Bochum. Seit November ist RUB-Kanzlerin Christina Reinhardt im Präsidium des VfL Bochum. Sie erklärt ihre Aufgaben, was sie überrascht und gelernt hat.
Christina Reinhardt ist die erste Frau im Präsidium des VfL Bochum. Sie ist nun seit einem halben Jahr dabei. Im Interview mit der WAZ Bochum blickt sie auf die Zeit seit der Mitgliederversammlung zurück und beschreibt, wie sich ihre neue Aufgabe mit ihrem Beruf als Kanzlerin der Ruhr-Universität Bochum vereinen lässt und welche VfL-Legende immer in ihrer Nähe sitzen muss.
Die WAZ lässt gerade die Legendenelf des Ruhrgebiets wählen. Zuerst ging es um die Abwehr. Vom VfL Bochum stand Josef „Jupp“ Tenhagen zur Wahl. Hätten Sie ihn gewählt?
Auf jeden Fall. Ich sitze bei den Heimspielen immer vor ihm. Das ist so super. Wenn sich die Sitzreihenfolge unseres Präsidiums einmal ändern sollte, sage ich: Es ist mir egal, wo ich sitze – Hauptsache: Jupp Tenhagen sitzt hinter mir. Das ist mir wichtig. Er spricht und coacht die ganze Zeit. Dann weiß ich immer genau, wo hakt es gerade, was läuft gut, was läuft nicht so gut. Das ist mega für mich. Mit Jupp Tenhagen kann man sich auch immer so schön in die Arme fallen, weil er immer voll dabei ist. Er war auch der erste im Präsidium, der mir das Du angeboten hat.
Reinhardt: Der Fußball spielt im Revier eine größere Rolle als in Stuttgart
Sie kommen aus der Nähe von Stuttgart. Dazu wieder eine Wahl von Spielern, die den VfB Stuttgart prägten: Guido Buchwald, Karl Allgöwer, Hansi Müller. Wenn würden Sie da wählen?
Als Kind war ich Fan von Hansi Müller. Ich hatte VfB-Bettwäsche, aber als Kind und Jugendliche bin ich in Stuttgart nicht so oft im Stadion gewesen. Zweimal oder so. Es war so ein Standard, dass man für den VfB war. Ich habe mich als Kind und Jugendliche gar nicht so für den Fußball interessiert. Ich habe viel Sport gemacht, Leistungsturnen. Zwischendurch habe ich mal Handball gespielt. Dass ich mich für den Fußball interessiert habe, kam erst hier im Ruhrgebiet. Der Fußball spielt hier durch die vielen Vereine, durch das Ehrenamt eine andere Rolle als in Stuttgart. In Bochum werden die Kinder in ihrem Stadtteil mit Fußball groß. Der Fußball spielt dann auch eine wichtige soziale Rolle, um Freunde zu finden. Ich wohne schräg gegenüber von einem Fußballplatz. Mein Jüngster hat dort im Verein gespielt, bis er 15 war.
Was waren Sie für eine Fußball-Mutter?
Ich bin fast immer dabei gewesen. Was mich aber immer wieder schockiert hat, welche Ernsthaftigkeit da dabei war. Selbst wenn es eine E-Jugend war. Mein absoluter Tiefpunkt als Fußball-Mutter war, als der Schiedsrichter eine Fehlentscheidung gegen unser Team getroffen hat und dann ein Elternteil auf den Platz lief und ihn einfach mit der Faust umgehauen hat. Daraufhin sind Eltern der gegnerischen Mannschaft auf das Feld gelaufen und dann auch Eltern unserer Mannschaft. Ich bin dann gegangen. Mein Sohn spielt jetzt Volleyball. Das ist ein großer Unterschied.
Aber Sie waren auch schon im Ruhrstadion, bevor Sie ins Präsidium gekommen sind.
Ja, regelmäßig. Zum Glück interessiert sich mein Mann auch für Fußball. Er ist leider in Leverkusen aufgewachsen und sagt immer: Die Frau kann man wechseln, den Verein nicht.
Es war dann doch ein schönes letztes Saisonspiel, oder?
Ja. (lacht) Ich merke bei ihm, dass es mit Leverkusen etwas abgenommen hat, dadurch dass ich mehr mit dem VfL zu tun habe.
So kam der Kontakt zum VfL Bochum zustande
Wie ist es denn nun genau gekommen, dass sie für einen Platz im Präsidium des VfL kandidiert haben?
