Bochum. Rund acht Kilometer rannte Wolfsburg gegen Bochum mehr. VfL-Kapitän Losilla, drittstärkster Läufer der Liga, legt den Finger in die Wunde.

Es war dieser Tag für das Geschichtsbuch, der den VfL Bochum nun erstmals wieder einholt. Am 32. Spieltag der Vorsaison, am 30. April 2022, feierte der VfL bei Borussia Dortmund einen 4:3-Sieg und machte damit den vorzeitigen Klassenerhalt perfekt. Es folgte eine rauschende Nacht, ein Nicht-Abstiegs-Tanz in den Mai im Bermudadreieck mit tausenden Fans.

An diesem Samstag spielt Bochum wieder in Dortmund. Er ist wieder der große Außenseiter vor den 81.000 Fans im Signa-Iduna-Park beim gleichermaßen in Bochum so ungeliebten wie in jeder Hinsicht übermächtigen Nachbarn. Bochum ist diesmal ein noch deutlich krasserer Außenseiter als noch vor einem halben Jahr.

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Andere Voraussetzungen als beim historischen Sieg des VfL Bochum Ende April

„Wir haben mit der Partie in Dortmund jetzt mit das schwierigste Spiel vor der Brust, aber auch da geht es um drei Punkte“, sagte Trainer Thomas Letsch nach dem Training an Allerheiligen. „Die letzte Saison hat gezeigt, dass es geht. Allerdings sind die Voraussetzungen andere. Grundsätzlich mag ich solche Vergleiche eigentlich nicht.“

Ende April war der BVB Tabellenzweiter. Er blieb es auch nach dem 3:4. Im BVB-Saisonfinale ging es nur noch um die da noch offene Frage zur Zukunft von Trainer Marco Rose und eine angemessene Verabschiedung von Erling Haaland. Der Superstar-Stürmer, der dann gegen Bochum auch drei Treffer erzielte. Mit zwei verwandelten Elfmetern und einem Schuss nach Marco-Reus-Pass drehte er das frühe 0:2 nach Toren von Sebastian Polter und Gerrit Holtmann. Doch Jürgen Locadia und Milos Pantovic per verwandeltem Handelfmeter schlugen in den letzten Minuten zurück.

Dortmund hat daheim zuletzt den VfL-Bezwinger VfB Stuttgart 5:0 besiegt

Diesmal hat der BVB gar nichts zu verschenken. Er will dran bleiben an Union Berlin, an den Bayern natürlich, an Freiburg, alle noch vor Dortmund platziert. Der jüngste – wenn auch äußerst glückliche – 2:1-Auswärtssieg in Frankfurt dürfte zusätzlichen Auftrieb geben. Im letzten Heimspiel feierte Dortmund ein klares 5:0 gegen Stuttgart. Gegen jenen VfB Stuttgart, der zuvor den VfL Bochum mit 4:1 besiegte hatte.

Wer am Samstag auf Bochum wettet, kann im Erfolgsfall ziemlich reich werden.

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Auch personell hat sich viel getan seit Mai 2022. Beispielhaft seien die Trainer und Torschützen erwähnt. Beim BVB arbeitet seit dieser Saison Edin Terzic als Nachfolger vom neuen Leipzig-Trainer Marco Rose. Beim VfL ist seit zwei Heimsiegen und drei Auswärtspleiten in der Liga sowie einem Pokalsieg in Elversberg Thomas Letsch als Nachfolger vom neuen Schalke-Trainer Thomas Reis im Amt.

Gerrit Holtmann könnte wieder Jordi Osei-Tutus Platz einnehmen

Und von den Torschützen vom April steht nur Gerrit Holtmann bei einem der beiden Klubs noch unter Vertrag, beim VfL Bochum, bei dem er im Juli seinen Vertrag vorzeitig verlängert hatte bis zum Sommer 2025. Gut möglich, dass der schnelle Außenstürmer nach zwei Spielen als Joker gegen Union Berlin (mit Erfolg und Treffer zum 2:0) und in Wolfsburg (ohne Erfolg) seinen monatelangen Stammplatz wieder einnehmen wird. Mutmaßlich für Jordi Osei-Tutu, der nach seiner guten, aber offensiv auch noch ausbaufähigen Leistung gegen Berlin in Wolfsburg komplett enttäuschte – was allerdings für fast alle Bochumer galt.

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Dortmund also ist im Soll – in der Liga und in den Pokalwettbewerben. Der BVB spielt im DFB-Pokal-Achtelfinale ja am 8. Februar in Bochum (20.45 Uhr/ZDF und Sky live) und hat, anders als in der Vorsaison, auch in der Champions League das Achtelfinale erreicht. Klar ist, dass Bochum „ein anderes Gesicht zeigen“ muss, wie Anthony Losilla auch mit ein paar Tagen Abstand nach dem neuerlichen Auswärts-Schreck in Wolfsburg erklärte.

