Essen. Am Samstag boxt Tim Vößing im Essener Colosseum um die Europameisterschaft der WBA. Was gegen Erdogan „Big Edi“ Kadrija für ihn spricht.

Tim Vößing kennt seinen Weg und geht ihn konsequent und zielstrebig. Mit vollgepackter Trainingstasche kommt der Profi-Boxer ins Gym von „Boxing Industry“ in Horst, grüßt flüchtig und marschiert schnurstracks in die Kabine. Bloß keine Zeit verlieren, davon hat dieser junge Mann ohnehin zu wenig. Und an diesem Samstag will er schließlich Europameister werden.

Für den 26-jährigen Essener könnte der Tag locker ein paar Stunden mehr haben. Profiboxen und die Promotion in Elektrotechnik an der Ruhr-Uni in Bochum, die er seit Anfang dieses Jahres begonnen hat, all das muss man erst einmal unter einen Hut bringen. „Mein Tag ist meist gut ausgereizt. Mit Uni und Sport werden es locker schon mal 18-19 Stunden, und wenn was ganz Wichtiges an der Uni ansteht, macht man auch mal eine Nacht durch“, wird Vößing später seinen Alltag beschreiben.

Essener Boxer Tim Vößing hat viele Erfolge vorzuweisen, auf nationaler und internationaler Bühne

Von wegen beruflich Sparflamme zugunsten des Sports. Dieser Mann brennt für beides. „Auf Dauer muss man sich allerdings fragen, ob man Beruf und Sport noch mit vollem Herzen machen kann. Ich sehe jedenfalls meine berufliche Zukunft nicht beim Boxen. So ehrlich muss man sein.“

Immer reflektiert, auch das ist Tim Vößing. Durch die Halbtagsstelle sei er flexibel, sein Professor und Doktorvater habe auch viel Verständnis für seinen Sport. „Er erwartet natürlich Leistung, ich arbeite an der Uni meist deutlich mehr, weil ich in adäquater Zeit fertig werden will. Aber ich habe ja Spaß an dem Ganzen, also ist es auch keine negative Belastung.“

Boxen in Essen
Essens Profiboxer Tim Vößing mit seinem Trainer Sebastian Ttlatik. Die Vorfreude auf den Boxkampf am Samstag ist riesig. © FUNKE Foto Services | Michael Gohl

Im Gym taucht Tim Vößing nach nur wenigen Minuten wieder im schwarzen Trainingsdress auf, auf dem Rücken prangen in Rot die Namen der Sponsoren. Die Fäuste sind bereits bandagiert. „Ich kenne keinen, der so schnell fertig ist“, grinst Trainer Sebastian Tlatlik.

Wär’s im Ring der Fall, würde auch niemand meckern. Seit nunmehr sechs Jahren arbeitet der Coach mit Vößing erfolgreich zusammen, hat ihn Schritt für Schritt aufgebaut. Deutscher Junioren-Meister, Deutscher Meister im Cruisergewicht bei den Profis, Internationaler Deutscher Meister und 2022 Junioren-Weltmeister der WBO.

Samstag kämpft Vößing im Essener Colosseum um die Europameisterschaft der WBA

Und nun das Duell um die Europameisterschaft der WBA. An diesem Samstag bestreitet Tim Vößing im Essener Colosseum den Hauptkampf (ca. 21.30 Uhr/Beginn 18 Uhr) gegen den gebürtigen Kosovaren Erdogan „Big Edi“ Kadrija (38). Talent trifft auf Erfahrung. Seit über zwei Jahrzehnten ist der Hamburger bereits im Boxgeschäft. Er hatte knapp 100 Amateur-Kämpfe bestritten, bevor er Profi wurde. Unter anderem boxte er 2019 gegen den ehemaligen Weltmeister Jürgen Brähmer.

Und Vößing? Der gab 2019 in der Grugahalle sein Debüt als Profi. Es folgten 14 Kämpfe und 14 Siege – makellos die Bilanz. 2022 erhielt der Boxer mit der ausgefeilten Technik den „Herqul Award“ als Youngster des Jahres. Mit diesem Preis werden junge Athleten ausgezeichnet, die nicht nur im Boxsport erfolgreich sind, sondern auch privat und beruflich herausragende Leistungen erbracht haben und ein Vorbild sein sollen.

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„Ich habe schon viel mehr erreicht, als ich mir hätte träumen lassen“, sagt Vößing. Er sei früher ein bisschen dicker gewesen, wollte abnehmen und ist beim Boxen hängengeblieben. „Ich hatte da noch nicht einmal die Vision, überhaupt einen Kampf zu machen“, erinnert sich Vößing, der inzwischen bei Deutschlands größtem Boxstall SES in Magdeburg unter Vertrag steht. „Hätte mir jemand prophezeit, du wirst mal Stadtmeister, ich hätte geantwortet: Ist doch super. Das alles hier ist ein Bonus.“

Auch Promis haben sich für den Kampf am Samstag angekündigt

Seit rund acht Wochen bereitet sich der Essener intensiv auf seinen bisher größten Kampf vor, trainierte in der Regel zweimal am Tag. „Train hart and fight easy“, begründet er die Quälerei vor dem ersten Gong, den Fokus längst auf „Big Edi“ und das EM-Duell gerichtet. Er sei bereit, sagt Tim Vößing erstaunlich entspannt. „Ich bin einer, der eher ruhig ist und selbst direkt vor dem Kampf nicht nervös wird. Natürlich kommt dann eine gesunde Anspannung, aber ich habe mich wie immer gut vorbereitet.“

Und den Gegner analysiert: „Gerade in den ersten Runden ist er durchaus gefährlich, da muss ich konsequent meinen Stil durchboxen und darf nicht in Bedrängnis kommen. Ich schätze mich insgesamt besser ein“, resümiert er selbstbewusst. „Klar, die Erfahrung ist auf seiner Seite, aber ich habe schon mit so viel erfahrenen Leuten gearbeitet, dass ich das kompensieren kann.“

Boxen in Essen
Auch die Kölnerin Sudemaz Karadogan wird am Samstag im Essener Colosseum boxen. © FUNKE Foto Services | Michael Gohl

Trainer und Organisator Sebastian Tlatlik bezeichnet den Kampftag im Colosseum als exklusives Box-Event. Die 600 Karten sind bis auf einen kleinen Rest verkauft. „Es werden geile Fights“, verspricht er, weil er ein junges, hungriges Sextett in den Ring schickt mit Nico Göer, Patrick „Hightower“ Schäfer, Julian Henze und dem 16-jährigen Simon Kapplinghaus (16, Schwergewicht) aus Velbert, der wie die Kölnerin Sudemaz Karadogan (20) am Samstag debütiert. Eine After-Show-Party (22.30 Uhr) rundet den Abend ab, für Rhythmus und Promi-Glanz sorgt unter anderem DJane Guilia Siegel, Model und TV-Star zugleich.

Infos und Karten unter: Telefonnummer 0160/99406666.

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