Dortmund. Hormone sind Treibstoff - auch beim Laufen. Ein kleiner Schwall Testosteron hat schon so manchem Läufer Beine gemacht, weiß unser Laufblogger.
Es gibt diese Postillon-Meldung über den Jogger, der letzte Kraftreserven anzapft, um an einer Frauengruppe vorbei zu laufen und anschließend von Krämpfen geschüttelt zusammenbricht. "Schließlich hat eine von denen ganz manierlich ausgesehen und ich glaube, dass sie für etwa eine halbe Sekunde in meine Richtung geschaut hat", lässt der Postillon den fiktiven Läufer Jonathan E. sagen. Eigentlich ist "Der Postillon" ja ein Satire-Magazin, doch bei dieser Meldung verfehlt der Autor sein Ziel. Er schildert einfach nur das, was täglich auf allen Laufstrecken der Welt geschieht.
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Denn wenn männliche Läufer neben übertriebenem Ehrgeiz und der Midlife Crisis einen Treibstoff haben, der sie zum Laufen bringt, dann ist das Testosteron. Adrenalin wird völlig überschätzt. Viel wirksamer ist das männliche Sexualhormon, es ist quasi das Kerosin im Tank des männlichen Läufers.
Wenn ich beim Laufen im Park Läuferinnen vor mir sehe, will ich sie einholen. Entweder weil ich es nicht auf mir sitzen lassen kann, dass eine Frau (eine FRAU!) schneller ist als ich. Oder weil ich auf eine nette Unterhaltung mit einer netten weiblichen Laufbegleitung hoffe. Es gab da mal so einen Trainingslauf, bei dem ich mindestens fünf Kilometer lang hinter einer Läuferin hergehechelt (die war aber auch schnell!) bin, weil einfach nicht sein konnte, was nicht sein durfte - eben dass eine Frau schneller ist als ich. Dass die Lauf-Kollegin schon von hinten und aus der Ferne 15 Jahre jünger aussah als ich mich jemals gefühlt habe, spielte dabei keine Rolle. Denn Testosteron macht nicht nur angriffslustig, es macht auch vergesslich, zum Beispiel in Bezug auf das eigene Alter oder den Trainingsplan. "Es war verdammt schwer, dabei so cool zu wirken, als wäre das mein normales Durchschnittstempo – aber was hätte ich denn auch anderes tun können?", klagt der Postillon-Protagonist. Wie wahr, wie wahr.
In maßloser Selbstüberschätzung kitzelte ich also ungeahnte Reserven aus meinen Muskeln und holte die Läuferin schließlich ein. "Boah, bist du schnell", ächzte ich und offenbarte, dass ich seit einer gefühlten Ewigkeit an ihren Fersen klebte. Wir liefen dann gemütlich noch zwei Runden durch den Park und unterhielten uns. Danke dafür!
Flüchtige Laufbekanntschaften
Jahre später kam es zu einer ähnlichen Begegnung. Wieder lief junges Laufgemüse vor mir her, wieder packte mich der Ehrgeiz, wieder mit Erfolg. Auch hieraus erwuchs eine nette Laufbekanntschaft für ein paar Runden. Blöd nur, dass aus meinem geplanten gemütlichen Lauf ein Tempo-Lauf wurde, weil zwischen unseren Ansichten zum Thema "lockerer Dauerlauf" Welten lagen.
Deutlich weniger anstrengend sind die Auswirkungen des Hormonpegels bei entgegenkommenden Läuferinnen. Unter Läufern grüßt man sich ja ohnehin, sodass es zum guten Ton gehört, der Sportskameradin freundlich zuzunicken. Von nun an läuft die Hoffnung mit, dass Madame ebenfalls für einen Marathon trainiert und noch einige Runden drehen wird. So wird aus dem netten Läufergruß aus Runde Eins in der nächsten Runde ein noch freundlicherer Gruß mit einem netten Lächeln. Bei der nächsten Begegnung lächelt sie endlich zurück und in Runde Vier lacht sie, weil sie einsieht, dass sie diesen harmlosen, schnaufenden Typen wohl noch ein paar Mal zu sehen bekommt. Blöd ist, dass Unterhaltungen so eher nicht möglich sind. Bis auf ein kurz hingejapstes "Noch eine Runde?" bei der fünften Begegnung. Dabei entscheidet allein die Antwort der neuen Laufbekanntschaft darüber, ob ich noch weiter laufe oder doch endlich den Heimweg antreten darf.
Testosteron hilft beim Kampf Mann gegen Mann
Doch nicht nur bei Begegnungen mit dem schönen Geschlecht entfaltet Testosteron seine Wirkung. Man(n) will ja schließlich sein Revier verteidigen und sich nicht von irgendwelchen dahergelaufenen Schnöseln die Show stehlen lassen. Wer mir entgegen kommt, wird erst einmal kritisch beäugt und erst dann freundlich gegrüßt.
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Schnellere Läufer vor mir spornen an, langsamere sind willkommene Opfer. Allerdings kommt hier der unangenehme Effekt der hormonell bedingten Vergesslichkeit bezüglich des Alters und der eigenen Leistungsfähigkeit ins Spiel. Eine 25-jährige Läuferin im Aufbautraining kann ich ja mit meinem urplötzlich aufflammenden Ehrgeiz gerade so eben einholen - nicht aber einen voll im Saft stehenden 30-jährigen Widersacher, der meint, er müsste in überhöhter Geschwindigkeit durch meinen Park rennen. Dumm nur: Ich versuche es trotzdem. Das Ergebnis ist in der Regel ein Fiasko. Ich ziehe zwar mein Tempo an und versuche, ihn einzuholen, aber es ist vergebens. Japsend kehre ich zu meinem Ursprungstempo zurück und bezeichne den Raser von nun als Angeber. Das hat er davon.
Anders ist das im Rennen. Dort wirkt wohl ein besonderer Mix aus Adrenalin und Testosteron. Im Wettkampf sehe ich keine Frauen, sondern nur Gegner, männliche Gegner. Ich setze mir kleine Ziele, die ich erreichen will. Den Typen da vorne mit dem komischen Laufstil muss ich kassieren. Und dort, der Wicht mit der hässlichen Hose muss überholt werden! Wettlauf ist Konkurrenzkampf - ich will Männer überholen, Männer besiegen. Da vergesse ich doch tatsächlich vorübergehend, dass ich selbst mein eigentlicher Wettkampf-Gegner bin. Typen überholen ist klasse! Es spornt an, es macht schnell.
Der Postillon schließt seinen Text mit der Feststellung, dass "bis zu 70 Prozent aller Verletzungen von Freizeitsportlern beim Versuch entstehen, Angehörige des individuell bevorzugten Geschlechts zu beeindrucken." Also, immer schön lächeln, grüßen und daran denken: Der tut nix, der will nur trainieren.