Wattenscheid. Nach dem 1:2 gegen Düren steht einen Spieltag vor Saisonende Wattenscheid 09 als Absteiger fest. Es ist eine lange Chronik des Scheiterns.

Nach nur einer Saison endet die Regionalliga-Zugehörigkeit der SG Wattenscheid 09 wieder. Der ehemalige Bundesligist, der wohl mit dem kleinsten Etat aller West-Regionalligisten in die Spielzeit gestartet ist – hat das Heimspiel gegen den 1. FC Düren mit 1:2 (1:0) verloren und hat damit auch die letzte rechnerische Chance vertan, den Viertliga-Verbleib zu sichern. Gute elf Monate nach dem euphorisch gefeierten Aufstieg herrscht an der Lohrheide zumindest vorübergehend Ernüchterung nach einer Saison, die arm an Höhe-, dafür reich an Tiefpunkten war. Das ist die Chronik des Scheiterns.

Die Vorbereitung

Deutlich früher als geplant musste die SGW in die Vorbereitung einsteigen. Denn statt in der zweiten August-Woche - da fing die Westfalen-Oberliga an - musste das Team von Christian Britscho bereits an 23. Juli ran. Da erwies es sich als problematisch, dass die Planungen des Vereins auf einer pessimistischen Grundlage ruhten und sich Wattenscheid eher auf die Oberliga konzentriert hatte. Der Verein nahm es hin und außerdem in Kauf, dass einige Spieler und auch der Trainer phasenweise fehlten. Vornehmlich urlaubsbedingt - wer will es einem Amateurfußballer verdenken? Dennoch war die Vorbereitung damit suboptimal, die Auftakt-Leistung beim späteren Aufsteiger Preußen Münster (1:4) dennoch respektabel.

Das Debakel in Ahlen

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Drei Spieltage sind um, 16 Mal hat es im Tor der Wattenscheider geklingelt. Das allein ist schon unterirdisch, aber dem Ganzen setzt das desolate Auftreten beim 0:8 in Ahlen eine unrühmliche Krone auf. Wattenscheids Defensive ist an diesem Tag ein einziges Defizit, und nicht wenige ordnen den Aufsteiger schon zu diesem frühen Zeitpunkt der Saison ganz tief unten in der Tabelle ein. „Es ist ein beschissener Start“, gibt Trainer Britscho zu, sein kurzer Ausbruch fruchtet. Am vierten Spieltag fährt die SGW beim 3:0 gegen Fortuna Köln den ersten Sieg ein.

Das nächste Debakel - diesmal zuhause

Freitagspiel in der Lohrheide, normalerweise ist das ein schöner Programmpunkt zum Wochenend-Auftakt. Nach dem 90 Minuten und vier Gegentoren gegen den Tabellenletzten Straelen urteilt unsere Zeitung fest entschlossen: „So spielt wohl ein designierter Absteiger“. Es ist der Auftakt zu einer Serie von vier Niederlagen in Folge, Wattenscheid verpasst wichtige Big Points und steckt ab sofort in höchster Abstiegsnot.

Slapstick beim 0:2 gegen Lippstadt

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Eine Hälfte lang hält Wattenscheid gut mit, dann unterläuft Kilian Neufeld ein katastrophaler Fehler. Nach einem Rückpass verliert der Torhüter den Ball an Henri Matter, der das Geschenk dankend annimmt und die Gäste kurz nach Wiederanpfiff in Führung bringt. Eine Slapstick-Einlage, von der sich die Mannschaft nicht erholt. „Das frühe Tor in der zweiten Halbzeit hat uns komplett den Stecker gezogen“, sagt Timo Janczak, der den rotgesperrten Christian Britscho an der Seitenlinie vertrat. Wattenscheid verlor die Ordnung und nach dem zweiten Gegentreffer auch den Glauben an ein mögliches Comeback.

