Bochum. Der VfL Bochum entlässt seinen Aufstiegstrainer Thomas Reis. Bei seinem Herzensklub hat er sehr viel bewegt und sehr viel erreicht.
Drei Jahre und sechs Tage war Thomas Reis Trainer des VfL Bochum. Am Montag stellte ihn der Verein nach sechs Niederlagen zum Saisonstart frei. Seine Erfolge kann Reis niemand nehmen. Und geht es nach den Kommentaren in den sozialen Medien, dann wären die meisten Fans mit ihm lieber weiter durch dick und dünn gegangen. Ein Kredit, den er sich verdient hat.
Als Thomas Reis am 6. September 2019 als Nachfolger von Robin Dutt vorgestellt wurde, standen ihm Stolz und Freude ins Gesicht geschrieben. Sein Traum, wie er es neulich noch einmal betont hat, war Realität: Reis wurde Cheftrainer eines Profiteams. Seines VfL Bochum. Von dem Verein, für den er als Spieler, Frauen-, Nachwuchs- und Co-Trainer bereits viele Jahre gearbeitet hatte. Vom Verein seiner langjährigen Wahlheimat, die für ihn längst Heimat ist.
Thomas Reis bildete beim VfL Bochum eine Einheit
Er fand eine inhomogene Truppe vor, die Hierarchien waren am Ende der Dutt-Zeit zerstört worden. Reis, zuvor U19-Trainer beim VfL Wolfsburg, schaffte es, eine neue Einheit zu formen. Nicht von jetzt auf gleich, aber Schritt für Schritt.
Nach der dritten Niederlage in der 2. Liga am Stück blies auch ihm Gegenwind ins Gesicht. Wurde er „durchbeleidigt“ am Zaun, wie er oft erzählt hat. Der Jugendtrainer, hieß es hier und dort, hat nicht das Zeug zum Profi-Coach. Bochum gewann mit 1:0 in Wiesbaden und nach einem 0:1 gegen Stuttgart mit 2:1 in Dresden, zwei Schlüsselsiege. Kurz darauf kam die Pandemie. Der Verein fürchtete wegen ausbleibender TV-Gelder auch wirtschaftlich um die Existenz.
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Sportlich drohte der Abstieg. Reis schaffte es in der Corona-Pause, die Kräfte zu bündeln. Der Aufstieg des VfL begann ausgerechnet in Stadien ohne Fans. Kritiker meinten, Bochum könne nur ohne Fans gewinnen. Reis und sein Team, zu dem ab 2020/21 federführend auch sein nun ebenfalls freigestellter Co-Trainer Markus Gellhaus gehörte, belehrten sie eines Besseren.
Dabei stellte sich Reis stets allen Freunden und Feinden, Fans, Medien, Verantwortlichen im Klub. Nach Siegen war das einfach. Nach Niederlagen nicht. Reis blieb stets bei sich, kam ehrlich und authentisch rüber. Seine Konsequenz zeichnete ihn aus.
Er legte viel Wert auf das Teamplay. Er scheute sich nicht, fußballerisch unumstrittene Spieler auf die Bank zu setzen, wenn ihm ihr Verhalten oder Einsatz im Training nicht passten.
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Jeder wusste, woran er war bei Reis. Die Basis für den Erfolg.
Intern lief nicht immer alles so reibungslos ab wie öffentlich wahrgenommen. Sein auslaufender Vertrag im Zweitliga-Meisterjahr wurde erst nach wochenlangen öffentlichen Debatten Anfang Februar 2021 verlängert. Da knirschte es zwischenzeitlich. Der Meister-Marsch überstrahlte aber alles.
Reis musste sich auch Kritik anhören, warum das Juwel Armel Bella Kotchap nicht unumstrittene Stammkraft war zu jeder Zeit. Disziplinlosigkeiten im Training aber strafte Reis konsequent ab. Letztlich führte er Bella Kotchap ebenso wie Maxim Leitsch zu Schlüsselspielern. Er bescherte dem Verein damit auch Rekord-Ablösesummen.
Reis stieg zum Helden der Fans auf. Er führte das Team, das er als Tabellensiebzehnter übernommen hatte, erst zum Klassenerhalt und in der Geisterspiel-Saison zum Meister in der 2. Liga. Elf Jahre Durststrecke waren Geschichte. Es war eine Erlösung für ganz Bochum.
Thomas Reis holt zwei Siege für die Geschichtsbücher des VfL Bochum
Der Triumphmarsch ging in der Bundesliga weiter. Nach schwierigem Start euphorisierte sich der VfL, stets und bis heute komplett gefeiert und unterstützt von den Fans, was vor der Reis-Zeit nicht der Fall war. Es glückten grandiose Siege wie gegen Hoffenheim, Frankfurt, Freiburg und im DFB-Pokal. Gegen die Bayern (4:2) und beim BVB (4:3). Zwei Siege für die Geschichtsbücher.
