Wattenscheid. Skeptische Fans, wenig Geld und die Baustelle: Auch nach mäßiger Vorbereitung sind bei Wattenscheid 09 die sportlichen Sorgen nicht die größten.
Wenn die Fans der SG Wattenscheid 09 am Sonntagmittag zum ersten Spieltag der neuen Oberliga-Saison ins Lohrheidestadion treten, ist wenig wie gewohnt. Die traditionsreiche und charmant-abgerockte Wattenscheider Heimspielstätte wird für viele Millionen zu einem Leichtathletik-Schmuckkästchen abgebaut. Für Fans geöffnet ist nur die Haupttribüne, der Rest des Stadions ist gesperrt. Die alte Westtribüne, auf der sich die hartgesottenen 09er sammelten, ist abgerissen, Geschichte.
Die Baustelle – ein schönes Symbol für den Zustand des Fußballvereins und der Mannschaft, die dort zu Hause sind. Während es allerdings Bilder gibt, auf dem ein Hochglanz-Entwurf des Lohrheidestadions 2025 als Ziel der Umbauarbeiten zu sehen ist, fehlt dem Verein eine solche Vision. Schwarz und weiß ergibt in der nun beginnenden Oberliga-Saison zunächst einmal mausgrau.
SG Wattenscheid 09 ist eher kein Aufstiegskandidat
Als „Identitätskrise“ beschrieb Sportvorstand Christian Pozo y Tamayo den Zustand vor einigen Monaten. Nach einem frustrierenden Jahr in der Regionalliga West ist der ehemalige Bundesligist wieder unter den gefühlten Provinzklubs der Oberliga angekommen. Allerdings ohne den Anspruch, diese Liga schnellstmöglich wieder nach oben zu verlassen. „Das war aber auch vor zwei Jahren so“, erinnert Pozo, der den Verein wie „zurückgespult“ sieht auf den Stand von vor zwei Jahren, beim Neustart nach Corona und Insolvenz.
Das obere Drittel nennt Trainer Britscho als Ziel, als Aufstiegskandidat sieht er sein Team nicht. Die Mannschaft hat zuletzt wenig getan, ihren Trainer zu widerlegen, ließ sich bei der Generalprobe von Germania 04/19 Ratingen 1:4 abkochen. Zum Saisonauftakt kommt der Vorjahres-Neunte SG Finnentrop-Bamenohl. Man darf nicht als selbstverständlich ansehen, dass die SGW ihrer Favoritenrolle gerecht wird.
Das Gerüst der alten Mannschaft steht noch nicht wieder stabil
Die Mannschaft ist neu zusammengestellt, das alte Gerüst steht noch nicht wieder: Jeffrey Malcherek verpasste einen guten Teil der Vorbereitung, Frederik Wiebel wackelte zuletzt, Tom Sindermann fehlt verletzt, Dennis Lerche ist nur die Nummer zwei im Sturm – allerdings passt die Joker-Rolle sowieso besser zum Publikumsliebling als der Platz in der Startelf. Lichtblicke waren immerhin der 19-jährige Fabrizio Fili und Mittelstürmer Felix Casalino.
Wofür das reicht? Das wird sich zeigen und auch diese Baustelle wird Zeit brauchen. Auch bei einem Fehlstart gibt es nicht zwangsläufig Grund, an der Arbeit von Vorstand Pozo und Trainer Britscho zu zweifeln. Lange ruhig bleibt es um sie herum aber sicher nicht, wenn die ersten Spiele verloren gehen: Wattenscheid 09 hat im Kalenderjahr 2023 jedes Spiel im eigenen Stadion verloren. Schon in der Schlussphase der Abstiegssaison mussten sich die Verantwortlichen mit Gegenwind von den Rängen befassen, teilweise ohne Maß und unter jeder Gürtellinie.
Der Verein muss auch die Probleme abseits des Rasens lösen
Und es gibt noch größere, tieferliegende Probleme. Vor zweieinhalb Monaten verzichtete der Klub auf die theoretische Möglichkeit in der Regionalliga zu bleiben, da die äußeren Umstände nicht passen. Nur ein Teil der Verantwortung dafür liegt bei der Stadt, der es nicht gelingt, dem Klub regelmäßig angemessene Sportanlagen zur Verfügung zu stellen. Der Verein ist trotz größter Anstrengungen auch wirtschaftlich eher Oberliga-Mittelmaß. Die Lösung mit zwei Co-Hauptsponsoren aus dem Kreis der bisherigen Partner stützt die Erzählung vom „Wattenscheider Weg“, sie beweist aber auch, dass die SGW keinen großen Sponsor findet.
Bei der Vermarktung immerhin liegt die SGW dem Vernehmen nach immerhin etwas über dem Niveau der Aufstiegssaison vor zwei Jahren. Zuschauer- und Catering-Erlöse in dieser Saison dürften dagegen hinter 2022/23 zurückbleiben, angesichts der Baustelle und der sportlichen Perspektive.
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Die Herzen der Fans muss der Klub erst wieder gewinnen
Kurz vor dem Saisonstart verkündete der Klub, die 200. Dauerkarte verkauft zu haben. Im vergangenen Jahr waren es mehr als 300, vor zwei Jahren unter Corona-Bedingungen noch mehr. Es herrscht Skepsis. Der Verein ist solide, aber er reißt nur wenige vom Hocker. Das Aufstiegsspiel gegen Rheine vor mehr als 6000 ist erst 14 Monate her; unvergessen, aber weit weg.
Zurück zur Baustelle: In dieser Saison passen sowieso nur rund 3500 Leute ins Stadion. Durch den Umbau führt der Wattenscheider Weg bald an eine große Kreuzung: Fürs Lohrheidestadion bezahlt die SGW ein Taschengeld als Nutzungsgebühr. Dass das in der neuen Arena so bleibt, scheint ausgeschlossen. Die Identitätskrise wird sich so weiter zuspitzen. Und es ist nicht einmal klar, ob dagegen Siege helfen.