Essen. Im zweiten Teil des großen RWE-Interviews spricht Vereinsboss Marcus Uhlig über den Trainerwechsel und den Zweikampf mit der BVB U23.

Zur neuen Saison gab es einen Riesen-Einschnitt, als Trainer Christian Titz gehen musste. Dafür hat die Vereinsführung mächtig Gegenwind bekommen. Verspürt man jetzt eine gewisse Genugtuung, weil es mit dem Neuen so gut gelaufen ist?

Uhlig: Genugtuung nur, weil unser Plan aufgegangen ist. Aber nicht nach dem Motto: “Seht Ihr, wir hatten doch Recht…” Wenn du in der Vereinsführung bist, dann gehört es dazu, dein Gesicht auch mal etwas weiter aus dem Fenster zu halten.
Und dann kann man sich auch schon mal eine Ohrfeige einfangen. Im Fußball triffst du eine Entscheidung immer, bevor die Öffentlichkeit sie bewerten kann. Geht’s gut, ist alles richtig, geht’s nicht gut, kriegst du dafür auf die Fresse. Das ist halt so und auch überhaupt nicht schlimm.

Die Entscheidung gegen Titz fiel einstimmig

Wir haben die Entscheidung damals einstimmig und mit voller Überzeugung getroffen, dass wir auf der Trainerposition etwas verändern müssen. Und ich denke, man kann sagen, dass sowohl die Entscheidung, etwas zu verändern, als auch die Entscheidung, welchen neuen Trainer wir verpflichten, komplett richtig war. Trotzdem würde ich die Verpflichtung von Christian Titz im Nachhinein nicht als Fehler bezeichnen. Es hat am Ende nicht gepasst, aber wir haben mit ihm einige gute Prozesse auf den Weg gebracht.

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Und Christian Neidhart würden Sie als Glücksfall bezeichnen?

Ja, auf jeden Fall, absolut! Der Trainer ist der wichtigste Vereinsmitarbeiter, davon war ich schon immer überzeugt. Er macht einen grandiosen Job. All das, was wir von ihm erwartet haben, was wir in ihm gesehen haben, ist bislang aufgegangen.

Die RWE-Mannschaft ist total effizient

Was ist seine größte Leistung?

Bei ihm sind die Fähigkeiten genau richtig gewichtet: Seine Fachlichkeit, seine Durchsetzungsstärke - und trotzdem seine Menschlichkeit, seine Empathie. Empathie, mit der Gruppe umzugehen, Probleme schnell zu erkennen und zu lösen. In dieser Art habe ich es bislang noch bei keinem Trainer, mit dem ich zusammengearbeitet habe, erlebt.

Was läuft denn grundsätzlich besser im Vergleich zur Saison 19/20?

Wir spielen Männerfußball, wir sind total effizient, wir haben aus der Gruppe keine Reibungsverluste, wir verschwenden keine Ressourcen.

RWE-Coach Neidhart kann es auch mit mündigen Spielern

Anders gefragt: Ist es seine größte Leistung, dass er alle bei Laune hält, dass er sehr gut moderiert?

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Ich weiß nicht, ob das seine größte Leistung ist. Das ist ja eigentlich fast kaum zu machen: Wenn du so eine große Gruppe hast, die sich durch Verletzungen fast nie reduziert, das auch wirklich ehrlich und transparent zu moderieren und jedem Spieler das Gefühl zu geben, dass er wichtig ist, damit jeder in jedem Training Vollgas gibt. Christian Neidhart schafft das, dass mittwochs bei keinem der Kopf runter geht und er denkt: ich bin ja am Wochenende doch nicht dabei.

Und er hat einen Mann wie Dennis Grote zurück vom Abstellgleis geholt, der nun als Lokomotive des Spiels voran geht.

Ich weiß bis heute nicht, warum sich die Dinge um Dennis Grote in der letzten Saison so entwickelt haben, wie sie sich entwickelt haben. Sagen wir mal so: Der Umgang mit mündigen Spielern gehört sicher auch zu den Stärken von Christian Neidhart.

Die RWE-Fans zeigen für den möglichen Aufstieg einen hohen Preis

Es ist ja eigentlich paradox: Die Fans warten seit 12 Jahren auf diesen Erfolg, und jetzt, wo er mutmaßlich eintritt, stehen sie draußen vor der Tür. Das ist doch auch typisch Rot-Weiss Essen, oder?

