Wattenscheid. Christian Fischer ist nicht mehr Vorstandschef der SG 09. Im Abschiedsinterview verrät er, wie er mit Moritz Fiege verhandelte und warum er mit eigenen Geld einsprang.

Bevor Christian Fischer dieses Interview endgültig freigibt, meldet er sich noch einmal. Dem früheren Finanzvorstand der SG Wattenscheid 09 ist es besonders wichtig, sich für die faire und vertrauensvolle Zusammenarbeit mit dieser Redaktion zu bedanken und diesen Dank auch im Interview zu erwähnen. Das ist eigentlich nicht üblich, normalerweise spielen persönliche Befindlichkeiten bei Berichterstattung keine Rolle - dürfen sie auch nicht. Da Fischer dem Vorstand des Westfalen-Oberligisten aber nicht nicht mehr angehört, findet er es angebracht.

Außerdem: Es rundet jetzt ein Bild von ihm ab, das viele Wattenscheider gar nicht von ihm gehabt haben dürften. Denn der stets nüchtern und knallhart kalkulierende Wirtschaftswissenschaftler kehrt im Abschluss-Interview seine emotionale Seite heraus. Überraschend für jemanden, der in den vergangenen Jahren öffentlich meist über Plus und Minus, über Schwarz oder Weiß gesprochen hat: Immer dann, wenn er sein Ende bei der SGW in Worte fasst, kommen ihm die Tränen, dann muss er stocken. 

Herr Fischer, ein letztes Mal sprechen wir über Wattenscheid 09.

Christian Fischer: Stimmt, ich bin sogar ein bisschen aufgeregt. Das passiert mir normalerweise nicht.

Wattenscheid 09: „Das waren fünf hochemotionale Jahre“

Warum sind Sie aufgeregt? 

Nun ja, das waren fünf hochemotionale Jahre bei 09 mit viel Auf und Ab. Jetzt wird mir Stück für Stück klar, dass diese Zeit zu Ende ist und viele Dinge wegbrechen (macht eine Pause). Dazu gehört auch die Arbeit mit der Presse.

Fangen wir doch entspannt an. Was machen Sie momentan? 

Manchmal auf der Terrasse sitzen und an die vergangenen Jahre denken. Dann fragt mich meine Frau „Denkst du wieder an 09?“ (lacht).

Bochum: Wattenscheid 09 gegen 1. FC Gievenbeck
Christian Fischer (re.) mit Niklas Lübcke bei der Spieler-Verabschiedung am letzten Spieltag der Saison 2023/24. © FUNKE Foto Services | Uwe Ernst

Und tun Sie das?

Selbstverständlich. Oft sogar. So eine Sache streift man nicht einfach so ab und denkt man nicht mehr daran. 

„Mir war eine gute Übergabe wichtig“

Sie handeln aber nicht mehr? 

Ganz so abrupt habe ich nicht aufgehört. Mir war eine gute Übergabe wichtig. Das ist abgeschlossen. Aktuell erlebe ich mich so, dass ich mich immer öfter traue, deutlichere Worte zu sagen. Das habe ich mich früher nicht getraut. Jetzt geht es, weil ich nicht mehr so intensiv dabei bin.

Deutliche Worte an Ihre alten Kollegen oder über das, was Ihnen nicht passt?

Beides (lacht). 

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Und was haben Sie gesagt? 

Es ist doch ganz normal, dass andere Menschen den Job, den man vorher gemacht hat, etwas anders ausüben als man selbst. Und wenn ich denke, dass ich es anders gemacht hätte, sage ich das eben. Aber ich bin froh, dass ich einen tollen Nachfolger habe. Georg Sokoll war von Anfang an dabei, kennt Anja Commandeur (Insolvenzverwalterin, Anm.d.Red.) noch und weiß, wie man mit Zahlen umgeht. Er ist eine Person, die mit Herz und Seele, aber auch mit Verantwortungsbewusstsein für den Verein arbeitet.

„Jetzt kann ich beruhigt gehen, auch wenn mich das traurig macht“

Das gibt’s ja in Wattenscheid nicht so oft.

