Essen. So viel Arbeit, so wenig Zeit fürs Training. Doch der nächste Marathon naht. Viele Freizeitläufer greifen zu Tabletten und blenden die Gefahren aus.

So funktioniert eine Leistungsdiagnostik

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    Wer beim Laufen das Ziel verfolgt, seine Zeiten zu verbessern oder längere Strecken bewältigen zu können, zählt zu den sogenannten ambitionierten Freizeitsportlern. Bei diesen Hobby-Athleten steht der Sport zwar nicht im Mittelpunkt des Lebens, nimmt aber einen großen Teil der Gedanken und der Freizeit ein. Vieles wird dem Sport untergeordnet. Zu dieser Gruppe gehöre auch ich.

    Zwar laufe ich in erster Linie, weil es meine Gesundheit fördert, aber ohne den Antrieb, schneller oder weiter zu laufen, hätte ich die Schuhe schon längst an den Nagel gehängt. Somit bin ich ein klassischer Kandidat für eine Doping-Karriere. Denn irgendwann ist Schluss mit Leistungsszuwachs. Hobby-Sportler stoßen an Grenzen. An zeitliche, weil sie eben keine Profis sind und neben dem Sport auch noch ein echtes Leben mit echter Arbeit haben. Und natürlich an körperliche Grenzen.

    Die körperlichen Grenzen mittels Doping verschieben

    Da sich die Lebensumstände ins Punkto Arbeits- bzw. Trainingszeiten nur sehr schwer ändern lassen, setzen viele Hobby-Sportler dann eben bei ihren körperlichen Grenzen an und versuchen sie zu verschieben – mit Doping.

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    Dr. Mischa Kläber arbeitet für den Deutschen Olympischen Sportbund (DOSB) und hat zum Thema Doping bei Bodybuildern promoviert. Er kennt die Motivation, die Freizeitsportler zum Gebrauch unerlaubter Mittel treibt. „Wir erleben eine Instrumentalisierung des eigenen Körpers und einen zunehmenden Wettkampfgedanken im Freizeitsport“, sagt Kläber und zielt darauf ab, dass der berufliche Alltag kaum noch Möglichkeiten bietet, Erfolgserlebnisse zu feiern. Erfolge im Sport können das kompensieren. Der Körper wird zum Werkzeug, um der Seele die benötigten Streicheleinheiten zu geben.

    Schleichend führe das in eine seelische Abhängigkeit vom Sport. Zumal die Einnahme von Pillen oder Mittelchen inzwischen weit verbreitet ist. Doping am Arbeitsplatz ist inzwischen beinahe üblich. Das fängt schon an, wenn ein Arbeitnehmer Medikamente nimmt, um die Symptome einer Erkältung zu übertünchen. „Diese Mittel enthalten Ephedrin, das auf der Dopingliste steht“, erklärt Kläber. Wenn der kleine Erkältungstrunk aus der Apotheke erst einmal den Kopf und die Atemwege freigemacht hat, läge es ja auch nahe, ein Läufchen zu machen – man will ja fit bleiben. Ein solches Verhalten kann tödlich enden, Stichwort: Herzmuskelentzündung. Außerdem beschleunigt Ephedrin die Fettverbrennung und zügelt den Appetit und ist somit sehr reizvoll für Sportler, die vor einem Wettkampf gerne noch ein paar Kilo verlieren möchten. In hoher Dosis kann Ephedrin allerdings den Puls beschleunigen und den Blutdruck erhöhen - für Sportler sehr gefährliche Nebenwirkungen.

    Medikamente in hohen Dosierungen

    Erschwerend kommt hinzu, dass ambitionierte Hobbysportler über kurz oder lang Gefahr laufen, in ihrer eigenen Blase zu leben, in der sich alles nur noch um den Sport und um Leistung dreht. „Man gerät nur noch an Gleichgesinnte“, so Sportwissenschaftler Kläber. Da sei es zwangsläufig so, dass ein Sportler über kurz oder lang leistungsfördernde Substanzen angeboten bekomme. Oder der Athlet kommt von alleine auf die Idee, die Muskelschmerzen, die ihn seit Tagen plagen, nicht mit Rennabsage und Laufpause zu bekämpfen, sondern mit Tabletten. „Schmerzmittel sind bei Läufern weit verbreitet“, sagt Kläber. Aspirin gelte bei vielen Läufern schon nicht mehr als Medikament, sondern als Nahrungsergänzung. Und gegen Muskelkater hilft im Zweifel und ohne Rücksicht auf Nebenwirkungen Salbe: „Da wird Diclofenac in Dosierungen verwendet, die Mediziner zur Verzweiflung bringen“, so der Experte vom DOSB.

    Selbst Volksmedikamente wie Aspirin, Paracetamol oder Ibuprofen können bei sportlichen Höchstleistungen ungeahnte Nebenwirkungen entfalten - und ausgerechnet diese Wirkstoffe sind unter Läufern populär, gerne auch in hoher Dosierung. Laut einer Studie ist mehr als die Hälfte der Teilnehmer bei großen Marathons mit Schmerzmitteln im Blut unterwegs. Die Risiken sind groß. Da der Körper beim Laufen Organe wie Nieren, Leber, Magen und Darm herunterfährt, um die benötigte Energie und den Sauerstoff den Muskeln zur Verfügung zu stellen, können insbesondere diese Organe starke Schäden davontragen.

