Essen. Enrico Schleinitz, Leiter des Nachwuchsleistungszentrum von Rot-Weiss Essen, rechnet fest mit dem Aufstieg der U19 und U17 in die Bundesliga.

Personalplanungen, Ligazugehörigkeit - im Nachwuchsleistungszentrum von Rot-Weiss Essen hängt aufgrund des Corona-Virus derzeit vieles in der Schwebe. Wir haben uns mit NLZ-Leiter Enrico Schleinitz über die aktuelle Situation und mögliche Folgen für Verein und Spieler unterhalten.

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Enrico Schleinitz, haben Sie als NLZ-Leiter in Corona-Zeiten mehr oder weniger Arbeit als gewöhnlich?

Der Alltag hat sich verändert. Normalerweise beginnt nachmittags die Rushhour am Platz, wo ich viele Gespräche mit Mitarbeitern, Trainern und Eltern führe. Das geschieht jetzt über den Tag verteilt, per Mail oder telefonisch. Dazu tauschen wir uns im Verein ständig zur aktuellen Lage aus und haben die Chance genutzt, um uns konzeptionell weiterzuentwickeln.

Mit welchen Fragen und Sorgen werden Sie derzeit von Spieler- und Elternseite konfrontiert?

Das ist abhängig von der Altersklasse. Natürlich wollen alle wissen, wann, wie und in welcher Liga es weiter geht. Fragen, die derzeit niemand beantworten kann. Zudem ist die Kaderplanung ein bedeutendes Thema. Wir müssen entscheiden, welchen Spielern wir den Sprung in den nächsten Jahrgang zutrauen. In jedem Team gibt es Wackelkandidaten, die gerade keine Chance haben, sich zu zeigen. Der Fairness halber werden wir diese Spieler mitnehmen. Aber für die Altjahrgänge der U19, die auf dem Sprung in den Seniorenbereich sind, ist die Ungewissheit natürlich extrem bitter.

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Aufgrund der fehlenden Planungssicherheit müssten die U19-Talente doch gerade jetzt noch stärker in den Fokus der Ersten Mannschaft rücken.

Ich sehe die Situation eher als Nachteil für die Spieler. Jetzt wäre die Phase, wo sich entsprechende Kandidaten oben zeigen können. Will man einem Spieler einen Vertrag anbieten, muss das wohl überlegt sein und für beide Seiten passen. Die Senioren brauchen Jungs, die das Potenzial haben, die Mannschaft zu verstärken. Andersrum lassen sich die Spieler auch nur überzeugen, wenn sie eine faire Chance bekommen.

Wie handelt der Verein diese Situation?

Wir führen Gespräche mit den Spielern, können aber keine Entscheidungen treffen, ehe sich der Verband auf ein Zukunftsszenario festlegt. Einige Kandidaten, die schon oben zum Einsatz gekommen sind, sind natürlich immer noch interessant. Aber momentan ist es schwierig. In dieser Saison stehen mehr Spieler im Fokus der Ersten Mannschaft als in den vergangenen Jahren. Das liegt daran, dass das Trainerteam breiter aufgestellt ist und wir uns konzeptionell verbessert haben. Der Austausch zwischen Junioren und Senioren wurde intensiviert. Wenn die Talente überzeugen und das Gesamtpaket passt, dann werden sie auch reingeworfen, wie es etwa bei Michael West, Kingsley Marcinek, Ioannis Orkas und vor allem Noel Futkeu der Fall war.

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Warum konnten sich so wenige Spieler in den Vorjahren bei den Senioren etablieren?

Wenn ein Spieler das entsprechende Potenzial mitbringt, bleibt das anderen Vereinen natürlich nicht verborgen. Unsere Topspieler werden oft abgeworben. Natürlich versuchen wir jeden Spieler zu halten, aber sportlich und finanziell können wir nicht mit unseren großen Nachbarklubs mithalten. Ein Levent Mercan, der bis zu U17 für Rot-Weiss spielte, wäre für das Regionalliga-Team sicherlich interessant geworden, hat sich dann aber für Schalke entschieden. Das war in seinem Fall vielleicht der richtige Schritt. Manchmal verlassen uns aber Spieler, obwohl wir der Meinung sind, dass sie noch nicht reif dafür sind. Das sehen Eltern oder Berater dann teilweise anders. Oft klopfen sie dann nach ein, zwei Jahren wieder bei uns an.

