Wattenscheid. SG Wattenscheids Berkant Canbulut im WAZ-Interview über seine Liebe zum Verein, seine persönliche Entwicklung und die Rolle als Fan-Liebling.

Wann kommt Berko? Die Frage zog sich wie ein roter Faden durch die Vorbereitung der SG Wattenscheid 09. Berkant Canbulut hat mehr als 160 Spiele für die SGW gemacht, war der erklärte Wunschspieler von Trainer Christian Britscho. Dem Spielmacher drohte aber aus beruflichen Gründen das Aus. Die Entscheidung verzögerte sich immer weiter – aber die Verantwortlichen der SGW blieben geduldig und seit einer Woche ist „Berko“ endlich wieder da und wurde am Sonntag gegen Wuppertal direkt eingewechselt. Im WAZ-Interview spricht Canbulut über finanziell bessere Angebote, Fanpost, den Umgang mit Niederlagen und seine persönliche Entwicklung.

Herr Canbulut, Sie bleiben bei Wattenscheid 09. Wie ist es zu der Entscheidung gekommen?

Ich habe nie ein Geheimnis daraus gemacht, dass ich gern bleiben möchte. Aber es mussten noch einige berufliche Dinge geklärt werden, da ich oft samstags arbeiten muss. Jetzt haben wir das geklärt und eine gute Lösung gefunden. Einer Verlängerung stand also nichts mehr im Weg.

SG Wattenscheid 09 hat lange auf Canbulut gewartet

Der Verein hat lange auf Sie gewartet. Welches Signal hat Ihnen das gegeben?

Das hat mir gezeigt, dass die Verantwortlichen im Verein mir eine große Wertschätzung entgegenbringen. Ich bin ihnen dafür extrem dankbar und merke, dass sie viel von mir halten. Als Spieler und als Mensch.

Als Spieler kennen Sie viele. Was für ein Mensch sind Sie?

Ich bin ein Familienmensch. Meine Familie steht an erster Stelle und wird es auch immer tun. Das habe ich so lieben gelernt. Ich habe mich diesbezüglich in den vergangenen Monaten verändert.

Inwiefern?

Früher habe ich gedacht, dass ich ein durchweg introvertierter Mensch bin. Wenn ich Probleme hatte, habe ich sie mit mir selbst versucht zu klären oder sie in mich reingefressen. Mit der Zeit habe ich gelernt, dass ich mich anvertrauen muss, dass ich Personen brauche, die mir andere Lösungsansätze aufzeigen. Daran arbeite ich gerade sehr intensiv. Die Ergebnisse zeigen sich auch schon: Früher saß ich nie so intensiv mit der Familie zusammen, das hat sich jetzt verändert.

Durch seinen Beruf hat Canbulut auch für den Fußball gelernt

Wie kam das?

Vermutlich durch meinen Beruf. Ich musste lernen zu verkaufen, da ich im Vertrieb arbeite. Was ich da gelernt habe, konnte ich auch auf mein Privatleben übertragen. Neben meinem Job haben mir auch Bücher, zum Beispiel Business-Ratgeber geholfen. Daraus habe ich viele wichtige Lektionen gelernt.

Zum Beispiel?

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Stellen Sie sich vor, Sie müssten sich entscheiden, ob Sie den Urlaub am Meer oder in den Bergen verbringen. Sie entscheiden sich für die Berge, aber da regnet es eine Woche. Viele Menschen würden dann sagen, dass sie doch besser ans Meer gefahren werden oder würden ihren Urlaub abbrechen. Dabei kann der Urlaub in den Bergen auch bei schlechtem Wetter eine Erfahrung sein. Und man lernt, mit der eigenen Entscheidung in aller Konsequenz zu leben und umzugehen.

Wie lässt sich das auf den Fußball übertragen?

Wenn wir früher ein Spiel verloren haben, habe ich mich oft in meinem Zimmer verkrochen, wollte mit niemandem mehr reden. Ich bin jetzt nicht weniger ambitioniert, aber ich gehe mit Misserfolg ganz anders um. Jetzt analysiere ich meine und unsere Fehler und arbeite an mir, damit wir wieder Erfolg haben. Auch das ist eine Entscheidung.

