Bochum. Trainer Thomas Letsch steht vor seinem ersten Derby mit dem VfL Bochum beim BVB. Im Interview spricht er übers Derby, Mentalität und Transfers.

Vor sechs Wochen oder sechs Pflichtspielen übernahm Thomas Letsch (54) das Amt von Thomas Reis als Trainer des VfL Bochum. Der VfL holte den in Esslingen am Neckar geborenen Schwaben vom niederländischen Erstligisten Vitesse Arnheim ins Revier. Zuvor war der frühere Sport- und Mathematiklehrer in verschiedenen Trainer-Funktionen bei RB Salzburg aktiv, war kurz Coach von Erzgebirge Aue und Trainer von Austria Wien.

Am Samstag geht es für den Bundesliga-Neuling mit dem VfL Bochum erstmals zum Derby nach Dortmund (15.30 Uhr/Sky). Im ersten Teil unseres großen Interviews spricht Letsch über das Revierduell, die sportliche Situation, Erwartungen, Transfers und die 2. Liga.

Herr Letsch, wie oft waren Sie schon im Signal-Iduna-Park?

Thomas Letsch: Genau einmal. Ich war gegen Manchester City in der Champions League da. Ich wollte mir natürlich den BVB ansehen, ich wollte aber auch mal die Atmosphäre erleben, bevor wir da spielen.

Kann die Atmosphäre erdrücken?

Nein, das glaube ich nicht. Ich finde es im Vonovia Ruhrstadion schon extrem laut. Natürlich ist diese schwarz-gelbe Wand beeindruckend. Für mich ist das aber eher Motivation und nicht einschüchternd. Was gibt es denn Schöneres? Die Jungs sind da unten die Hauptakteure. 81.000 Fans kommen wegen der 22 Spieler auf dem Platz. Das ist doch ein Traum.

Letsch: Wir sind überzeugt, in Dortmund etwas holen zu können

Auch mit der Erwartung, dass man das Spiel klar verliert?

Die Erwartung einer Niederlage habe ich nicht. Mir geht es auch nicht darum, ob wir auswärts oder daheim spielen. Mein Co-Trainer Jan Fießer und ich sind hier angetreten, als wir einen Punkt hatten. Jetzt hatten wir sechs Spiele gemeinsam, haben drei davon gewonnen, zwei in der Bundesliga und eines im Pokal. Wir sind nicht mehr auf Platz 18, wir liegen auf Platz 17 und sind auf einem guten Weg. Das Programm, das wir haben, ist alles andere als einfach. Hätte jemand am Anfang gesagt, ihr gewinnt drei dieser sechs Spiele, ihr gewinnt gegen Frankfurt und Union Berlin, hätten doch alle gesagt: passt, passt wunderbar. So müssen wir an die Sache herangehen in Dortmund. Ich trete mit Sicherheit nicht dort an mit den Gedanken: O je, schon wieder ein Auswärtsspiel. Im Gegenteil. Wir spielen beim BVB mit der Überzeugung, dass wir etwas holen können. Wohl wissend, dass wir der krasse Außenseiter sind. So realistisch bin ich, so realistisch ist die Mannschaft.

Thomas Letsch im Gespräch mit den Redakteuren Ralf Ritter (l.) und Markus Rensinghoff.
Thomas Letsch im Gespräch mit den Redakteuren Ralf Ritter (l.) und Markus Rensinghoff. © FUNKE Foto Services | Gero Helm

Diese Überzeugung kam in Wolfsburg nicht rüber, auch in Leipzig (0:4) und in Stuttgart (1:4) gab es vier Gegentore. Wie kann man das verändern?

Man kann sie mit Sicherheit nicht dadurch verändern, wenn wir jetzt zurückschauen und sagen, es war wieder so ein Auftritt wie gegen Leipzig. Es war wichtig, sachlich drauf zu gucken. Was lief von der Taktik falsch, was lief in der Vorbereitung falsch? Da können Sie sicher sein, dass wir jeden Aspekt durchgehen. Manche Dinge sind aber auch nicht erklärbar. Am Schluss ergibt eines das andere. Der eine Spieler attackiert nicht so mutig wie er soll, der andere traut sich nicht nachzuschieben, der dritte hängt dann noch mehr hinterher. Dann fällt ein Gegentor, alles bricht auseinander. Das darf uns nicht mehr passieren. Wir sind im Moment noch nicht so stabil, wie wir es sein könnten. Aber mir ist wichtig, dass wir den Blick auf das Ganze haben. Und das Ganze passt absolut mit diesen 50 Prozent Siegen. Wenn wir diese Quote halten, spielen wir auch in der nächsten Saison in der Bundesliga.

VfL-Trainer Letsch: Wir brauchen Überzeugung und Erfolgserlebnisse

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Wieso fällt die Mannschaft nach einem Gegentor so auseinander?