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    Doch diese Gefahren blenden die dopenden Sportler aus. „Für viele Bodybuilder fängt Doping erst bei Anabolika an“, sagt Kläber. Wer einmal mit Medikamentenmissbrauch – Doping heißt das nur bei Profi-Sportlern – angefangen hat, gerät in einen doppelten Teufelskreis. „Wer lange ein Medikament einnimmt, entwickelt eine höhere Toleranz und muss die Dosierung steigern, um den gleichen Effekt zu erhalten“, erklärt Kläber. Der Körper will also mehr Stoff. Und auch der Kopf. Denn wenn schon ein leichtes Medikament wie Aspirin hilft, welchen Nutzen bringt dann erst das harte Zeug? Mit dem Einstieg in die Welt der Leistungssteigerung ist häufig der Damm gebrochen. Beim Bodybuilding greifen die Sportler dann bald zu Anabolika in immer höher werdenden Dosierungen. „Alle User (Doping-Konsumenten, Anm. d. Red.), die ich für meine Doktorarbeit befragt habe, sagten, sie hätten nie geglaubt, dass sie irgendwann einmal Anabolika nehmen“, sagt Kläber. Sie seien schleichend in den Konsum hineingerutscht. Am Ende, erklärt Kläber, greifen die Sportler sogar zu Tiermedikamenten, weil die häufig billiger, leichter erhältlich und höher dosiert sind.

    Leidensdruck wie bei einem Olympiateilnehmer

    Nicht nur stagnierende Leistungen verführen zum Griff zur Pille. Auch Verletzungen können ein Grund sein, unerlaubte Mittel einzusetzen. Ich hatte mich ja unglaublich auf den Marathon in Paris gefreut. Der war dann wegen meines Muskelfaserrisses aus dem Sprint-Duell mit Laura Siegeroth passée. Vier bis sechs Wochen Pause wurden mir vorhergesagt. Die hätte ich sicherlich abkürzen können. Mit Wachstumshormonen und Anabilika.zum Beispiel. Vermutlich hätte ich nur ein bisschen googlen müssen, um einen Arzt finden, der mich mit Kortison und Hormoncocktail fitgespritzt hätte. „Es gibt Doping unterstützende Mediziner“, bestätigt Kläber. Und jede Menge Sportler mit Leidensdruck. Wenn ein Freizeit-Athlet eine teure Reise zum New-York-Marathon gebucht hat und dann wegen einer Verletzung absagen muss, sagt Kläber, ist der Leidensdruck ähnlich groß wie bei einem Profi, der sich vor den Olympischen Spielen eine schwere Erkältung zuzieht.

    Die Grenze zwischen erlaubten und unerlaubten Mitteln ist fließend. In jedem Drogeriemarkt gibt es regalweise Nahrungsergänzungsmittel in Form von Pulvern, Riegeln oder Gels. Die sind zunächst einmal nicht schlecht, oft sogar sehr hilfreich. „Wenn ein Bodybuilder Proteinshakes trinkt, ist das mit Sicherheit gesünder als würde er ein Kilo Hack und einen Karton Eier essen“, so Kläber. Bei einem Lauf sei es besser, ein paar Kohlehydrat-Gels zu sich zu nehmen, als den Magen mit Bananen zu belasten. Dennoch sieht der Sportwissenschaftler auch hier Gefahren. Denn die Mittel aus der Drogerie und erst recht die Spezialmischungen, die im Fitnessstudio verkauft werden, sind teuer. Also kaufen viele Athleten ihre Nahrungsergänzungsmittel im Internet. Dort wird allerlei Stoff mit unbekannter Zusammensetzung verkauft. So mancher Olympionike hat zu seiner Verteidigung gesagt, dass unerlaubte Substanzen über verunreinigte Mittel den Weg in seinen Körper gefunden hätten. Tatsächlich enthalten Mittel aus den USA oft Kreatin oder Ephedrin. „Achten Sie beim Kauf darauf, dass die Nahrungsergänzungsmittel in Deutschland hergestellt wurden“, rät der Doping-Experte.

    Ein gesundes Körpergefühl behalten

    Um sich nicht von den Verlockungen des Medikamenten-Missbrauchs verführen zu lassen, rät Kläber zu einem „kritischen Umgang mit Ergänzungsmitteln“. Außerdem sei es wichtig, ein „natürliches Bewusstsein für den eigenen Körper“ zu behalten.

    Das hat bei mir wohl geklappt. Ich bin trotz inzwischen ausgeheilter Verletzung nur als Tourist nach Paris gefahren. Ohne Laufschuhe im Gepäck habe ich mit meiner Familie die Tage zum Sightseeing genutzt, Wein getrunken, lecker gegessen - was man in Paris eben so macht. Und fürs nächste Jahr habe ich schon mal ein Hotelzimmer gebucht. Am 15. April startet die Anmeldung für den Marathon de Paris 2016.