Dortmund. Stefan Reinke will den Unterschied zwischen Sportlern und Hobbyläufern kennen lernen. Dafür hat er sich zum Wettkampf mit einer Sprinterin verabredet.

Wer hobbymäßig Sport treibt, hat viele Gründe, stolz auf sich zu sein. Jedes Mal, wenn wir es schaffen, den Hintern von der Couch zu erheben, unsere Laufschuhe zu schnüren und raus in den Nieselregen zu gehen, haben wir gewonnen. Diese kleinen Siege gegen uns selbst sollten wir einrahmen. Darum sammeln wir auch Finisher-Shirts, Teilnahmeurkunden und Medaillen. Denn einen echten Pokal, wie ihn echte Sieger bekommen, werden wir nie in Händen halten.

Schauen wir der Realität ins Auge: Wir starten zwar beim selben Rennen, laufen aber in anderen Dimensionen als die Profis, die wir aus dem Fernsehen kennen und die bei einem großen Marathon schon geduscht und abgetrocknet das Preisgeld zählen, während wir uns gerade über die Halbmarathon-Marke schleppen.

Faustformel: Immer halb so schnell wie die Weltelite

Auch interessant

Für mich selbst habe ich die Faustformel entwickelt, dass ich „gut“ bin, wenn ich für einen Lauf ungefähr doppelt so lange brauche wie ein Profi. Der aktuelle Weltrekord über 10.000 Meter wurde von dem Äthiopier Kenenisa Bekele aufgestellt: 26:17 Minuten. Meine Bestzeit, aufgestellt im zarten Alter von 43 Jahren, liegt bei 49:49 Minuten. Passt also. Ebenso beim Marathon. Der Kenianer Dennis Kipruto Kimetto lief im Jahr 2014 beim Berlin-Marathon nach 2:02:57 Stunden ins Ziel. Ich brauchte im gleichen Jahr in Hamburg 3:58:32 Stunden.

Doch trotz der unterschiedlichen Welten, in denen sich echte Leistungssportler und „ambitionierte Freizeitsportler“ (so hat mich mal ein Arzt bezeichnet) bewegen, würde ich doch gerne mal gegen einen echten Sportler antreten. Nicht im Marathon oder über 10.000 Meter, sondern im Sprint. Ein Rennen über die Kurzstrecke hat zum Beispiel den Vorteil, dass ich nicht überrundet werden kann. Außerdem ist ein Sprint die ehrlichste Form des Wettkampfs. Es gibt kein Taktieren, nur Rennen.

Am 11. März soll es soweit sein. Schauplatz ist die Helmut-Körnig-Halle in Dortmund. Der Wettkampf über 60 Meter wird mir eindrucksvoll zeigen, wo der läuferische Hammer hängt. Erstens bin ich Langstreckler und überhaupt nicht auf der Sprint-Strecke zu Hause. Zweitens bin ich - so ehrlich muss ich dann doch mal sein - eigentlich gar kein Sportler. Aber gerade das macht die Sache interessant. Sprinter kennt man ja nur aus dem Fernsehen und kann gar nicht einschätzen, wie schnell die wirklich rennen. Läufer kennt man aus dem Wald - und jeder weiß, wie langsam wir laufen.

Jogger oder Sprinter - die Muskeln machen den Unterschied

Das Training von Sprintern und Langstrecklern unterscheidet sich grundlegend. Ich mache lange Läufe, um meine Ausdauer zu erhalten oder zu verbessern. „Der Läufer läuft lange und gerade so schnell, dass möglichst die Sauerstoffschuld durch entsprechende Aufnahme gedeckt wird, der Sprinter kann maximale Geschwindigkeiten nur kurz laufen, da sonst seine Energiebereitstellung nicht mehr funktioniert“, erklärt Uli Kunst, Sprint-Trainer der LG Olympia Dortmund (LGO). Was das bedeutet, lässt sich nach dem Rennen gut beobachten. Während Marathonis im Ziel kaum außer Atem sind und Interviews geben können, sieht man Sprinter nach 100 Metern pumpend und nach Luft ringend auf der Tartanbahn stehen oder sitzen.