Da spielen viele Faktoren rein. Es bringt zwar nichts, nach hinten zu schauen. Aber was in unserer Vergangenheit passiert ist, haben wir in uns drin. Wenn du das Erlebnis gehabt hast, dass du nach einem Gegentor auch ein zweites und drittes Gegentor bekommst, dann hast du es drin. Bei Bayern München ist es anders. Wenn die ein Gegentor bekommen, wissen die, wir machen unser Ding und wir kommen zurück. Das ist schwieriger für den VfL Bochum. Wir müssen dann abrufen, was zum Beispiel in Stuttgart passiert ist. Wir machen das 1:2, wir müssen das 2:2 machen. Es hat am Schluss nicht gereicht. Aber wir sind zurückgekommen und hätten zumindest einen Punkt mitnehmen müssen. Gegen Wolfsburg ist uns das nicht gelungen, da sind wir auseinandergebrochen. Das darf es nur einmal geben. Auf Strecke brauchen wir Überzeugung. Wir brauchen sie außen herum, wie brauchen sie innen. Wenn du die hast, brauchst du Erfolgserlebnisse. Wenn wir gegen Dortmund 100 Prozent abrufen und es dadurch schaffen, dass Dortmund nicht 100 Prozent abrufen kann, dann haben wir eine Chance.

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Wie ist es zu erklären, dass Ihr Team in Wolfsburg acht Kilometer weniger gelaufen ist als der Gegner?

Man läuft vor allem weniger, wenn man keinen Zugriff hat, wenn man nicht mutig ist. Dann sprintet man weniger, dann macht man nicht das, was man sich vorgenommen hat. Am Schluss ist es auch eine mentale Geschichte. Das sollte nicht passieren, das darf auch nicht passieren, dass du so wenig läufst. In den Spielen zuvor haben wir dieses Gesicht nicht gezeigt. Ich will es nicht als Ausrutscher gelten lassen. Aber es darf nicht sein, dass wir einige Spieler haben, die nur neun Kilometer laufen und dass wir als Team so wenig auf den Platz bringen. Da müssen wir uns völlig zurecht den Vorwurf gefallen lassen, dass wir nicht genug gekämpft und nicht alles gegeben haben.

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Sie wirken auch nach Niederlagen sehr gefasst. Können Sie auch ausflippen?

Was Sie von mir nie hören werden, dass ich einzelne Spieler in der Öffentlichkeit kritisiere. Das ist nicht zielführend, daraus ziehen wir keinerlei Benefit. Wir gewinnen Spiele zusammen, also die Mannschaft und das Team drumherum, und wir verlieren gemeinsam. Es wird auch nie passieren, dass ich sage, die Mannschaft habe es nicht so gemacht, wie ich es vorgegeben habe. Ich gewinne keine Spiele oder verliere sie, sondern wir alle zusammen. Intern hat man den größten Effekt, wenn man mit dem Spieler individuell arbeitet. Natürlich geht es auch darum, der Mannschaft aufzuzeigen, was schieflief und was sie gut gemacht hat. Ausflippen, das kann bei mir schon mal passieren, aber nur intern. Ich bin grundsätzlich eher ein beherrschter Mensch.

Thomas Letsch: Mit der Art des Fußballs „passe ich ganz gut in den Ruhrpott“

Der Mensch im Ruhrgebiet ist eher direkt und emotional. Wie kommen Sie mit der Ruhrgebietsmentalität klar?

Manchmal ist es mir zu pauschal. Der Schwabe ist so, der Ruhrgebietsmensch so. Wie ich die Menschen bisher kennengelernt habe, sind sie relativ geradeheraus, sehr temperamentvoll. Der Fußball spielt eine immens wichtige Rolle. Das mag ich. Ich glaube aber auch, dass ich mich ganz gut anpassen kann. Das konnte ich in Portugal (als Lehrer an einer deutschen Schule, die Red.), ich konnte es in Österreich ganz gut, im Osten Deutschlands aufgrund der Kürze der Zeit dort nur bedingt, ich konnte es jetzt in den Niederlanden ganz gut. Ich sehe mich eher als Europäer. Die Welt ist kunterbunt geworden. Ich glaube, dass ich mit meiner Art, Fußball spielen zu lassen, ganz gut reinpasse in den Ruhrpott.

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Sie haben beim VfL einen Vertrag unterschrieben, der auch für die 2. Bundesliga gilt. Beschäftigen Sie sich schon mit der 2. Bundesliga?

Nullkommanull. Es geht darum, im Hier und Jetzt zu leben. Es geht darum, noch einen Platz gut zu machen, dann sind wir auf dem Relegationsplatz. Wenn wir es schaffen, dass wir am Ende der Saison in der Bundesliga bleiben, haben wir etwas Großes erreicht. Darauf arbeite ich hin, auf nichts anderes. Bis zur WM-Winterpause wollen wir dranbleiben. Dann geht es darum, das Transferfenster zu nutzen und den nächsten Schritt zu machen.

Haben Sie Ihre Wünsche für Spieler oder Positionen beim Sport-Geschäftsführer Patrick Fabian schon hinterlegt?

Wir stehen im täglichen Austausch. Wir haben im Winter eine lange Vorbereitungsphase. Wir haben die Zeit zu schauen, wo es vielleicht personell derzeit noch nicht reicht, wo wir uns eventuell verstärken müssen und können im Rahmen der Möglichkeiten des VfL Bochum. Es wäre Quatsch, etwas Unvernünftiges zu tun. Aber natürlich muss man sich Gedanken machen.

(im zweiten Teil unseres Interviews, das hier ab Samstagmorgen zu lesen ist, geht es unter anderem um private Kochkünste, Fitness, respektvollen Umgang und mögliche Spielsysteme des Bundesliga-Teams)