieurs-Studium ab und wechselte mit 31 in den Trainerjob, wo er alles bisher Dagewesene revolutionierte.

Die legendäre „Wiener Schule“, das mitunter selbstverliebte Offensivspiel über zahllose Stationen, hatte Frühwirth schon als Aktiver für tot erklärt. Als Trainer setzte er auf athletischen Konter-Fußall und eben Raumdeckung. So führte Frühwirth die österreichische Nationalelf bei der WM 1954 als Assistenzcoach und taktisches Mastermind zu Platz drei. Noch im selben Sommer angelte sich der FC Schalke 04 diesen „Wundertrainer“.

In Gelsenkirchen wehte dem Wiener zunächst ein eisiger Wind entgegen. Schließlich hatte Frühwirth das Traineramt von Klublegende Fritz Szepan übernommen. Als Szepan 1955 mit Rot-Weiß Essen Meister wurde, während S04 die Endrunde klar verpasst hatte, wurde die Kritik an Frühwirth lauter – obwohl der das Pokalfinale erreicht hatte (2:3 gegen den Karlsruher SC). Im Jahr darauf, begann Frühwirth junge, laufstarke Kräfte wie Koslowski, Borutta und Kreuz einzubauen und formte ein Team, das seinen Plan blind befolgte.

Ein echter Spielerverbesserer

Zudem erwies sich der Beamtensohn als echter Spielerverbesserer: „Eines Tages ließ Frühwirth ein Kopfballpendel errichten“, erzählt Willi Koslowski. „Da wurde ein Betonfundament gelegt und plötzlich stand das Ding da. Die meisten von uns kannten so was gar nicht – wir haben es dann aber gründlich kennengelernt.“ Auch abseits des Platzes verlangte Frühwirth viel. Koslowski: „Immer nach dem Donnerstagstraining hatten wir Mannschaftssitzung. Da sollten auch wir Jüngeren mal was sagen. Außerdem hat Frühwirth uns einiges über Dinge wie ausreichend Schlaf und gute Ernährung erzählt. Das Thema war damals eher neu, wir waren ja noch keine Profis in dem Sinne.“

Nach der Meisterschaft 1958: In der Mitte Trainer Edi Frühwirth.
Nach der Meisterschaft 1958: In der Mitte Trainer Edi Frühwirth. © imago/Horstmüller | imago sportfotodienst

Nach dem Gewinn der Meisterschaft 1958 allerdings erlitt Frühwirths Team einen Bruch: Innere Querelen und die Dreifachbelastung mit Liga, Pokal sowie Europacup ließen Schalke in der Oberliga-West auf Platz 11 abschmieren. Nur in den internationalen Partien zeigten die Knappen noch einmal die brillante Handschrift ihres Trainers und erreichten als erster deutscher Klub ein Viertelfinale im Landesmeister-Wettbewerb (0:3 und 1:1 gegen Atlético Madrid). Als Frühwirth im Mai 1959 gehen musste, traute sich keiner aus Schalkes Vorstand, dem Trainer die Wahrheit zu sagen. Stattdessen erhielt dieser einen schlichten Brief aus der Hand des Platzwarts.

Knapp 14 Jahre später, am 23. Februar 1973, kam Edi Frühwirth bei einem schweren Unfall auf der Autobahn zwischen München und Innsbruck ums Leben. „Ich erfuhr aus der Zeitung davon“, erinnert sich Willi Koslowski. „Das war ein gewaltiger Schock für alle hier auf Schalke. Es gab viele Tränen.“

Der nächste Teil der WAZ-Serie über die größten Schalke-Trainer erscheint demnächst.