Das lief über Andreas Eickhoff. Den kannte ich über die Ruhr-Universität und weil er die RUB-Stiftung unterstützt. Er hat mich, als ich mal hier im Stadion in der Stadtwerke Bochum Lounge war, angesprochen. Dass ich da war, war eigentlich ein Zufall, weil ich bis dahin nie in der Lounge war. Ich war immer in Block Q. Da ist die Stimmung schon etwas launiger und wilder. Im Anfang fand ich es dann auch gewöhnungsbedürftig, die Spiele von der Haupttribüne aus zu sehen. Ich habe mich anfangs auch manchmal danach gesehnt, wieder in Block Q zu stehen. Jetzt habe ich mich aber dran gewöhnt. Ich habe immer Jupp Tenhagen hinter mir, der Stimmung macht. Auf jeden Fall war ich in der Stadtwerke Bochum Lounge zu Gast. Welcher Gegner es war, weiß ich nicht mehr. Das Ereignis wurde überlagert durch die Frage, ob ich es mir vorstellen könnte, im Präsidium mitzuarbeiten. Ich selbst wäre nie auf die Idee gekommen, dass ich dafür in Frage komme und konnte es zuerst gar nicht glauben. Ich war aber ehrlich gesagt spontan ziemlich begeistert von der Idee.
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Gab es eine Erklärung dafür, warum Sie angesprochen worden sind – außer dass sie eine Frau sind?
Vorstand und Präsidium wollten jünger und diverser werden, das war die Motivation. Das finde ich jetzt aber auch nicht verwerflich, im Gegenteil. Spontan habe ich ja gesagt, dann aber auch, dass ich da noch einmal drüber nachdenken muss, was das eigentlich heißt. Ich habe einen Hauptjob, musste mit meiner Hochschulrats-Vorsitzenden sprechen, weil ich eine Nebentätigkeitsgenehmigung brauchte, ich bin Beamtin. Die hat sofort gesagt: Das ist doch super. Dann habe ich mich noch ausgetauscht mit Bernhard Pellens, der Professor an der Ruhr-Universität und im Aufsichtsrat von Borussia Dortmund ist. Er hat gesagt: Auf jeden Fall machen. Aber er hat auch gesagt, dass ich bei den Managemententscheidungen immer die Fanbrille absetzen soll. Dann habe ich mich noch einmal geprüft, ob ich mir das zutraue. Danach habe ich gesagt: Ja, ich bin dabei. So nahm es seinen Lauf.
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Reinhardt über die ersten Sitzungen im Präsidium: Zeitintensiver als gedacht
Wie waren die ersten Sitzungen im Präsidium?
Die Kollegen im Präsidium sind eine Gruppe, die in dieser Konstellation schon sehr lange zusammenarbeitet. Ich habe von Ilja Kaenzig, dem Sprecher der Geschäftsführung, eine Schnell-Einarbeitung bekommen. Es ist so: Wenn man lange in so einer Gruppe zusammenarbeitet, ist der Gruppe gar nicht klar, dass sie unglaublich viele unausgesprochene Gesetze und Regeln hat, nach denen sie agiert. Ich hatte zunächst Schwierigkeiten, mich zu orientieren. Für meine Kollegen war immer alles selbstverständlich. Ich habe erst gedacht, ich verlege mich aufs Zuhören, das liegt mir aber nicht so. Ich musste am Anfang ganz viele Fragen stellen. Ich habe dann festgestellt, dass die Arbeit im Präsidium deutlich zeitintensiver ist, als ich es mir vorgestellt habe. In einer so aufregenden Saison wie die vergangene eine war, gab es einige Spontansitzungen. Von daher waren es mehr als die turnusmäßigen vier Gremiumssitzungen im Jahr. Und was auch zeitintensiv ist, dass ich bei allen Spielen auch auswärts dabei war. Die aber waren fast der wichtigste Block für die Einarbeitung, weil es vor dem Spiel immer ein Treffen mit dem Präsidium des anderen Vereins gibt. Da wird über aktuelle Fußballthemen gesprochen. Ich hatte zu Beginn eine enorme Lernkurve.
Wie passt die Präsidiumsarbeit zeitlich zu Ihrem Hauptjob?
Das ist bisweilen schwierig. Als Kanzlerin der Ruhr-Uni habe ich schon einen 70-Stunden-Job. Bestimmte Dinge wie den Trainingsauftakt kann ich nicht begleiten. Das ist alles sehr zeitintensiv. Ich habe aber meine Entscheidung keine Sekunde bereut. Ich bin auch Glückskind, denn ich bin in einer total spannenden Phase zum VfL dazugekommen. Diese Rückrunde war das Nervenaufreibendste, was ich seit langem erlebt habe. Wir haben immer in zwei Szenarien geplant. Dazu bin ich in einer Phase dazu gekommen, in der sich beim Thema Professionalisierung viel bewegt hat und noch bewegt. Ich empfinde das Team um Ilja Kaenzig, Patrick Fabian, Marc Lettau und Trainer Thomas Letsch als wahnsinnig professionell. Als Präsidium und Vorstand können wir sehr gut unserer Hauptaufgabe nachgehen, dieses Team gut zu unterstützen. Wir müssen im Moment wenig eingreifen. Diesen Weg, den der VfL gerade geht, begleiten zu dürfen, empfinde ich als ein wahnsinniges Privileg.