In diesem Sommer gab es den Umbruch auf allen Ebenen, wie man heute weiß. Leistungsträger verließen den Klub. Sebastian Schindzielorz, der verantwortliche Kaderplaner, kündigte bereits im Mai seinen zum Jahresende auslaufenden Vertrag, war fortan ein Manager auf Zeit. Am 1. September übernahm Patrick Fabian.
Reis gab und gibt sich stets als „bekennender Bochumer“, als VfL-er durch und durch. Man hatte den Eindruck, er könne sich in Bochum ein Denkmal bauen wie es etwa Christian Streich in Freiburg schaffte. Doch Reis ist eben auch extrem ehrgeizig. Er sah im Sommer wohl die Chance, in der Karriereleiter eine Stufe hochzuklettern und ahnte wohl zugleich, dass er die wunderbare Vorsaison mit seiner neuen Mannschaft nicht würde wiederholen können. Reis vermisste den Mut der Vereinsführung, etwas mehr Geld von den Transfererlösen zu reinvestieren. (Auch) in Elvis Rexhbecaj, seinen Wunschspieler.
Schalke 04 klopfte an. Reis wollte ausgerechnet zum Revier-Rivalen wechseln, der VfL legte sein Veto ein. Die Geschichte wurde vor zwei Wochen öffentlich, auch Details wurden bekannt. Warum und warum jetzt? Auch Reis machte eine unglückliche Figur in diesem Spiel mit vielen Verlierern.
Thomas Reis pochte auf eine Ausstiegsklausel beim VfL Bochum
Zunächst brüskierte er die Vereinsspitze um Hans-Peter Villis, indem er im Interview mit dieser Redaktion vorpreschte und erklärte, dass es „momentan“ keine Gespräche über eine Vertragsverlängerung beim VfL gebe. Es entstand der Eindruck, der Verein hätte sich gar nicht um ihn bemüht. Reis lagen Angebote vor, er pochte unter anderem auf eine Ausstiegsklausel. Ein paar Tage später musste er in einer Pressemitteilung erklären, dass es Angebote gab vom VfL.
Als die Schalke-Geschichte publik wurde, dementierte Reis Verhandlungen öffentlich. Ein Fehler, so sieht er es heute vermutlich auch selbst. Jedenfalls äußert er sich nicht mehr dazu. Dass er eine Woche deshalb im (medialen) Fokus stand, sei ihm nahe gegangen als Mensch, sagte er.
Reis ist geradeaus. Er kann auch stur, zumindest stolz sein. Reis ist aber auch erst in seinem zweiten Bundesliga-Jahr. Das erste war von Erfolg überstrahlt. Er lernt dazu, ohne sich verbiegen zu wollen.
Ein Kind von Traurigkeit war Reis selbst nie, auch als Spieler nicht. Er ist ein volksnaher Typ, der immer und für jeden Fan ansprechbar ist. Nach dem Training etwa. Er posiert für ein Foto, plaudert mit den Leuten. Einmal hat er einen Glückwunsch aufs Handy einer Frau gesprochen, einen Glückwunsch an dessen zukünftigen Ehemann.
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Als Trainer legt er weniger Wert auf technische Hilfsmittel – Stichwort: Laptop-Trainer – als auf bedingungslosen Einsatz und Typen, die vorangehen und die Klappe aufreißen. Da dürfen sie wie Manuel Riemann auch schon mal übers Ziel hinausschießen. Überhaupt ließ er die Mannschaft Differenzen gerne erstmal selbst klären. Reis ist kein Oberlehrer. Auch deshalb standen die (Führungs-) Spieler bis zuletzt hinter ihm.
In diesem Sommer also gab es lange schon interne Differenzen, bevor sie öffentlich wurden. Reis selbst trug seinen Anteil dazu bei. Er wird sicherlich auch künftig zu sich selbst stehen. Mit seiner Art und seinen Erfolgen, die den Fehlstart in dieser Saison deutlich überlagern, wird er auch einen neuen Klub finden. Vielleicht sogar nebenan.
Reis und der VfL Bochum sind in der normalen Fußball-Welt gelandet
Reis wird dem VfL Bochum weiterhin verbunden sein. Sicherlich nicht jedem Einzelnen, aber vielen Mitarbeiterinnen und Mitarbeitern, etlichen Spielern. Dem Klub.
In Bochum hat er sehr viel bewegt und sehr viel erreicht. Jetzt sah der Verein die Zeit für einen Wechsel gekommen. Und Bochum wie Reis sind endgültig gelandet in der ganz normalen Fußball-Welt, in der für Wunder und Denkmäler meistens kein Platz ist. Leider.