Bochum. Nach fünf Jahren legt Christian Fischer sein Amt als Vorstandsmitglied bei Wattenscheid 09 nieder, seine Nachfolger stehen schon fest. Die Hintergründe.
Wer Christian Fischer an diesem Abend im November 2019 reden hörte, muss ihn für einen an Naivität kaum zu übertreffenden Optimisten gehalten haben. Der regennasse Beton vom Umlauf des Lohrheidestadions gab ein bedrückendes Wechselspiel mit der schwachen Beleuchtung der Geschäftsstelle. Das Sagen über den Verein hatte seit einigen Monaten eine Insolvenzverwalterin, die einen Monat zuvor die Mannschaft aus dem Betrieb genommen hatte. Aber drinnen, in dieser Geschäftsstelle, saß ein Unternehmer, der engagiert, ja euphorisiert, davon erzählte, dass in Wattenscheid bald wieder Fußball gespielt werde. Er machte sich für einen Re-Start stark, bevor dieses Wort - coronabedingt - zum Inbegriff der Hoffnung des deutschen Fußballs wurde.
Fünf Jahre später hat Christian Fischer seine Arbeit als Finanzvorstand und Vorstandsvorsitzender des Westfalen-Oberligisten niedergelegt, das erfuhr diese Redaktion exklusiv. Fischer, 61 Jahre alt, wird seinen Lebensmittelpunkt nach Norddeutschland verlegen. Seiner Arbeit für die SGW kann er deshalb nicht mehr nachgehen, ohnehin sieht er seine Aufgaben für den Traditionsverein erfüllt.
Christian Fischer stellte Wattenscheid 09 nach Insolvenz finanziell neu auf
Der Eindruck ist korrigiert: Aus dem scheinbar naiven Optimisten ist in der Wahrnehmung ein nüchterner Analytiker geworden, der mit kaufmännischer Kompetenz - und in den Anfängen unter Aufsicht von Insolvenzverwalterin Dr. Anja Commandeur - zunächst die Wiederauferstehung der Fußballabteilung des Vereins und später deren Fortbestand ermöglichte. Ein Mann, der in Zahlen denkt und spricht. Und zwar nur in solchen, die auch da und die schwarz sind.
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Unter seiner Führung galt stets die oberste Maxime, dass die Nullneuner keinen Cent mehr ausgeben als auf dem Konto ist - mit allen damit verbundenen Konsequenzen. Im Sommer 2022 hatte er im Interview mit dieser Zeitung betont, dass er die sportlichen Ambitionen des Vereins stets berücksichtige, dabei jedoch nicht von seinem selbst vorgegebenen Kurs abweichen werde: „Die Regionalliga haben wir durchaus weiter im Blick (…) Aber dann bitte nur mit einem gesicherten Zahlengerüst und nicht auf Grundlage von Wünschen, Träumen und Visionen.“
Unter Fischer feierte Wattenscheid 09 2022 die Rückkehr in die Regionalliga
Das Gros des zumeist unruhigen und deshalb komplizierten Wattenscheider Umfelds konnte das stets verstehen, andere wollten mehr, das ging aber nicht. Insolvenz, Pandemie, Abstieg aus der Regionalliga, blaue Sitzschalen im Lohrheidestadion - was sich liest wie das Schwarzbuch der Wattenscheider Vereinschronik, sind beschwerliche Meilensteine von Fischers Zeit in der Lohrheide. Einfach war die Arbeit nie, seine nüchterne, für manche sogar spaßbefreiende Kalkulationsgabe half aber - und sie machte viel möglich.
Das Aufstiegs-Endspiel vor über 6.000 Zuschauern etwa, verbunden mit der Rückkehr in die Regionalliga im ersten vollständigen Oberliga-Jahr 2022. Es waren Highlights in sportlicher und atmosphärischer Hinsicht, sie überdauern bis heute. Auch, weil sie in der Genese gemessen werden an Fischers Zahlendiktat, das nie, aber auch wirklich nie einen Ausreißer erlaubte. Trotz des wachsamen Auges auf die Wattenscheider Einnahmen- und Ausgabenrechnung: Den sportlichen Erfolg hat die SGW nicht trotz, sondern vor allem wegen Christian Fischer geschafft.
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Seine Laufbahn als Wattenscheider Finanzvorstand endet nach fünf Jahren, sie lässt sich als Erfolgsgeschichte verkaufen. Das ist sie schon deshalb, weil im Verein nach Jahren utopischer Buchführung endlich jemand da war, der wusste, was er tat - und auch nur das tat. Der studierte Wirtschaftswissenschaftler war Finanzvorstand, und nur Finanzvorstand. In sportlichen Fragen hielt er sich zurück, hob oder senkte nur den Daumen, wenn sich etwas finanziell realisieren ließ oder eben nicht.
Nachfolger von Fischer im SGW-Vorstand stehen bereits fest
Wattenscheids Fußballer führen diese Tradition der Spezialisierung im Vorstand fort, Fischers Nachfolge treten zwei neue Funktionäre an: Georg Sokoll (62) wird den Posten des Finanzvorstands bekleiden. Er war zuletzt Jugendgeschäftsführer und Mitarbeiter der 09-Geschäftsstelle. Patrick Lofi (41) wird neuer Organisationsvorstand, ist Sicherheitsbeauftragter und war zuletzt Mit-Organisator im Catering. Aus dem vollständigen Vorstand nach dem Neustart 2019 ist nur noch Stefan Beermann übrig. Er verantwortet das Marketing des Klubs. Doch auch, wenn fast alles neu ist, bleibt eines, wie es seit fünf Jahren ist.
Die Aufteilung auf die jeweiligen Kernkompetenzen im Vorstand war und ist Teil des vor allem zu Beginn des Re-Starts häufig zitierten neuen Wattenscheider Weges. Christian Fischer hat ihn mit erfunden und begründet. Vorbei waren die Träumereien, es war und ist die Zeit der nüchternen Zahlen. Auch wenn es sportlich eng wurde. Wohl auch, weil die SGW in der Regionalliga kein Geld für adäquate Zugänge hatte, stieg die Mannschaft nach nur einem Jahr wieder ab. In der Zwischenzeit wurden Rufe nach namhaften Verstärkungen laut. Im Verein aber hatte sich längst Fischers Zahlendenken manifestiert. Auf die Frage, ob selbst in der dramatischsten sportlichen Ära Gedanken an finanzielle Experimente da waren, sagte er im Juni 2022: „Um Gottes Willen, nein. Sollte sowas mal gelaufen sein, habe ich das nicht mitbekommen.“
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