Essen. Vorwürfe der psychischen Gewalt, Freistellung beim BVB, neuer Trainerjob und das Aus nach 37 Tagen. Der Fall Fuhr und seine spektakuläre Wende.
Verpflichtet ein Handball-Verbandsligist einen neuen Trainer, ist das in der Regel kein Thema, das überregionale Medien beschäftigt. In diesem Fall war das anders: Der Essener Klub MTG Horst hatte André Fuhr Ende Juli als neuen Übungsleiter für die erste Herrenmannschaft vorgestellt, wollte mit ihm unter die Top Fünf der Liga. Nun die Rolle rückwärts nach wenigen Wochen: Der Verein trennt sich vom Übungsleiter, dessen Anstellung von Beginn an für Kontroversen gesorgt hatte.
Alles rund um das Thema MTG Horst und André Fuhr
- Reaktionen: Öffentlicher Druck: Handballklub wirft Skandal-Trainer raus
- Hintergrund: Wie André Fuhr eine neue Trainerstelle fand – und rausflog
- Kommentar: MTG Horst und André Fuhr: So naiv kann man nicht sein
Denn: Der Essener Verbandsligist hatte einen Trainer verpflichtet, der mit den BVB-Handballerinnen Deutscher Meister wurde und Nachwuchs-Nationaltrainer war. Der aber für den Essener Verbandsligisten auch nur zu haben war, weil er diese Ämter seit einem Jahr nicht mehr hat, nachdem sich zahlreiche Spielerinnen öffentlich beklagten, Fuhr habe einzelne Spielerinnen psychisch unter Druck gesetzt und gemobbt. Eine Kommission des Deutschen Handballbundes (DHB) befasst sich mit dem Fall und mit möglichen Konsequenzen.
Wir beleuchten den Fall Fuhr und lassen die MTG Horst erklären, warum sie sich für ihn als neuen Trainer entschieden hatte – und warum der Übungsleiter nun doch nicht mehr Trainer der MTG ist. André Fuhr selbst wollte sich nach Anfrage gegenüber dieser Redaktion nicht äußern.
Was ist vorgefallen?
Im September 2019 kündigten die Nationalspielerinnen Mia Zschocke und Amelie Berger ihren Vertrag mit dem BVB fristlos, wendeten sich an die Anlaufstelle bei Gewalt und Missbrauch im Sport „Anlauf gegen Gewalt“. Kurz darauf beendete Fuhr seine Tätigkeit beim DHB, der Vertrag mit dem BVB wurde im Oktober 2022 in beiderseitigem Einvernehmen aufgelöst. Im Raum steht der Vorwurf des systematischen Aufbaus von Abhängigkeitsverhältnissen, Ausnutzen einer Machtstellung sowie psychischer Gewalt. Er habe Spielerinnen „systematisch drangsaliert, unterdrückt und gefügig gemacht“, hieß es damals im Spiegel.
Fuhrs Anwältin bezeichnete die Vorwürfe als „in wesentlichen Punkten unzutreffend“. Dass Fuhr seine Tätigkeit beim DHB selbst beendete, sieht Jolanda Bombis-Robben, eine der Spielerinnen, die beim Bundesligisten Blomberg-Lippe unter Fuhr spielte und diese Zeit in einem Gespräch mit dem Deutschlandfunk (DLF) als die „schlimmste Saison“ bezeichnete, heute kritisch. „André Fuhr konnte selber gehen und das macht da jetzt einen Unterschied. Wenn da gestanden hätte ‚aufgrund von Vorwürfen trennen wir uns‘, das hätte vielleicht nach außen hin eine ganz andere Darstellung gegeben“, sagte sie in einem aktuellen Gespräch mit dem DLF.
Wie ging es nach den Vorwürfen weiter?
Nach Bekanntwerden der Vorwürfe meldeten sich rund 50 Spielerinnen, berichteten in einem Artikel des „Spiegel“ detailliert über Machtmissbrauch und Grenzverletzungen durch den Trainer. Fuhr selbst äußerte sich nicht. Außerdem installierte der DHB eine unabhängige Kommission, die die Fälle prüfen und präventiv wirken sollte. Die erste Kommission löste sich wegen interner Uneinigkeiten noch im Januar auf, seit März ermittelt eine zweite Kommission. Diese nimmt „die Vorwürfe gegen den Handballtrainer André Fuhr zum Anlass, die Vorkommnisse von einer unabhängigen Kommission aufarbeiten zu lassen. Zudem erhofft sich der DHB von der Kommission Erkenntnisse, welche Strukturen Gewalt begünstigt haben und wie Strukturen im Sinne einer bestmöglichen Prävention und eines Frühwarnsystems weiterentwickelt werden können“, heißt es in einer Stellungnahme des DHB.
Die Aufarbeitungskommission besteht aus Sprecherin Dr. Jeannine Ohlert, Martina Lörsch, Prof. Dr. Bettina Rulofs, Angela Marquardt, Benny Barth und Maike Schröer. Ergebnisse werden für September 2024 erwartet. Die MTG Horst hat André Fuhr im Juli 2023 als neuen Trainer der Verbandsliga-Mannschaft vorgestellt.
Wie kam die MTG Horst darauf, André Fuhr als neuen Trainer zu verpflichten?
