Bochum.
Karsten Neitzel redet viel. Oft energisch, nie langweilig. Der neue Co-Trainer des VfL kann reflektieren, analysieren, er hat aber vor allem die Gabe, das Wesentliche auf einen Punkt zu bringen, diesen Punkt, den alle verstehen.
Wie er mit Andreas Bergmann, dem Cheftrainer, den er vor gut zwei Wochen noch gar nicht kannte, klarkommt? „Batsch“, umschreibt er spontan das erste und nicht letzte „Abklatschen“ mit Bergmann. „Komm wir machen los." Und fügt (erst dann) an: „Wir ergänzen uns gut, unsere Ansichten liegen nicht meilenweit auseinander.“
Klar und direkt, einer mit Feuer, das ist der 43-Jährige, den Jens Todt nach Bochum holte. Mit dem VfL-Sportvorstand hat Neitzel in Freiburg gespielt, der Kontakt ist nie abgerissen, und als er ihn neulich anrief, habe er sich „sehr gefreut“ und „schnell Ja“ gesagt: „Ich bin immer schnell in meinen Entscheidungen“, sagt er.
Nach erstem Telefonat und Treffen mit Bergmann war die ungewöhnliche Verbindung perfekt: Hier Neitzel aus dem Süden, bei Freiburg, dort Bergmann aus dem Norden, Hamburg. Zwei, die sich in Bochum trafen (und beide noch auf Wohnungssuche sind). „Das ist eine spannende Konstellation, von der die Mannschaft nur profitieren kann“, sagt Neitzel über diese Art von Trainer-Experiment. Der Ex-Profi, der elfeinhalb Jahre den SC Freiburg II coachte und noch länger Spieler und Co-Trainer von Volker Finke war, erklärt das so: „Wir haben eine total offene Atmosphäre im Trainer-Team, jeder sagt seine Meinung. Das ist stets eine Art Brainstorming - und am Ende entscheidet der Chef.“
Bisher war stets Volker Finke der Chef des sehr ehrgeizig rüberkommenden Dresdners, er hat ihn geprägt, von ihm habe er unter anderem „Mannschaftsführung“ gelernt und Sachverstand nach mehr als 300 gemeinsamen Erst- und Zweitliga-Spielen. Als „Arschkriecher“ von Finke, dem einst fast allmächtigen „Freiburg-Chef“, hätten ihn dort manche bezeichnet, erzählt Neitzel. Er nahm es als „Hinweis, dass ich als Co-Trainer einen guten Job gemacht habe. Ich bin loyal zu 100 Prozent.“
Was nicht zu verwechseln ist mit meinungslos, gar kritiklos. Neitzel kann einstecken, aber auch austeilen - und aufmuntern. Mit Blick auf den Einzelnen, sagt er: „Man kann nicht alle Spieler gleich behandeln. Jeder ist anders.“ Für Chong Tese oder Takashi Inui etwa sei, so hat er die Kultur in Japan selbst erfahren, der „Gesichtsverlust“ ein Tabu. Inui bloßzustellen vor der Mannschaft, weil er die Chance zum 2:0 gegen Duisburg nicht nutzte, wäre da kein guter Ratgeber. Neitzel: „Wir müssen es hinkriegen, dass Inui beim nächsten Mal wieder mit großer Freude aufs Tor geht.“
So sieht es auch Bergmann, der Neitzels „fachliche Kompetenz, die er engagiert einbringt“ schätzt - und seine „gesunde Kritikfähikgeit“. Man liege „auf einer Wellenlänge“, nicht nur auf dem Platz oder der Trainerbank.
Dass Neitzel brennt aufs nächste Training, ist zu spüren, auch im Gespräch in einem eher kargen Büro. Acht Monate, seit Januar, hat Neitzel keinen Job im Fußball gehabt; erhielt eine Absage als Nationaltrainer der Philippinen („Das hätte ich im Januar gerne gemacht, aber jetzt bin ich froh, dass es nicht geklappt hat“), blieb mit Spielbeobachtungen am Bal. Eine lange Zeit des gefühlten Nichtstuns für einen wie ihn. „Ich bin seit dem ersten Tag hier voll drin“, sagt er. Zu sehen und zu hören ist das im Training, in dem er häufig lautstark Ansagen macht, Gruppen leitet - und im Spiel, wenn er am Rande abgeht. „Emotional“ sei er ja, sagt Neitzel, aber „schon zurückhaltender“ geworden: „Früher war ich Stammgast bei der Disziplinarkommission des Verbandes.“ Und, so Neitzel über Neitzel: „Ich will nicht sagen, dass ich Perfektionist bin. Aber ich habe kein gutes Gefühl, wenn ich nicht gut vorbereitet bin.“
Kramer und Acquistapace überzeugten beim VfL Bochum
„Sehr flexibel“ müsse das Training sein, müsse das Team im Spiel handeln, kompakt zwar, aber auch instinktiv und mutig, das ist das Ziel. „Der Chef auf dem Platz ist immer die Situation“, sagt Neitzel. „Die entscheidet, wie gespielt wird.“ Wie Bergmann hält er nichts von starren Systemen. Primär ginge es nach der Talfahrt zwar erstmal darum, „gut gegen den Ball“ zu arbeiten, nicht „so weit auseinander zu stehen“. Gegen Duisburg habe man nach nur einer Trainingswoche schon große Fortschritte gesehen. Der weit „schwierigere Schritt“, sagt Neitzel, sei „die Verbesserung bei Ballbesitz“: hin zu einem flexiblen, schnellen Offensivspiel. Neitzel: „Vorsicht bedeutet nicht unbedingt mehr Sicherheit.“
Neitzels Karriere in Kürze:
Karsten Neitzel (43) wurde in Dresden geboren, bei Dynamo spielte er meist in der Reserve. Stammkraft im Mittelfeld war der DDR-Junioren-Nationalspieler (u.a. U-19-WM-Dritter mit Dariusz Wosz) bei den Zweitligisten Hallescher FC (1989 - 92) und Stuttgarter Kickers, ehe er 1994 zum Erstligisten SC Freiburg (mit Todt, Cardoso) wechselte. Sein Debüt: 5:1 gegen den FC Bayern. In drei Jahren kam er aber nur auf 18 Einsätze, wegen seiner Hüftprobleme beendete er mit 29 seine Karriere, wurde Co-Trainer von Finke (bis 2007) und zugleich Trainer des SC Freiburg II (bis 2008). Der Inhaber der DFB-Fußball-Lehrer-Lizenz trainierte als „Co“ von Finke zuletzt zwei Jahre die Urawa Red Diamonds in der 1. Liga Japans.