Laufstatistik: Losilla ist die Nummer drei in der gesamten Bundesliga

Dass der Kapitän immer vorangeht, gerade auch in schlechten Phasen, muss nicht erwähnt werden. Der 36-Jährige hat sich auch unter Thomas Letsch durchgesetzt. Der Sechser hat in allen 14 Pflichtspielen von Beginn an gespielt, wurde nur einmal ausgewechselt. In der Einsatzstatistik der Bundesliga liegt er auf Rang 27 mit 1059 von 1080 möglichen Spielminuten. Nur Torwart Manuel Riemann kommt beim VfL auf noch mehr Spielzeit, auf die kompletten 1080 Minuten. Nur Cristian Gamboa, der rechte Außenverteidiger, stand ebenfalls in allen zwölf Partien von Beginn an auf dem Feld (1011 Minuten, sechs Mal ausgewechselt).

„Wir sind nicht in der Situation, in der wir lange nachdenken sollten. Wir müssen uns auf das Training konzentrieren und mehr tun“, sagte Losilla am Dienstag. Seine Frau, seine Kinder hätten ihm wie immer nach solchen Niederlagen geholfen, ihn aufzurichten, „mit ihnen geht es mir sofort besser“, erklärte der Familienvater. „Sie merken schon, dass ich nicht so gut gelaunt bin. Aber ich bin ein Typ, der in jeder Situation trotzdem versucht, positiv zu denken. Wir müssen nach vorne schauen, den Fokus auf das Training richten.“ Direkt nach dem Spiel stellte sich Losilla den Fans, wirkte auch in den Interviews niedergeschlagen, fast ratlos.

Losilla legt den Finger in die Wunde: Die Mannschaft muss mehr laufen

Das 0:4 und damit das dritte Auswärtsspiel unter Letsch mit vier Gegentoren in Folge wurde mit dem Trainerteam und der Mannschaft analysiert. „Jeder Einzelne von uns muss auch für sich analysieren, was er nicht gut gemacht hat“, meinte Losilla und legte den Finger in eine Wunde, die bei einem Abstiegs-Kandidaten doch eigentlich keine Wunde sein dürfte.

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„Wenn man die Statistik sieht, wie viel Kilometer wir weniger gelaufen sind als Wolfsburg, muss man sagen: Das können wir uns nicht leisten, das ist einfach Fakt.“ Wolfsburg kam als Mannschaft auf 111,75 Laufkilometer, Bochum auf nur rund 104,08 Kilometer. Dabei müsste das spielerisch per se unterlegene Team doch eigentlich ein paar (Kilo-)Meter mehr investieren.

Losilla rennt gegen Wolfsburg fast genauso viel wie gegen Union Berlin

Bei Losilla selbst gab es diese Diskrepanz übrigens nicht: Er lief beim starken Heimspiel gegen Union Berlin 11,2 Kilometer und in Wolfsburg 11,08 Kilometer laut der „kicker“-Daten. In der Gesamtlaufleistung in dieser Saison ist Losilla weiterhin einer der Besten in der Liga, rangiert auf Position drei mit 133,6 abgespulten Kilometern (Schnitt: 11,31 km). Nur Grischa Prömel von der TSG Hoffenheim (146,1 km) und Joshua Kimmich vom FC Bayern (136,24 km) waren bisher mehr unterwegs.

Das Problem des VfL in Wolfsburg war aber nicht allein die Laufleistung des Teams, es kamen viele Probleme hinzu. Vor allem fehlte die Geschlossenheit, wobei sich diese Schwäche teils mit fehlender läuferischer Qualität und Fokussierung, teils mit falschem Laufverhalten erklären lässt.

VfL-Trainer Letsch: Die Köpfe dürfen nicht nach unten gehen

„Wir haben unseren Plan nicht zu 100 Prozent durchgezogen“, sagte Letsch, und zwar von Beginn an nicht. „Wir hatten keinen Zugriff, das Feld wurde so zu groß. An den Beinen kann es nicht liegen. Warum haben wir es nicht geschafft? Das ist Herausforderung für uns alle. Natürlich komme ich da auch weiter.“ Wichtig, so Letsch sinngemäß, sei es, den Glauben an die eigene Kraft nicht zu verlieren im fremden Stadion. Auch und schon gar nicht beim BVB. „Es nutzt nichts, die Köpfe unten zu haben. Wir müssen positiv an die Sache herangehen und werden uns gut auf Dortmund vorbereiten.“

Personell gab es wie erwartet Entwarnung bei Jordi Osei-Tutu und Ivan Ordets, die am Dienstag leicht erkrankt pausiert hatten mit dem Mannschaftstraining. Am Mittwoch absolvierten sie wieder das komplette Programm. Ebenso wie U19-Talent und -Nationalspieler Mohammed Tolba, der wie schon so oft in dieser Saison bei den Profis mitwirkte. Beim BVB ausfallen werden Takuma Asano, Jacek Goralski und Erhan Masovic. Letzterer könnte beim Heimspiel gegen Mönchengladbach am Dienstag wieder dabei sein.