„Wir haben das im Team entschieden“, sagt Michael Hebenstreit, Leitung der Abteilung Handball bei der MTG Horst. Zunächst habe er mit seiner Stellvertreterin Maren Fröhlich den Markt sondiert, dabei den Fokus vor allem auf Essen und Mülheim gelegt. „Der Markt ist abgegrast, deshalb haben wir über die Grenzen geschaut“, sagt Fröhlich. So sei man dann auf den Namen André Fuhr gekommen.
Wie liefen die Gespräche im Verein und mit André Fuhr?
Es folgten Gespräche mit der Führung des Gesamtvereins. „Wir haben uns viele Gedanken gemacht“, sagt Geschäftsführer Eiko Rümker. Und betont: „Wir haben es sportlich betrachtet. Und über allem stand, dass wir einen Trainer brauchten.“ Die Vorstände trafen sich also mit André Fuhr, hatten „ganz offene und ehrliche Gespräche“ mit dem Trainer, wie Michael Hebenstreit erklärt. „Für mich war entscheidend, dass wir alle Fragen stellen durften. Wenn irgendwo Zweifel geblieben wären, hätten wir es nicht gemacht“, sagt Maren Fröhlich. Auch die Mannschaft war nach Angaben der MTG mit eingebunden und hat sich demnach einstimmig für die Verpflichtung von Fuhr ausgesprochen.
Was sagt die MTG Horst zu den Vorwürfen gegen den Trainer?
„Es gibt keine strafrechtliche Sachlage. Wir wissen aus der Presse von 50 bei der Beratungsstelle „Anlauf gegen Gewalt“ eingegangenen Meldungen. André Fuhr hat sich dem Handballvorstand gegenüber sehr offen zu den Vorwürfen geäußert und hat seine Sichtweise dargestellt. Welche Aussagen am Ende bewertet werden und rechtliche Relevanz haben, müssen Andere entscheiden“, sagt Eiko Rümker. „Wir haben einen Trainer für eine Herrenmannschaft gesucht und sportlich hat es für uns Sinn gemacht“, so Rümker. Maren Fröhlich ergänzt: „Es sind alles Amateursportler, es besteht kein Abhängigkeitsverhältnis, es wird keinen psychischen Druck geben.“ Sollte es doch zu einem Verfahren kommen, „können beide Seiten die Reißleine ziehen“, so Michael Hebenstreit. André Fuhr ist Übungsleiter bei der MTG, nicht im Angestelltenverhältnis. Konkret auf die Anschuldigungen der Spielerinnen bezogen sagt Eiko Rümker: „Es ist eine Gratwanderung, meine Spielerinnen und Spieler zu motivieren. Der eine macht es etwas leiser, der andere lauter.“ Und Maren Fröhlich ergänzt: „Die Grenze ist individuell unterschiedlich, Frauen sind da manchmal etwas sensibler.“ Was die Kommission nun ermittle, sei für den Verein nicht deutlich zu erkennen. „Was macht die Kommission? Es geht doch nur um Prävention. Nach unserer Einschätzung ist dem Web-Auftritt des DHB kein eindeutiger Untersuchungsauftrag in Richtung André Fuhr zu entnehmen. Der Fokus liegt vielmehr auf der Zukunft, beziehungsweise dem Präventionsgedanken“, sagt Michael Hebenstreit. Ganz richtig ist das nicht – in einem Schreiben des DHB ließ sich dessen Präsident Andreas Michelmann so zitieren: „Wir nehmen die Vorwürfe gegen den Handballtrainer André Fuhr weiterhin mit größtem Interesse zum Anlass, dies extern und unabhängig aufarbeiten zu lassen.“
Wie ging der Verein mit ersten öffentlichen Reaktionen um?
Drastisch auf den neuen Job von André Fuhr reagierte Ex-Spielerin Jolanda Bombis-Robben, die im Spiegel so zitiert wird: „Das hat mich sehr schockiert, dass das einfach komplett unter den Tisch gekehrt wird. Und das heißt für mich so, okay, da sind immer noch Leute, die das nicht ernst nehmen.“
„So eine Äußerung erschreckt mich. Damit spricht sie uns ab, dass wir mündig sind und selbst entscheiden können, was wir machen. Aus ihrer Sicht kann ich es total verstehen, aber ich weiß nicht, was den Spielerinnen passiert ist“, sagt Horsts Michael Hebenstreit und ergänzt: „Natürlich gibt es mal einen Trainer, bei dem ich keinen Bock habe zu spielen.“
Wie waren die Reaktionen im Verein und macht sich die MTG Sorgen, dass sich die Verpflichtung negativ auf den Nachwuchs auswirkt?
Erst nach den ersten Medienberichten habe es Reaktionen, auch kritische Fragen, gegeben. „Die, die es gut finden, sagen meistens ja nichts“, so Michael Hebenstreit. Die erste Mannschaft sei ein Vorbild im Verein und von einigen Jugendspielern habe Maren Fröhlich bereits vernommen, dass sie „hoffen, dass André Fuhr noch Trainer ist, wenn sie selbst bei den Herren spielen.“
Wieso wurde André Fuhr nach dem ersten Spieltag wieder freigestellt?
„Die Vereinsführung sieht sich gezwungen, André Fuhr freizustellen, da sich im Vereinsumfeld ein öffentlicher Druck aufgebaut hat, der das einwandfreie Image des Vereins nachhaltig schädigen könnte“, heißt es von Vereinsseite. Unter anderem die Krupp-Stiftung, aber auch das Essener Jugendamt, die beide mit dem Verein in verschiedenen Projekten zusammenarbeiten, hatten sich eingeschaltet.