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Gehen Sie bei den A- und B-Junioren vom Aufstieg aus – sportlich oder am grünen Tisch?

Am liebsten wäre uns eine Entscheidung auf dem Rasen, wobei ich mir aktuell nicht vorstellen kann, dass die Saison zu Ende gebracht wird. Die Annullierung einer Spielzeit, die zu zwei Dritteln absolviert wäre, fände ich absurd. In beiden Altersklassen stehen wir quasi seit Saisonbeginn auf Platz eins. In diesem Fall wäre es sinnvoll und richtig, uns den Aufstieg zuzusprechen.

„Unser Anspruch war die Bundesliga-Rückkehr“

Haben Sie bei der Kaderplanung in beiden Jahrgängen auch einen möglichen Nicht-Aufstieg berücksichtigt?

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Unser Anspruch war die Rückkehr in die Bundesliga. Das haben wir in beiden Klassen schon früh in der Saison eindrucksvoll bewiesen. Entsprechend haben wir unsere Planung ausgerichtet – nicht ohne uns einen Plan für ein weiteres Jahr in der Niederrheinliga zurechtzulegen. Vor der Corona-Unterbrechung waren wir schon sehr weit mit der Planung. In der U19 wussten wir, dass uns ungefähr zehn Spieler in Richtung Seniorenbereich verlassen werden, so war klar, wo wir Bedarf haben.
Anders als im Vorjahr werden wir viele vakante Stellen intern besetzen können, da die U17 eine starke Saison spielt und sich viele Talente für eine Übernahme empfohlen haben.

Mit welchen Argumenten versuchen Sie, potenzielle Neuzugänge von RWE zu überzeugen?

Als verhältnismäßig kleines NLZ nehmen wir mehr Rücksicht auf die individuelle Ausbildung und die Bedürfnisse der Spieler. Das müssen wir auch, denn im Gegensatz zu den Top-Vereinen können wir es uns nicht leisten, uns von einem Spieler zu trennen, wenn es mal nicht läuft. Bei uns können Spieler, die anderswo womöglich auf der Bank sitzen, eine tragende Rolle übernehmen. Darüber hinaus arbeiten wir eng mit der Seniorenabteilung zusammen. Talente erhalten die Chance, sich zu zeigen – und für höhere Aufgaben zu empfehlen.

In den vergangenen Jahren pendelten U19 und U17 stets zwischen Bundes- und Niederrheinliga. Das Ziel ist die langfristige Etablierung in der Bundesliga. Wie soll das gelingen?

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Das Problem ist, dass viele unserer besten Talente, vor allem aus der U15, abgeworben werden. Diese Abgänge lassen sich nicht so einfach ersetzen. Da müssen wir ansetzen und versuchen, die Spieler zu binden, indem wir ihnen eine Perspektive anhand der eben genannten Vorteile aufzeigen. Unser größtes Ziel ist es allerdings, jahrgangsübergreifend attraktiven Offensivfußball zu spielen - unabhängig von Gegner und der Liga.

Geht das überhaupt?

Ein Stück weit muss man sich immer an den Gegner anpassen. Aber vom grundsätzlichen Plan wollen wir nicht abweichen. Wir wollen aktiv und mutig agieren. Wie soll sich beispielsweise ein Offensivspieler verbessern, wenn er nie aufs Tor schießt? Unser Spieler soll sich trauen, ins Dribbling zu gehen – egal, ob ihm ein National- oder Niederrheinliga-Spieler gegenüber steht. Dafür braucht es Selbstvertrauen und Unbekümmertheit. Das müssen unsere Trainer den Spielern vorleben.

Sollte die Regionalliga-Saison abgebrochen werden, könnte das verheerende finanzielle Folgen für den Gesamtverein haben. Sorgen Sie sich um die Zukunft des NLZ?

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Noch ist ja überhaupt nicht klar, wie es weitergeht. Bei einem Abbruch gäbe es so viele Faktoren zu berücksichtigen, zu denen ich keinen Überblick und Einfluss habe. Da verschwenden wir im Verein aber keinen Gedanken daran. Der Aufwand, den wir betreiben ist nicht kurzfristig, sondern auf Jahre angelegt und bringt dem Vereinen Mehrwert – sei es in Form von Personal für die Senioren, oder Aufwandsentschädigungen für Abgänge.