Essen. Der Westenergie-Marathon ist der älteste seiner Art in Deutschland. Gastgeber Tusem Essen hat viel erlebt in den Jahren und ist stolz darauf.

Vorher gratulieren, nein, das macht man nicht. Aber die Vorfreude auf das Ereignis ist schon riesig. Am kommenden Sonntag wird der Essener Marathon „Rund um den Baldeneysee“ 60! Was für ein Ehrentag. Seit 1963 wird dieses Event nun schon ausgetragen - ohne Unterbrechung. Natürlich gibt es Wettkämpfe dieser Art mit mehr Spektakel, mit schnelleren Zeiten, mit mehr Teilnehmern und mehr Zuschauern am Streckenrand. Doch der „Westenergie-Marathon“, so heißt er inzwischen, ist der älteste in Deutschland. Und selbst Corona konnte ihn nicht stoppen.

2020 fielen fast alle Sportveranstaltungen der Pandemie zum Opfer. Nur in Essen fühlten sie sich der Tradition verpflichtet und entschlossen sich, eine „Extrarunde“ zu inszenieren mit einer Handvoll Läuferinnen und Läufern, die sich ohne Wettkampfstress und lächelnd auf den Weg machten. Und im Ziel gab’s für jeden statt der obligatorischen Medaille ein Schild mit der Aufschrift: „Tradition läuft weiter.“

Tusem Essen will sich die Einzigartigkeit bewahren

Es war die Einzigartigkeit, die der Tusem bewahren wollte. So wie 2021. Köln Marathon, Frankfurt, Bonn – alle Veranstalter sagten ab. In Essen jedoch wurde gelaufen. „Die Unsicherheit war schon groß, wir sind sicherlich auch ins Risiko gegangen“, hieß es damals. „Wir haben gepokert und Glück gehabt.“

Marathon in Zeiten von Corona: 2020 gab es am Baldeneysee immerhin eine „Extrarunde“.
Marathon in Zeiten von Corona: 2020 gab es am Baldeneysee immerhin eine „Extrarunde“. © FUNKE Foto Services | Michael Gohl

Immer am zweiten Wochenende im Oktober fällt der Startschuss am See. Ein wahrer Klassiker. Ein solches Jubiläum ist in dieser schnelllebigen Zeit längst nicht selbstverständlich. Und ganz und gar ungewöhnlich ist es, dass sich ausschließlich Ehrenamtler von Tusem Essen um die Organisation kümmern. Allen voran der Orga-Chef Gerd Zachäus, der beim Start schon längst auf der Strecke ist, weil eine solche Veranstaltung fast ein Jahr Vorlauf benötigt.

Bis zu 2500 Aktive am Start

Der „Westenergie-Marathon“ wird am Sonntag um 10 Uhr an den Tribünen in Höhe des Regattaturms gestartet. Bereits um 9.45 Uhr werden die Läuferinnen und Läufer auf die beliebte Seerunde (16,7 km) geschickt. Die 4er-Teams beim Allbau-Staffelmarathon starten gemeinsam mit den Marathonis. Insgesamt erwartet Tusem Essen bis zu 2500 Aktive, rund 600 davon werden die 42,195 Kilometer in Angriff nehmen.

Am Tag zuvor findet der Walking Day statt. Dort wird ab 13,.30 Uhr im Minutentakt gestartet. Es sind verschiedene Strecken für die Walker und Nordic Walker im Angebot: die Schnupperrunde (4,5 km), die Nordschleife (8,5 km), sowie die Seerunde (15 km). Die fünf aktivsten Betriebssportgruppen erhalten einen Geldpreis.

Zachäus ist das Gesicht dieser Traditionsveranstaltung, ohne ihn läuft nichts. Immer stand er im Zieleinlauf am Regattaturm und hängte den Siegerinnen und Siegern die Medaillen um. 82 Jahre ist der gute Mann inzwischen und blickt auf eine bewegte Geschichte zurück: „Seit 1991 arbeite ich beim Tusem Marathon ohne Unterbrechung mit. Ich freue mich auf die 60. Auflage - aber danach müssen Jüngere ran“, sagt er. Der 60. Durchgang soll für ihn der letzte sein, zumindest in der Hauptverantwortung. Für sein Engagement wurde Zachäus 2019 mit der deutschen Verdienstmedaille geehrt.

2021 wurde Streckenrekord bei den Frauen geknackt

Die Strecke am Baldeneysee ist flach und schnell, das ist bekannt. Doch Topzeiten werden dort abgeliefert, wo viel Geld im Spiel ist. Die Elite, meist aus Afrika eingeflogen, will bezahlt werden für ihre Dienste. Deren Zeiten schaffen es in die Schlagzeilen, am See in Essen ist das eher selten der Fall. Kristina Hendel (LG Braunschweig) setzte im Vorjahr ein Glanzlicht, als sie bei ihrem Debüt über die 42,195 Kilometer den Streckenrekord mit 2:27:30 Stunden unterbot. Das war mal ‘ne Hausnummer - auch bundesweit.

Orga-Cef Gerd Zachäus im Vorjahr mit dem Sieger Rok Puka und dem Zweiten Jan Hense.
Orga-Cef Gerd Zachäus im Vorjahr mit dem Sieger Rok Puka und dem Zweiten Jan Hense. © André Hirtz

Bei den Männern hält noch immer der Essener Werner Grommisch die Bestmarke: gelaufen 1987. Zwei Stunden, 14 Minuten und 36 Sekunden - eine Zeit wie in Stein gemeißelt. 2003 kam der Burgaltendorfer Carsten Schütz (2:14,56) ganz nah an diese Bestmarke heran. Wann der Rekord fallen wird? „Wenn von den großen Laufnationen die Richtigen verpflichtet würden, wäre die Frage ganz schnell gelöst“, sagte Grommisch mal süffisant. Aber das war nie das Konzept des Tusem.

Der wirbt mit dem besonderen Flair, mit der wunderbaren Natur und einer persönlichen Betreuung der Aktiven. „Wir arbeiten dafür, dass sie ihre Startnummern und Chips bekommen, genug Trinkbecher, Bananen und Getränke. Das ist jetzt das Wichtigste“, sagt Zachäus. Die Läuferinnen und Läufer sollen sich in Essen wohl fühlen, in einer eher familiären Atmosphäre, wo der ambitionierte Breitensport zu Hause ist. Marathon ist halt auch nicht mehr die große Nummer. Aber am Baldeneysee sind alle, die sich durchbeißen, sowieso kleine Helden.

Mehr Artikel aus dieser Rubrik gibt’s hier: Essen