Ein weiterer Unterschied besteht in den körperlichen Voraussetzungen. „Man macht aus einem Jogger keinen Sprinter“, lautet ein geflügeltes Wort. Leider stimmt es. Sprinter verfügen über viele sogenannte FT (Fast Twitch) Muskelfasern, die es ermöglichen Energie durch schnelle Kontraktion freizusetzen. „Die sind heller und können schnell zucken“, so Uli Kunst. Langstreckenläufer hingegen haben idealerweise ST (Slow Twitch) Fasern, die optimal für den aeroben Betrieb geeignet sind und sich langsamer bewegen. Ob jemand Sprinter oder Läufer ist, ist also zunächst mal eine Frage der Genetik.

Laura Siegeroth sprintet für die LG Olympia Dortmund.
Laura Siegeroth sprintet für die LG Olympia Dortmund. © Yoshi (LGO Dortmund)

Was ich bin, weiß ich nicht. Ich bin Läufer, weil ich irgendwann mit dem Laufen angefangen habe. Ich vermute, dass ich eher die langsame Muskelvariante habe, da ich noch nie ein schneller Renner, sondern eher ein ausdauernder Radler oder Wanderer war.

Für den Sprint extra neue Schuhe gekauft

Für das große Duell habe ich mir extra ein Paar Spikes gekauft. Die sind gar nicht so teuer wie ich befürchtet hatte. Die Schuhe kann ich auch bei Intervalltrainings auf der Tartanbahn benutzen, insofern sind sie keine Fehlinvestition. Bei meinen ersten zaghaften Sprint-Tests habe ich festgestellt, dass man mit den Spikes einen sehr direkten Bodenkontakt hat. Klar, so kann sich die Kraft aus den Beinen besser auf die Bahn übertragen. Ob sie mir helfen? Vermutlich nicht.

Meine Gegnerin: Das ist Laura Siegeroth

Uli Kunst hat als Gegnerin Laura Siegeroth für mich ausgeguckt. Die 17-Jährige kommt aus Lünen und ist laut Kunst „die beste Nachwuchssprinterin der LGO“. Ob ich im Duell bestehen kann? „Deine Chancen gegen sie über 60 Meter zu bestehen sind gleich null“, so die klare Ansage. Laura sieht das etwas anders: „Ich denke, dass die Chancen gar nicht mal so schlecht stehen, weil mir das Starten nicht so gut liegt.“ Was Laura nicht weiß: Mir liegt weder das Starten noch das Laufen. Ich glaube nicht, dass sie sich Sorgen machen muss.

Auch interessant

Denn allein ein Blick auf ihr Training zeigt, dass in der Helmut-Körnig-Halle zwei Menschen gegeneinander antreten werden, die unterschiedlicher nicht sein könnten. Laura trainiert vier Mal in der Woche. Zu den Inhalten zählen kurze Sprints, lange Sprints, Krafttraining und Technikübungen. Für ihren Sport verzichtet sie auf viel Privatleben. „Es ist teilweise sehr stressig“, sagt sie, zumal „die Schule an erster Stelle“ steht. Ich hingegen verzichte für den Sport nicht mal auf Gyrosteller.

Lauras Bestzeit über 60 Meter liegt bei 8,13 Sekunden – ein guter Wert, wenn man bedenkt, dass sie noch am Anfang ihrer Karriere steht und weit vom Zenit eines Sprinterlebens entfernt ist. Die Weltklasse der Männer läuft die 60 Meter in deutlich unter sieben Sekunden. Frauen sind etwas „langsamer“. Die aktuelle Deutsche Meister Christian Blum ist kürzlich 6:57 Sekunden gelaufen, sein weibliches Pendant Verena Sailer 7,12 Sekunden. Wenn die „Hobbyläufer brauchen doppelt so lange“-Regel auch beim Sprint gilt, werde ich also rund 14 Sekunden für die 60 Meter brauchen. Ich kann es aber überhaupt nicht einschätzen.

Wie auch immer es ausgehen soll – ich bin sehr gespannt und freue mich wahnsinnig. Bis dahin muss ich aber noch ein bisschen trainieren...