Schiri-Ärger in Kaan-Marienborn

„Der Elfmeter wird präsentiert vom Westdeutschen Fußballverband. Nie und nimmer“, war auf der Facebook-Seite der SG 09 zu lesen. Da klangen Frust und Enttäuschung mit. Unglücklich in der Kommunikation zwar, menschlich nachvollziehbar aber nach den Ereignissen in den Schlussminuten. Ex-Profi Julian Schauerte war in der 89. Minute - anders ließe sich die Szene wohl kaum beschreiben - abgehoben und hatte so ein Foul seines Gegenspielers Felix Casalino vermuten lassen. Ausgerechnet diese Situation führte zum Siegtreffer des 1. FC Kaan-Marienborn und machte somit die Mühen eines eigentlich ganz ansehnlichen Wattenscheider Fußball-Nachmittags zunichte machte. „Wir stoßen mit dem Hintern um, was wir in mühevoller Kleinarbeit aufgebaut haben“, kommentierte Sportvorstand Christian Pozo y Tamayo.

Pfiffe in Rödinghausen gegen einen Einzelspieler

Dass die Fans nach lediglich einem „echten“ Sieg in diesem Jahr die Nase voll haben, ist nachvollziehbar, die Reaktionen auf die Einwechslung von Timm Esser aber nicht. Als sich der Verteidiger auf seinen Einsatz beim 0:3 in Rödinghausen vorbereitet, pfeifen einige der Anhänger. Das geht nicht, findet Trainer Christian Britscho, der zu diesem Zeitpunkt zwar den Grad der Unzufriedenheit erahnt, aber noch nicht wissen kann, dass sein Klub schon bald von deutlich schlimmeren Ereignissen heimgesucht wird.

Drohbrief an Trainer und Mannschaft mit anschließendem Appell

Ob Dennis Lerche (l.), hier 09-Vorstand Christian Pozo y Tamayo, in Wattenscheid bleibt steht noch nicht fest.
Ob Dennis Lerche (l.), hier 09-Vorstand Christian Pozo y Tamayo, in Wattenscheid bleibt steht noch nicht fest. © FUNKE Foto Services | Stefan Rittershaus

Todeswünsche an Einzelpersonen und deren Familie, außerdem unsägliche Aussagen in Richtung der Mannschaft. Mails von einem bisher unbekanntem Verfasser gehen bei der SG Wattenscheid 09 ein, außerdem - und das ist gemessen daran beinahe zu vernachlässigen - hagelt es Kritik in Sozialen Medien. Der Verein ist bemüht, seine Spieler zu schützen und formuliert einen offenen Brief an die Fans. Der Tenor: Hier wurden Grenzen überschritten. Weil der Inhalt „ohne jeden Zweifel justiziabel“ sei, erstattet der Verein Anzeige gegen Unbekannt.

Das Jahr 2023

Drei Punkte holt Wattenscheid 09 in diesem Jahr auf dem Rasen, drei weitere am Grünen Tisch. Beim 2:3 in Köln hat die U21 des Bundesligisten einen Wechselfehler begangen und damit gegen die Regeln verstoßen. Die SGW legt Einspruch gegen das Ergebnis ein und bekommt Recht. Sportlich aber ist dieses Jahr eins zum Vergessen. Einzig das 2:1 beim abgeschlagenen Schlusslicht SV Straelen ist ein Lichtblick. In der Endabrechnung wiegt der aber weniger schwer als die mindestens 90 Gegentore, die von der unterirdischen Defensivleistung der Mannschaft zeugen.

Der Abstieg ist besiegelt

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Der Trend der Vorwochen setzt sich fort: Rot Weiss Ahlen verliert zuverlässig und hält die SG Wattenscheid 09 ohne deren Zutun im Rennen um den Klassenerhalt. Aber der Aufsteiger zieht sich selbst den Stecker, und den Verantwortlichen fehlt der Glaube. Ihm fehle die Phantasie, wie die Mannschaft die letzten beiden Spiele noch gewinnen soll, betont Sportvorstand Pozo y Tamayo in unserem Interview vor dem letzten Regionalliga-Heimspiel, das ihn in seinem Realismus bestätigt. Wattenscheid verliert das Heimspiel gegen den 1. FC Düren trotz 1:0-Pausenführung mit 1:2 und steht als Absteiger fest.