Stimmt schon, ja. Aber ich kann sagen, dass diese Attribute in unserem Vorstand in den vergangenen Jahren immer vereint waren. Jetzt kann ich beruhigt gehen, auch wenn mich das traurig macht.

Sie klingen, als würde es Sie beschäftigen. 

Ja (zögert eine Weile). Ja, das beschäftigt mich sehr. Und - ich formuliere das vorsichtig - es emotionalisiert mich sehr. Aber dass diese Entwicklung mal so kommen wird, war immer klar. Ich bin leidenschaftlicher Segler, mich hat es immer ans Meer gezogen. Jetzt wohnen wir an der Nordsee.

Klingt etwas ruhiger als das Ruhrgebiet.

An einem der ersten Tage hier rief meine Frau eines Morgens, dass ich schnell zur Terrassentür kommen solle. Als ich da ankam, standen da Rehe und guckten durchs Fenster. Also ja, etwas ruhiger als das Ruhrgebiet (lacht). 

Umzug bewegte Fischer zum Abschied bei Wattenscheid 09

Wann war Ihnen klar, dass Sie aufhören wollen? 

Für mich war klar, dass ich diese Entscheidung treffen muss, wenn ich mich räumlich verändere. Klar, es gibt Handy, Laptop und, und, und. Aber ich brauche die Kommunikation von Gesicht zu Gesicht. Denn nur so kommen Emotionen rüber. Das habe ich immer offen kommuniziert. In den Monaten vor meiner endgültigen Entscheidung hat meine Frau mir allerdings immer wieder meine Einstellung vor Augen gehalten. Und dann ist mir klar geworden: So einen Posten erledigt man nicht aus dem Strandkorb an der Nordsee.

Es soll im Winter vergangenen Jahres schon einen Zeitpunkt gegeben haben, an dem Sie darüber nachgedacht haben.

So früh noch nicht. Im Frühjahr habe ich den Entschluss getroffen und kommuniziert, dass nach der Saison 2023/24 Schluss sein würde. 

Wattenscheid wartet noch auf Geld für Kerim Demirbay

Ganz unabhängig davon: In diese Zeit fiel die Abwicklung des Demirbay-Erlöses. Wattenscheid 09 steht wegen eines Transfers Geld zu. Was ist daraus geworden?

Es ist noch kein Geld geflossen. Wir haben alle Unterlagen vorgelegt und vom DFB ein Schreiben bekommen, das fast schon entschuldigend klang, weil das Verfahren so lange dauert. Der Verein kann nichts mehr machen.

Hat der Verein nie mit dem Geld geplant? 

Der Verein hat das Geld erwartet, aber nicht geplant.

Es heißt, Sie seien eingesprungen, um Transfers im Winter zu ermöglichen. Sind Sie länger geblieben, um alles abzuwickeln?

Ich war da involviert, ja. Ich habe dem Verein bereits aus anderen Gründen vor den Transfers zusätzlichen, finanziellen Spielraum ermöglicht, den ich mit Blick auf die anstehenden Spieler-Verpflichtungen aus Vorsorgegründen dann beibehalten habe. Daraus muss ich kein Geheimnis machen. Das hat meine Entscheidung, wann ich gehe, aber nicht beeinflusst. 

Die Einweihung des „Wohnzimmer“ an der Berliner Straße mit Christian Fischer (2.v.li.) und seinem Nachfolger Georg Sokoll (ganz re.)
Die Einweihung des „Wohnzimmer“ an der Berliner Straße mit Christian Fischer (2.v.li.) und seinem Nachfolger Georg Sokoll (ganz re.) © FUNKE Foto Services | Dirk A. Friedrich

Misswirtschaft sollte sich nicht wiederholen

Finanzvorstand bei Wattenscheid 09 klingt ähnlich anspruchsvoll wie Mediator in der Ampel-Regierung. Hatten Sie den schwierigsten Job im Vorstand? 

Ein schöner Vergleich. Es ist ein anspruchsvoller Job, der Verein war ja nicht umsonst insolvent. Das war er nicht, weil Farat Toku (der frühere Trainer, Anm.d.Red.) schlecht mit der Mannschaft gearbeitet hat. Da waren andere Faktoren entscheidend. Mir war immer wichtig, dass sich diese Misswirtschaft in meiner Amtszeit nicht wiederholt.