Diese Saison wird sehr viel schwieriger als die vergangene

Ist das etwas, das in dieser Saison helfen kann?

Zunächst einmal glaube ich, dass diese Saison ganz anders und sehr viel schwieriger sein wird als die vergangene, weil viele Mannschaften eine größere Qualität haben. Wir müssen viel mehr an unsere Grenzen gehen und an uns glauben. Das ist unser Umgang mit der Entscheidung, dass wir aufgestiegen sind.

Sie hätten woanders spielen können. Für mehr Geld.

Ja, das kann ich auch offen zugeben. Wenn man sich für Wattenscheid entscheidet, steht Geld nicht im Mittelpunkt. Ich weiß, was ich an Wattenscheid habe. Das sagt jeder, der für Wattenscheid gespielt hat – auch ohne, dass er Erfolg hatte. Ich hatte in diesem Sommer Angebote, aber ich hätte keinen Verein gewählt, bei dem es mehr Geld gegeben hätte, der aber nicht die Ambitionen wie Wattenscheid 09 hat. Die Mannschaft in der Regionalliga zu unterstützen, war attraktiver.

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Hätten Sie diese Entscheidung vor drei Jahren genauso getroffen?

Nein, damals hat der Fußball den Großteil meines Verdienstes ausgemacht. Ich bin jetzt nicht mehr so sehr darauf angewiesen wie damals. Dass ich einen festen Beruf habe, hat bewirkt, dass ich meine Liebe zum Verein besser ausleben kann.

Bei der Fanpost kriegt Canbulut Gänsehaut

Wissen Sie um Ihre Wertschätzung im Verein?

Auf jeden Fall. Ich merke das bei jedem Gespräch mit Trainer und Vorstand. Und es geht noch darüber hinaus. Mir haben viele Fans geschrieben und mich gefragt, wie es mit meinem Verbleib aussieht. Da hatte ich teilweise Gänsehaut, als ich das gelesen habe. Ich habe gemerkt, dass ich eine wichtige Persönlichkeit bin und dass ich gebraucht werde.

Christian Britscho, Cheftrainer der SG Wattenscheid 09: Berkant Canbulut ist sein Wunschspieler.
Christian Britscho, Cheftrainer der SG Wattenscheid 09: Berkant Canbulut ist sein Wunschspieler. © FUNKE Foto Services | Christof Köpsel

Wie geht man als Mensch, der eher in sich gekehrt ist, um?

Ich öffne mich ja langsam. Trotzdem hat es mich auf eine Art besonders gefreut. Ich glaube, dass ich durch meine ruhige Art oft arrogant rübergekommen bin. Aber das bin ich überhaupt nicht. Meine Außendarstellung hat das aber manchmal wohl vermuten lassen.

Hat Sie die Fanpost also überrascht?

Ich habe Zuschriften erwartet, aber nicht in dem Ausmaß. Jetzt ist mir klar, dass Identifikationsfiguren wie Norman Jakubowski und ich bei den Fans eine besondere Rolle spielen. Es wäre für sie schlimm, wenn sie Personen wie ihn und mich nicht im Verein sehen würden.

Die Familie ist für Canbulut wichtig

Sie haben im Zusammenhang mit Wattenscheid 09 von Familie gesprochen. Wie kommt das?

Ich habe gute und schlechte Zeiten mit dem Verein mitgemacht. Und wir waren auch in schlechten Zeiten immer ein verschworener Haufen mit den Fans. Wir sind alle hautnah zusammen, jeder Spieler nimmt sich die Zeit. So sind wir schon immer eine Einheit gewesen. In dieser Saison kommt es noch einmal besonders darauf an, dass das weiterhin so ist.

Welche Rolle spielt Ihre Familie in Bezug auf Fußball?

Wenn es meiner Familie gut geht, geht es mir gut. Wenn es meiner Familie nicht gut geht, wird der Fußball darunter leiden. Immer. Wenn morgen eine Nachricht reinkäme, die bedingt, dass ich nicht mehr spielen kann, dann würde ich sofort aufhören.

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