Dortmund. Wenn Sorgen die Seele drücken, hilft es unserem Laufblogger die Laufschuhe zu schnüren und eine Stunde an der frischen Luft zu rennen. Oder auch zwei.

Eine gern gestellte Frage an Läufer lautet: "Wovor läufst du denn weg?" Der Fragesteller meint damit vermutlich, dass Läufer laufen, um ihren Problemen oder dem Alltag zu entfliehen. Wer jedoch schon einmal mit wirklich dicken Sorgen zum Lauf gestartet ist, weiß, dass sich Laufen ganz anders auf die Seelenpein auswirkt - nämlich konstruktiv. Ich laufe also nicht vor etwas weg, sondern zu etwas hin, und sei es nur zu mir selbst.

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Aus meiner Erfahrung kann ich sagen, dass sich Probleme durch das Laufen zwar nicht in Luft auflösen, aber relativieren. Beim Laufen kann ich von einem anderen Standpunkt aus auf eine Fragestellung blicken und mir fallen Lösungen ein, die mir beim Grübeln im stillen Kämmerlein nie in den Sinn kämen. Dabei kann es um ganz konkrete Lösungen gehen, aber auch um eher weiche Ansätze wie Strategien, um mit einer neuen Situation umgehen zu können. Aber nie darum, einem Problem einfach davonzulaufen - spätestens wenn ich zu Hause geduscht und umgezogen auf der Couch sitze, kommt es ohnehin wieder.

Laufen schärft die Sinne. Wie zwangsläufig komme ich auf neue Ideen oder sehe Sachverhalte einfach klarer. Wichtig ist dabei die Dosierung des Laufs. Er sollte nicht zu anstrengend sein. Pace oder Zeit sollten keine Rolle spielen. Er dauert einfach so lange, wie er dauert.

Bei diesen Problemen hilft Laufen

Panik: Vor einigen Jahren sponserte mein Arbeitgeber eine Untersuchung zur Darmkrebs-Früherkennung. Ich nahm daran teil, eigentlich nur, weil es ja gratis war. Das Ergebnis: positiv. Wie sollte ich nun damit umgehen? Mein Arzt beruhigte mich zwar und sagte, dass erst eine Darmspiegelung wirklich Klarheit schaffe und mein Testergebnis höchstwahrscheinlich gar nichts bedeute. Aber es war nun mal ein Testergebnis und ich hatte viele Gründe, dem Ergebnis zu trauen.

Ich ging laufen. Wenn ich mich richtig erinnere, war es ein ekeliger, nasskalter Herbsttag. Ich ging auf die Piste und nahm mir vor, einen Halbmarathon zu laufen, um wirklich Zeit zum Grübeln zu haben. Während des Laufs hatte ich das Gefühl, dass sich meine Gedanken und Gefühle ordneten. Die Panik überlagerte nicht mehr die beruhigenden Worte meines Arztes. Ich konnte die Situation annehmen. Als ich zu Hause war, ging es mir deutlich besser.

Die Darmspiegelung lieferte übrigens keinen Befund,

Vorfreude: Wer so begeistert einem Fußballverein folgt und dabei noch unverbesserlicher Pessimist ist wie ich, für den kann selbst Vorfreude zum Problem werden. Nämlich dann, wenn der Pessimismus die Vorfreude lähmt. Als mein geliebter Fußballverein davor stand, eine göttliche Saison mit der Meisterschaft zu krönen, hielt ich es nicht mehr aus. Wenn ich Zeit zum Grübeln hatte, malte ich mir aus, was alles noch schief gehen könnte. Nur wenn ich beim Laufen an die bevorstehenden Spiele dachte, erlebte ich reine Vorfreude auf das Saisonfinale. Ich gewöhnte mir also an, vor den Spielen noch ein paar Kilometer laufen zu gehen.

Was für Vorfreude gilt, funktioniert auch bei Lampenfieber. Beim Laufen kann ich sehr gut berechtigte von unberechtigter Angst trennen und mir Motivation für ein bevorstehendes Ereignis holen.