Jetzt haben Sie aber keinen Einfluss mehr. Was kommt nach Ihrer Zeit?

Ich bin froh, dass Georg Sokoll meinen Aufgabenbereich übernommen hat (macht eine längere Pause). Er ist ein klassischer Buchhalter, er weiß, wie eine Bilanz erstellt wird. Und er kann sie auch lesen. Mit Verlaub: So viele Menschen habe ich bei Wattenscheid 09 nicht persönlich kennengelernt, über die ich das sagen würde. Und fast alle, denen ich diesen Job zugetraut hätte, haben gesagt „Nee, das ist mir zu viel Aufgabe neben meinem Job“. 

SG Wattenscheid: News und Hintergründe zum Traditionsclub aus der Lohrheide

Sie haben ja auch einen Job - beschreiben Sie doch mal die Belastung.

Ich musste oft abwägen, habe dabei aber immer meinen Beruf priorisiert. 

Fischer verhandelte mit Moritz Fiege über die Bier-Versorgung

Sie haben beruflich unter anderem mit der Fiege-Brauerei zu tun.

Korrekt, aber nicht nur beruflich.

Aber doch nicht bei 09?

Doch, doch (lacht). Ganz zu Beginn meiner Zeit im Vorstand habe ich mit Fiege über eine mögliche Bier-Versorgung im Lohrheidestadion gesprochen. 

Spannend. Warum wurde daraus nicht? 

Wie sage ich das jetzt diplomatisch? (Pausiert kurz) Am Ende ist es Stauder geworden.

Fiege ist das VfL-Bier. Hätte man das den Fans zumuten können?

Darüber habe ich im ersten Moment gar nicht nachgedacht. Aber ich habe nach der ersten Gesprächsrunde sehr klare Botschaften bekommen, dass die Idee, mit einer Bochumer Bierfirma Geschäfte zu machen, nicht besonders gut ist. 

„Ich wollte nicht den großen Zampano spielen“

Also eine Herzensentscheidung? 

Am Ende ist es Stauder geworden (lacht). 

Sie waren Vorstandsvorsitzender, sind aber selten in Erscheinung getreten. Warum?

Ich wollte gewissenhaft arbeiten, aber nicht den großen Zampano spielen. Das ist gar nicht mein Ding. 

Vielleicht auch, um das öffentliche Interesse vom häufigen Gerede über das Finanzielle abzulenken?

Die Öffentlichkeit hat ja ein Recht, über bestimmte Vorgänge Bescheid zu wissen. Die Aufgabe, darüber zu informieren, habe ich übernommen. Mir war es wichtig, den Finanzbereich sach- und fachgerecht zu bearbeiten.

Fischer kommen die Tränen - Lob für Stefan Beermann

Fast fünf Jahre Wattenscheid 09 - sehen Sie Ihre Aufgaben bei dem Verein erfüllt? 

(lacht) Ich hätte mein ganzes Geld verwettet, dass diese Frage kommt. Ein Verein entwickelt sich, ein Verein lebt. Gerade passiert in Wattenscheid so viel, allein durch den Stadionbau. Übermorgen kommt vielleicht das nächste Thema, das den Finanzvorstand betrifft. Es ist ganz klar ein persönlicher Abschluss für mich, kein thematischer. Kaum sage ich es, kommen mir schon wieder die Tränen. Sie sehen, es macht mich jedes Mal traurig, wenn ich darüber spreche. 

Aus dem Vorstand, der den Re-Start in Wattenscheid ermöglicht hat, ist nur noch Stefan Beermann übrig. Es dürfte Ihnen als 09-Fan aber wichtig sein, dass der Verein weiterhin seriös geführt wird. Sehen Sie das gesichert?

Mit den Leuten, die jetzt am Start sind, besteht der Vorstand aus Mitgliedern, die wissen, was sie tun, dabei aber auch an den Verein denken. Ich freue mich übrigens, dass Stefan seine Aufgabe so intensiv ausübt, wie er das jetzt macht. Er hat auch ein paar Aufgaben von mir übernommen. Dafür gebe ich ihm bei jedem Treffen ein Bier mehr aus (lacht).

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