Das sind die Hauptaufgaben von Christina Reinhardt im Präsidium
Was genau ist Ihre Rolle im Präsidium? Was können Sie zur Präsidiumsarbeit beitragen?
Es gibt Themen, die sich in unterschiedlichen Branchen ähneln. Zum Beispiel, wie man eine Organisation steuert. Dazu die Führungs- und Kommunikationsthemen. Da habe ich viel Erfahrung und bringe sie ein. Dann gibt es inhaltliche Themen, die überall wichtig sind, wie Nachhaltigkeit oder Digitalisierung oder Diversität. Gerade bei Diversität und Frauen im Fußball musste ich feststellen, dass der Fußball als Branche den gesellschaftlichen Entwicklungen und anderen Branchen um ein paar Jahre hinterherhinkt. Daher habe ich da automatisch mehr Erfahrung und Expertise und bringe das auch ein. Kürzlich hat das Bundesinnenministerium ein Treffen organisiert, um Frauen, die beim Fußball in Führungspositionen sind, zusammenzubringen. Da waren alle Aufsichtsrätinnen der 1. und 2. Liga eingeladen.
Das ist Christina Reinhardt
Christina Reinhardt wurde 1968 in Leinfelden südlich von Stuttgart geboren.
Sie ist Kanzlerin der Ruhr-Universität Bochum, Mitglied der Sprechergruppe der Kanzlerinnen und Kanzler der Universitäten in Nordrhein-Westfalen und Mitglied des Präsidiums des VfL Bochum.
Sie studierte von 1989 bis 1993 Geografie, Soziologie und Raumplanung an der Ruhr-Universität Bochum. Anschließend promovierte sie von 1994 bis 1998 am Lehrstuhl für Sozial- und Wirtschaftsgeografie der Ruhr-Universität.
Von 1999 bis 2009 war sie in verschiedenen Funktionen in der Verwaltung der Ruhr-Universität tätig. Von 2009 bis 2015 war sie Kanzlerin der Hochschule Bochum. 2015 wurde sie für eine Amtszeit von zehn Jahren zur ersten Kanzlerin der Ruhr-Universität gewählt.
Christina Reinhardt ist verheiratet und hat drei Kinder.
Ich frage etwas ketzerisch: Es waren also alle vier eingeladen?
Wir waren zu siebt, aber es sind insgesamt sogar etwas mehr. Allein der FC St. Pauli hat vier Frauen im Aufsichtsrat. Wir waren zu einem Treffen mit der Staatssekretärin eingeladen. Werder Bremen war dabei, Mainz 05, St. Pauli, Eintracht Braunschweig und Borussia Dortmund. Das war echt ein spannendes Treffen. Wir haben dann schnell festgestellt, dass wir alles Frauen sind, die sich nicht so leicht die Butter vom Brot nehmen lassen. Wenn man als Frau in einer Pionierrolle in eine Branche kommt, ist es wichtig, dass man diese Eigenschaft hat und sich nicht Bange machen lässt. Man muss schon ein gewisses Selbstbewusstsein mitbringen und auch ein dickes Fell haben.
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Hat Ihnen auch da ihre Erfahrung als Kanzlerin der RUB geholfen?
Durchaus. Ich habe da ein Lieblingserlebnis. Es gab ein Treffen von wichtigen Leuten aus der Region an der Ruhr-Uni. Die Herren der Schöpfung kamen dann mit ihren Mänteln. Ich stand da, um sie zu begrüßen. Die haben mir ihren Mantel in die Hand gedrückt und gefragt, ob sie einen Kaffee haben könnten. Ich habe dann die Mäntel aufgehängt, habe Kaffee geholt und dann habe ich die Veranstaltung eröffnet. Da waren sie peinlich berührt.
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Reinhardt fühlt sich wahrgenommen und akzeptiert
Fühlen Sie sich im Präsidium des VfL Bochum wahrgenommen und akzeptiert und haben Sie das Gefühl, etwas bewegen zu können?
Beim VfL Bochum ist es sehr kollegial. Und ich habe null das Gefühl, dass ich nicht ernst genommen werde, weil ich eine Frau bin. Ich finde, dass es nach ganz kurzer Zeit keine Rolle mehr gespielt hat. Ich fühle mich wahrgenommen und akzeptiert. Und ob ich was bewegen kann, kann ich nach einem halben Jahr noch nicht sagen. Ich selbst finde meine Beiträge eigentlich ziemlich wertvoll, aber da müssten sie vielleicht einmal die Kollegen oder die Geschäftsführung fragen, ob das im Team auch so wahrgenommen wird.
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Gibt es darüber hinaus Themen, bei denen ihre Expertise helfen könnte? Stichwort Aus- oder Umbau des Ruhrstadions.
Da stehe ich Gewehr bei Fuß, wenn da Unterstützung gefragt wäre. Ich kenne mich bei diesem Thema aus, weil an der Ruhr-Universität seit Jahren und noch viele Jahre im großen Stil saniert wird.