Bottrop. Deutsche Meisterin, Sieg bei den European Open. Und nun Olympia? Warum die Bottroperin Agatha Schmidt vor großer Ungewissheit steht.
Es ist ein großer Wunsch, für den Agatha Schmidt kämpft: „Mein Traum sind die Olympischen Spiele im nächsten Jahr.“ Die Bottroper Judoka durchlebt das erfolgreichste Jahr ihrer Karriere, gewann ihre erste Deutsche Meisterschaft und vor wenigen Wochen ihr erstes großes internationales Turnier, die European Open in Madrid.
„Sie hat einen ziemlich großen Sprung gemacht,“ freut sich ihr Heimtrainer Frank Urban, der erfolgreiche Coach des Bundesligisten JC 66 Bottrop. Ihre große Stärke: „Sie kann jede werfen. Und sie hat eine Bodentechnik, mit der sie zu 90 Prozent einen Punkt macht, wenn sie die Gelegenheit hat. Das ist schon einmal ein Pfund.“
Bottroperin hat an ihren Schwächen gearbeitet
In Madrid zahlte sich das aus, wo sie gleich drei ihrer Kämpfe mit dieser Technik gewann. Eine weitere Steigerung hat Trainer Urban beobachtet: „An einigen Sachen hat Agatha gut gearbeitet. Ein Problem war früher, dass sie zu viele Wertungen abgegeben hat, zu viel gefallen ist. In Madrid aber hat sie im Stand keine Wertung abgegeben.“
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Eine Facette auf ihrem Weg zur Leistungssteigerung ist sicher die Zusammenarbeit mit Mentaltrainerin Martyna Trajdos, einer früheren Konkurrentin in ihrer Gewichtsklasse bis 63 Kilogramm und Olympiateilnehmerin 2021 in Tokio. „Ich habe gelernt, wie ich den Fokus auf meine Aufgabe richte und wie man das am Wettkampftag umsetzt,“ sagt Agatha Schmidt.
Mentale Stärke bringt Schmidt den Deutschen Meistertitel
Gut zu sehen war das bei der Deutschen Meisterschaft Anfang des Jahres in Stuttgart. Im Finale gegen Vivian Herrmann aus Hannover bekam Schmidt 37 Sekunden vor Schluss des Kampfes eine kleine Wertung gegen sich, siegte dann aber doch durch einen Wurf vier Sekunden vor dem Ende.
„Das war krass,“ schildert die Bottroperin, die aus der Stadtmitte kommt und am Josef-Albers-Gymnasium ihr Abitur machte. „Das war einfach mein Tag. Ich war noch nie mental so gut vorbereitet, bin vorher alles so oft im Kopf durchgegangen – und war mir sicher, dass ich, auch wenn ich hinten liege, doch noch gewinne.“
Bottroperin ließ sich von zwei Strafen nicht aus dem Konzept bringen
Es lief genau, wie sie sich das vorgestellt hatte: „Ich war schon ein bisschen gestresst mit zwei Strafen, musste die ganze Zeit nur noch Vollgas geben und durfte keinen Fehler machen.“
Einen Vorteil aber sah sie: „Wenn man zurückliegt, kann man komplett sorgenfrei in den Kampf gehen.“ Schmidt riskierte viel und wurde belohnt: „Es gab dann noch eine enge Hüfte, in dem Kontakt und dem Gewusel ist dann halt die Wertung entstanden.“
Perfekte Bundesliga-Bilanz – Job in der Luft- und Raumfahrt
Im Bundesligateam der Bottroper Frauen hat Agatha Schmidt, die beim Polizeisportverein mit dem Judo begann und mit 13 Jahren zum JC wechselte, 2023 alle Kämpfe gewonnen. Der JC ist nach der Vorrunde Zweiter der Gruppe Nord-West und für die Finalrunde im September qualifiziert.
Der Kontakt nach Bottrop ist der 26-Jährigen wichtig, obwohl sie seit Jahren in Köln wohnt, wo sie Wirtschaftsinformatik studiert und an ihrer Masterarbeit tüftelt. Im Deutschen Zentrum für Luft- und Raumfahrt hat sie noch einen Job in der Softwaretechnologie, den sie mit viel Homeoffice gut mit dem Judo vereinbaren kann.
Im Bundeskader noch nicht auf der höchsten Stufe angekommen
Da sie im Bundeskader in der untersten Kaderstufe ist, wird die Judoka nicht von Sporthilfe gefördert, freut sich aber über andere Unterstützung: „Zum Glück habe ich seit Jahren die Leistungssportförderung Bottrop und die Sportstiftung NRW“.
Wakup bei den Finals
Erstmalig treten bei den Finals auch Judoka an. Die Landesauswahlteams treten in einem Mannschaftswettbewerb an. Für Nordrhein-Westfalen ist auch Nehle Wakup vom JC 66 Bottrop nominiert.
Gekämpft wird heute im Düsseldorfer „Castello“. Zwölf Mixed-Teams sind mit dabei.
Sie arbeitet aber daran, im Bundeskader aufzusteigen, denn es würde „mir einiges leichter machen von der Finanzierung her“. Auf diesem Weg unterstützt sie Frank Urban. „Er kommt zum Glück zweimal die Woche nach Köln, so dass ich mit ihm zusammenarbeiten kann,“ sagt Agatha Schmidt.
Im Leistungszentrum in Köln-Müngersdorf betreuen die Stützpunkttrainer sehr viele Athletinnen, haben nicht für jede viel Zeit. Da sei es für sie wichtig „einen Heimtrainer zu haben, der hinter einem steht, egal wie es läuft. Das ist viel wert.“
Schmidt gehört zu den besten 60 der Welt
Zweimal täglich trainiert sie, vormittags meist Kraft und Technik, abends dann Übungskämpfe, die Randori. Um eben noch weiter zu kommen als Platz 60 der Weltrangliste, den die Bottroperin aktuell innehat.
Bisher glänzte sie bei Europacups (Silber Bratislava 2019 und Winterthur 2022) und European Open (Bronze und Sarajevo ’21, Silber und Gold Madrid ’22 und ’23), bei den wichtigeren Grand Prix- und Grand Slam-Turnieren noch nicht. Agatha Schmidt: „Noch hat es nicht zum Durchbruch gereicht. An diese Topleute ranzukommen, mit denen zu kämpfen, wäre gut.“
Olympia-Chancen sind aktuell nicht einzuschätzen
In ihrer Gewichtsklasse bis 63 Kilogramm, in der Nadja Bazynski (44.) und Vivian Herrmann (57.) in der Weltrangliste noch vor ihr liegen, ist Deutschland keineswegs Weltspitze. „Alle Kandidaten haben noch nicht ganz das Niveau, das wir alle bräuchten“, urteilt Schmidt.
Bei der Weltmeisterschaft in Doha im Mai wurde keine Deutsche in dieser Klasse nominiert und was Bundestrainer Claudiu Pusa plant, ist schwer zu ergründen. Wegen einer Reise in die Mongolei mit wenig Handyempfang ist er weder für Journalisten zu sprechen noch für Trainerkollegen wie Frank Urban. „Alles ist in der Schwebe, kein Mensch weiß, wie das weitergeht,“ sagt Urban.
Der Bundestrainer müsse „sich selbst Gedanken machen, was in der Gewichtsklasse gerade passiert. Das ist nicht so einfach.“ Wie denn wohl die Olympia-Chance für Agatha Schmidt im Moment sei? Da kann auch Frank Urban nur mit der Schulter zucken: „Das kann ich Null einschätzen.“