Bochum.
Nach dem desaströsen 1:4 gegen Ingolstadt geht der VfL Bochum schweren Zeiten entgegen. Die Fans sind frustriert, die Mannschaft wirkt leblos, der Trainer ratlos.
Im Fan-Lokal des VfL, fünf Schritte vom Stadioneingang entfernt, war „Happy Hour“ nach dem 1:4 gegen Ingolstadt.
Welch’ eine Ironie.
Glücklich hat das Billig-Bier - zwei zum Preis von einem - den einsamen Mann allerdings nicht gemacht. Sein ganzes Leben sei auf diesen Verein ausgerichtet, erzählte er mit stotternder Stimme, was nicht nur am Alkohol-Konsum lag. Auf dem Bildschirm lief die 1. Bundesliga, Kaiserslautern führte 3:0 in Nürnberg und Hannover 1:0 gegen den HSV. Giovanni Federico und Mahir Saglik hatten sich kurz zuvor ein Weilchen aufgehalten mit einem frustrierten Anhänger des VfL und dann auf den Heimweg gemacht.
Zum Heulen
„Ich reiß mir den Arsch auf für den VfL“, sagte der Mann mit dem blau-weißen Schal um den Hals mit, nun ja, nüchternem Tonfall. Um Frühschicht hatte er gebeten, damit er bloß keine Sekunde verpasst beim Heimspiel gegen den FC Ingolstadt. Und doch kam er erst zwei Minuten nach dem Anpfiff im Stadion an, ungefähr zur gleichen Zeit wie Außenverteidiger Björn Kopplin also. Unverzeihlich eigentlich, geißelte der Mann sich selbst und ließ seinen Gefühlen dann freien Lauf: „Ich habe geweint heute. Geweint. Verstehst du das?“
Man muss sich Leben und Liebe dieses Mannes nicht zum Vorbild nehmen, um diese Verzweiflung nachvollziehen zu können. Es war zum Heulen, was die so genannte Profi-Mannschaft des VfL Bochum zeigte gegen den FC Ingolstadt, gegen das Schlusslicht der 2. Liga, das bis dahin zehn Spiele verloren und nur eines gewonnen hatte. „Jo leck mi oam Arsch“ hörte man die Bayern-VIPs auf der Haupttribüne immer wieder juchzen.
Teses Treffer nur Nebensache
Nach ein paar Sekunden, als Kopplin noch schlief (und eigentlich nie so recht aufwachte), Buchner flankte und Gerber ins Tor köpfte. Nach gut acht Minuten, als Mavraj nach einem langen Ball von Torwart Kirschstein erst vor- und dann zurückstolperte und Leitl freie Bahn hatte. Nach dem 3:1, einer Kopie des 2:0, nur dass sich diesmal Maltritz und Mavraj gleich über den Haufen rannten (und die VfL-Fans fortan Ingolstadt feierten). Beim 4:1, erneut durch Leitl. Bei weiteren Chancen für den FCI, vor der Pause und in der letzten halben Stunde, als Teses Anschluss-Treffer in einer kurzen Drangphase des VfL endgültig zur Nebensache degradiert worden war.
Nur zwei Reihen hinter dem staunenden Bayern-Ensemble schienen Milos Maric und Zlatko Dedic, zwei der Suspendierten nach einer fröhlich-langen Nacht, in ihren Sitzen zu versinken; nur ein paar Meter weiter vorne schienen die meisten der übrig gebliebenen Bochumer (Slawo Freier, Chong Tese, Kevin Vogt und mit Abstrichen Matias Concha bemühten sich wenigstens) zu wissen, dass sie aus arbeitsrechtlichen Gründen bis zur Auswechslung (Federico, Mavraj), im schlimmsten Fall gut 90 Minuten (Kopplin, Saglik) durchhalten müssen.
Funkel wirkt teilnahmslos
Von einer gewissen „Arroganz“ einiger Spieler sprach Friedhelm Funkel hinterher und räumte auf Nachfrage ein, dass einige doch recht „teilnahmslos“ wirkten. Aber auch der Trainer erweckte weder während noch nach dem Spiel den Eindruck, als nähme ihn dieses desaströse 1:4 gegen Ingolstadt mehr mit als jede andere Niederlage. Dabei war die Leistung wohl das Schlimmste, was der VfL anbot, seit er im Profifußball mitmischt.
Gut 9600 Zuschauer waren noch gekommen, so die offizielle Ansage, darunter etwa 350, die dank der - übrigens lobenswerten - „2:1“-Karten-Aktion keinen Eintritt zahlen mussten. Ein Minusrekord, der vermutlich nicht lange Bestand haben wird. Am Freitag kommt der SC Paderborn - und zu verschenken hat der VfL auch nichts mehr.
Geht es so weiter, türmt sich ein neuer Schuldenberg auf beim gerade erst entschuldeten Klub: Zu den 2,6 Millionen Euro Defizit, die der Vorstand „kalkuliertes Risiko“ nennt, kämen grob gerechnet 800 000 Euro Zuschauer-Mindereinnahmen hinzu. Viel Geld für einen Zweitligisten.
„Fünf, sechs Spieler“ auf der Streichliste
Oder sogar Drittligisten, denn wenn sich nicht schleunigst sehr viel ändert: Dann war das 1:4 gegen Ingolstadt noch nicht der Tiefpunkt.
Von „fünf, sechs Spielern“ müsse man sich trennen im Winter, sagte Vorstand Ansgar Schwenken, um den bösen Geist der vergangenen Saison zu verjagen. Und man fragt sich, warum man auf diese Idee nicht schon im Sommer, spätestens nach dem 0:3-Pokal-Debakel in Offenbach, gekommen ist.
Sportvorstand Thomas Ernst wird nach fünf erfolglosen (Interims-)Trainern, dem Abstieg und dem nicht vollzogenen Neuaufbau gegenüber dem noch zu „wählenden“ neuen Aufsichtsrat einen schweren Stand haben. Dass der Protest gegen Ernst nicht noch lauter ausfällt, liegt wohl daran, dass kaum noch Menschen ins Stadion gehen.
Es gab Pfiffe gegen das Team, es gab Hohn und Spott ab dem 1:3, aber zahlreiche Fans wirken mittlerweile wie erstarrt vor Entsetzen.
Man kann sie verstehen.