Breslau. . Die deutschen Handballer haben sich für die EM-Hauptrunde viel vorgenommen. Dabei können sie sich auf Stützen wie Reichmann, Weinhold und Wolff verlassen.

Wenn Erik Schmidt über seine Mannschaftskollegen spricht, fällt ein Attribut immer wieder: besonnen. Bei jedem zweiten Spieler aus dem Kader der deutschen Handballer kommt dem 23-jährigen Kreisläufer diese Charaktereigenschaft in den Sinn, dabei ist Schmidt keinesfalls um Worte verlegen. Das vielfältige Vokabular des Mainzers würde auch ausreichen, um das explosive Gemisch der Dschungelcamp-Kandidaten auseinanderzunehmen, doch die Nationalmannschaft, die am Freitag gegen Ungarn in die Hauptrunde der Europameisterschaft startet (18.15 Uhr, ARD), zeichnet sich eben vor allem durch umsichtige Typen aus.

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So einer ist auch der 2,04 Meter große Schmidt, der bei Hannover-Burgdorf in der Bundesliga spielt. Er gehört zu den Abwehrspezialisten der deutschen Auswahl, genau wie Hendrik Pekeler (24) und Finn Lemke (23). „Hendrik ist von der Art ähnlich wie ich, um Finn mache ich mir manchmal Sorgen“, sagt Schmidt mit einem Seitenblick auf seinen 2,10 Meter großen Kollegen, der auf der Fensterbank des Teamhotels sitzt, den Kopf etwas müde an die Wand gelehnt. Lemkes freundliches, jugendliches Antlitz würde sich auch gut auf einer Zwieback-Verpackung verkaufen. „Sobald es aber ans Aufwärmen geht, ist er sehr emotional. So würde man ihn nicht einschätzen, wenn man ihn nicht kennt“, sagt Schmidt. Lemke grinst. Dass er auch mal den Anführer geben kann, hat er spätestens gegen Schweden gezeigt. Von DHB-Vizepräsident Leistungssport Bob Hanning wurde er danach als der „Bad-Boy“ bezeichnet.

Fäth und Sellin sind die Bindeglieder

Ein weiterer Verwandlungskünstler ist Torhüter Carsten Lichtlein. „Das ist schon extrem, wie schnell der umschalten kann von einem ruhigen, gelassenen Menschen zu einem totalen Energiebündel“, sagt Schmidt. Der 35-Jährige, der sportlich noch nicht so ins Turnier gefunden hat, wie sein Pendant Andreas Wolff (24), ist für die Stimmung in der Mannschaft zuständig. Ebenso wie Kapitän Steffen Weinhold. „Ich verstehe überhaupt nicht, warum er immer als ruhig und zurückhaltend dargestellt wird. Steffen ist besonnen und total humorvoll. Er ist der, der uns alle heiß macht vor jedem Spiel“, sagt Schmidt. Weinhold (29), Lichtlein und Spielmacher Martin Strobel (29) sind die erfahrensten Athleten im deutschen Kader. „An diesen Dreien ziehen wir anderen uns hoch, im Gegenzug bekommen die ein bisschen Unbekümmertheit von uns mit“, sagt Schmidt, der sich mit seinem Zimmerkollegen Niclas Pieczkowski (26) manchmal über die Mannschaft austauscht. Zum Beispiel über Tobias Reichmann: „Vor dem Turnier habe ich irgendwo gelesen, dass Tobias nicht in der Lage sei, statt Uwe Gensheimer die Sieben-Meter zu werfen, das hat mich total geärgert“, sagt Schmidt. Mit elf von zwölf verwandelten Strafwürfen hat Reichmann diese These inzwischen widerlegt. 19 Treffer machen den 27-jährige Rechtsaußen, der unter Ungarns Nationaltrainer Talant Dujshebaev beim KS Kielce spielt, derzeit zu den besten fünf Schützen der EM.

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Wie Steffen Fäth (25) und Johannes Sellin (25) gehört er zu den Bindegliedern zwischen den gestandenen und den international noch unerfahrenen Athleten. „Es ist einfach eine super Mischung, das sieht man auch auf dem Spielfeld“, sagt Reichmann. Das Alter spielt keine Rolle, auch der erst 21 Jahre alte Fabian Wiede ist dieser Kategorie zuzuordnen. Der Berliner Rückraumspieler, der von Bundestrainer Dagur Sigurdsson oft eingesetzt wird, wenn die deutsche Auswahl in Unterzahl agiert, ist einer der noch jungen Akteure, die wegen ihrer Abgeklärtheit erwachsener wirken, als sie sind. Dazu gehören auch Kreisläufer Jannik Kohlbacher (20), der gegen Slowenien für Schwung in der Offensive sorgte, Linksaußen Rune Dahmke (22), der neben seiner spielerischen durch seine rhetorische Gewandtheit auffällt und Christian Dissinger, der mit seinen 24 Jahren schon viel Lebenserfahrung gesammelt hat.

Einen Mimi Kraus gibt es nicht

Auf dem Feld noch nicht in Erscheinung getreten ist einzig Simon Ernst. „Er hat jetzt ein bisschen die Rolle, dass er eingesetzt wird, wenn Not am Mann ist, das ist ja bei mir ähnlich“, sagt Erik Schmidt. Für ihn ist der 21-jährige Gummersbacher aber „eines der größten Rückraum-Talente.“ Und ein trotz seines Nachnamens recht unterhaltsamer Zeitgenosse. „Simon hat einen extrem ironischen Humor. Das muss man einschätzen lernen, ist aber sehr lustig“, sagt Schmidt.

Den größten Spaßvogel kann er aber innerhalb des Teams nicht benennen. „So einen, wie Mimi Kraus, der so herausstach, haben wir jetzt nicht mehr“, sagt Schmidt. Gleiches gilt für das Spielfeld. „Wir haben 16 gleichwertige Spieler, und das ist glaube ich unsere größte Stärke“, sagt Tobias Reichmann.

Dieses Miteinander hat Erik Schmidt auch im Trainerteam beobachtet: „Ich weiß, dass Dagur immer einen Plan hat, aber er macht das ja nicht allein. Das Team mit den Co-Trainern Alex Haase und Axel Kromer funktioniert einfach gut“, sagt er. Hierarchien sind im deutschen Team jedenfalls nicht auszumachen.