Beim Laufen Blockaden überwinden 

Gedankliche Sackgassen: Für ein paar Jahre saß ich im Betriebsrat. Wenn wir im Gremium harte juristische oder strategische Nüsse zu knacken hatten, half es mir sehr oft, laufen zu gehen. Dabei ging ich gar nicht auf die Straße, um über ein konkretes Problem nachzudenken. Beim langen Lauf am Sonntag erschienen meine inneren "Gesprächsthemen" von alleine. Und sehr oft rüttelten sie sich in meinem Kopf so, dass ich einen Lösungsansatz fand. Ich hielt dann immer an und tippte die gerade gedachten Gedanken schnell ins Handy, um sie bloß nicht wieder zu vergessen.

Das funktioniert übrigens auch bei Schreibblockaden oder anderen Fällen von kreativem Stillstand. In diesem Falle ist das Laufen tatsächlich ein Weglaufen. Interessanterweise kommen die Lösungen für die Probleme dann von alleine.

Wut: Wenn mich jemand so richtig auf die Palme bringt, muss ich weg, bevor ich vielleicht unsachlich werde. Laufen hilft dabei, mich gedanklich in die Lage des Anderen zu versetzen und vielleicht etwas Verständnis für seinen Standpunkt aufzubringen. Mich macht Laufen dann meist sehr milde.

Trauer: Es gibt Situationen, denen würde ich am liebsten davonlaufen, weil sie mit großer Wucht zuschlagen und - das ist das Schlimmste - nicht lösbar sind. Ein Todesfall im engsten Freundeskreis vor wenigen Tagen etwa. In diesem Fall kann kein Lauf dabei helfen, eine Strategie zu entwickeln, den geliebten Menschen wieder auferstehen zu lassen. Das Problem ist nicht lösbar. Aber die Trauer und das Gefühl der Ohnmacht lassen sich ein wenig einordnen. Während ich lief, entstand in meinen Gedanken eine flammende Rede für den Verstorbenen. Ich war von diesem Text begeistert. Er war pathetisch und einfühlsam, trauernd und tröstend.

Doch als ich zu Hause war, war er aus meinem Hirn gelöscht.

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Es tat zwar sehr gut, den Text im Geiste formuliert zu haben, schöner wäre es aber gewesen, ein Gedanken-Diktiergerät zu haben. Selbst wenn ich den Text beim Denken laut gesprochen hätte, wäre er nicht so geworden wie ich ihn gedacht hatte. Allein schon deshalb, weil ich mich nicht gerne reden höre. Ich glaube allerdings, dass da Übung hilft. Es gibt viele Manager, die mit Aufnahmegerät laufen gehen, um ihre Gedanken schnell aufzusprechen, bevor sie sich in Nichts auflösen.

Frust: Gegen allgemeinen Frust, Unzufriedenheit oder schlechte Laune hilft es enorm, für eine oder zwei Stunden den Körper arbeiten und den Kopf Kopf sein zu lassen. Spätestens nach einer halben Stunde ordnen sich die Prioritäten wieder und es kristallisiert sich heraus, dass es Dinge gibt, die es einfach nicht wert sind, dass man sich von ihnen die Laune verderben lässt. Frische Luft, Sonnenlicht und arbeitende Muskeln sind dabei eine große Hilfe.

Gute Ideen rinnen durch den Abfluss

Laufen hilft mir insbesondere bei kreativen Prozessen. In meinem Kopf entstehen Texte oder Ideen, wie ich für mich selbst eine Problemlösung formulieren kann. Das einzig Dumme ist, dass ich keine Sekretärin neben mir laufen habe, der ich schnell sagen kann: "Fräulein Müller, notieren Sie das." Regelmäßig muss ich miterleben, wie meine Lauf-Gedanken offenbar beim Duschen mit dem Wasser durch den Abfluss verschwinden. Ich brauche eine Methode, wie ich die Ergebnisse meiner manchmal sehr verqueren Gedankengänge konservieren kann. Zur Not werde ich vielleicht auch in Zukunft wieder schnell zum Handy greifen und eine Nachricht an mich selbst verfassen müssen.