Das ist in der Tat ziemlich paradox, fast tragisch. Ich werde mich niemals daran gewöhnen, dass Fußball ohne Zuschauer gespielt werden muss. Selbst nach einem gewonnenen Heimspiel fühlt sich das komisch an. Ich hab trotzdem das Gefühl, dass alle Fans jetzt diesen Weg mitgehen und trotzdem so eine Stimmung herrscht: „Ja, wenn das der Preis ist, den die Fans und RWE bezahlen müssen für den Aufstieg, dann ist das halt so. In der Hoffnung, dass wir dann ab Sommer wieder größtmögliche Normalität haben." Ich habe die Hoffnung aber noch nicht aufgegeben, dass wir zumindest zum Saisonende noch irgendwie angemessene Zuschauerzahlen haben werden. Ich sehe aber keinen Zusammenhang mit einer Leistungsexplosion aufgrund wegbleibender Zuschauer. Wir haben gegen Düsseldorf II vor 5000 Zuschauern fast unsere beste Saisonleistung geboten.

Es gibt weiter einen Zweikampf mit BVB U23

Die Rückrunde geht in gut einer Woche los, sehen Sie etwas anderes als einen Zweikampf?

Nein, ich sehe auch nur einen Zweikampf, dafür sind die Abstände zu den anderen schon zu groß. Borussia Dortmund oder wir - einer von beiden wird es. Ich hoffe und glaube, dass wir das Rennen machen werden. Borussia Dortmund hat eine Top-Mannschaft, hat sich vor der Saison top verstärkt, sowohl auf als auch neben dem Platz. Sie sind ganz klar darauf ausgerichtet, in die Dritte Liga aufzusteigen. Sie machen es bislang auch gut, haben zum Ende der Hinrunde den einen oder anderen Punkt liegen gelassen. Ich hoffe, dass wir diese Konstanz, die wir bislang an den Tag gelegt haben, beibehalten werden. Und dann wird es nur einen Aufsteiger geben, nämlich Rot-Weiss Essen.

Die Solidaritätsbekundungen waren unglaublich

Haben Sie sich bei RWO für den Punktgewinn in Dortmund bedankt, die bis zuletzt darum gekämpft haben?

Ja, natürlich. Auch bei Rödinghausen und auch bei Düsseldorf II.

Zurück zu den RWE-Fans, die trotz Corona ja eine wichtige Rolle gespielt haben…

RWE-Vorstand Marcus Uhlig findet, dass sich gerade in der Corona-Zeit die Wucht von Rot-Weiss Essen gezeigt habe.
RWE-Vorstand Marcus Uhlig findet, dass sich gerade in der Corona-Zeit die Wucht von Rot-Weiss Essen gezeigt habe. © Unbekannt | Thorsten Tillmann

Gerade in der Coronazeit hat man mal wieder gemerkt, wie groß, wie wuchtig dieser Verein ist. Da sind Dinge passiert, da konnte man einfach nicht mit rechnen. Wir haben massenweise Solidaritätsbekundungen erhalten, wir haben ganz viele “jetzt-erst-recht”-Momente erlebt, das Umfeld hat es mit Worten und Taten ausgedrückt. Dieser 94-prozentige Rückerstattungsverzicht bei Dauerkarteninhabern, bei Sponsoren - das ist eine unfassbare Zahl für mich. So viele kleine und große Gesten, so viele neue Mitglieder, alle wollten zeigen: Ja, wir möchten auch helfen. Und das nach einer Saison, die irgendwo im Bereich „nicht Fisch & nicht Fleisch“ geendet hat. Dann kommt Corona, und keiner weiß: Wann komm ich denn wieder ins Stadion? Und dennoch verkaufen wir 5.000 Dauerkarten; mehr als in der Saison davor. Das ist einfach unglaublich.

Im dritten Teil des Interviews äußert sich Marcus Uhlig am Freitag zu der Situation bei einem möglichen Aufstieg in die Dritte Liga sowie über große Pläne im Nachwuchsleistungszentrum.

Zum ersten Teil des Interviews geht es hier.

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