Bochum. Michael Eckardt begleitete jahrzehntelang den VfL Bochum als Redakteur der WAZ. In seiner Kolumne hat er eine klare Meinung zur Causa Reis/VfL.
Befindet sich diese Mannschaft jetzt tatsächlich auf dem Weg zu einer Einheit, in der man eng zusammenrückt und seine Kräfte bündelt, um es mit den in der Regel spieltechnisch überlegenen Gegnern aufzunehmen? Hat es etwa nur mal wieder üble Dresche von den Bayern gebraucht und nach allerlei interner Moserei eine deftige Aus- und Ansprache, um die vielen neuen und alten Spieler auf Tugenden einzuschwören, die den VfL Bochum in der vergangenen Spielzeit ausgezeichnet und zum so bestaunten wie souveränen Klassenerhalt geführt haben?
VfL Bochum in Freiburg stark verbessert
Man möchte es allzu gerne glauben nach dem unglücklichen 0:1 in Freiburg. In der ersten und in der letzten Viertelstunde dort erinnerte das Spiel der Bochumer nämlich tatsächlich sehr an die umjubelten Auftritte vor vier, fünf Monaten. Mutiges Pressing, ein deutlich verbessertes Zweikampfverhalten und hohes Tempo im Offensivspiel blieben jedoch leider unbelohnt.
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Es war im Breisgau schon zu erahnen, dass Startelf-Debütant Jacek Goralski, wenn er denn den Wettkampfrhythmus gefunden hat, der Mannschaft gut tun kann; ebenso wie ein gesunder und fitter Gerrit Holtmann, der sich gottlob offenbar auf dem aufsteigenden Ast befindet. Mittelfeld und Angriff könnten demnach im besten Fall bald eine ähnlich gute Rolle spielen wie in der ersten Saison nach dem Aufstieg.
Tempodefizit in der Abwehr wird beim VfL Bochum bleiben
In der Abwehr hingegen wird das Tempo-Defizit nach dem Weggang von Armel Bella Kotchap, der sich gerade beim FC Southampton trotz großer und teurer Konkurrenz zum Stammspieler zu entwickeln scheint, und Maxim Leitsch dauerhaft bleiben.
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Das ist eine bloße Feststellung, keine Kritik an Dominique Heintz, Ivan Ordets oder Erhan Masovic, die sicher ihr Bestes geben. Allerdings verändert sich mit ihnen schon ein wenig die Struktur des Spiels.
Mit Bella Kotchap und Leitsch gehörte es zum erfolgreichen VfL-Konzept, weit hinten herauszurücken und die Gegner zu langen Bällen zu zwingen, die zumeist problemlos von den schnellen Innenverteidigern verteidigt werden konnten. In Freiburg versuchte man das auch, aber eben nicht immer mit dem gewünschten Ergebnis, vor allem deshalb kam der Sportclub zu üppigen Chancen.
Und in Hoffenheim zogen sich die Bochumer Innenverteidiger so weit zurück, dass der Raum vor und knapp hinter der Strafraumlinie besonders in der zweiten Halbzeit relativ einfach zu bespielen war von den Hausherren. An der Abstimmung auf dem Rasen indes kann man arbeiten, indem man das Positionsspiel neu justiert und leicht verändert.
Vertrags-Verlängerung mit Reis wäre eine „Riesen-Überraschung“
Die stark gestörte Abstimmung jenseits des Spielfeldes wieder hinzubekommen, dürfte wesentlich schwieriger, wenn nicht unmöglich sein. Nach den Vorkommnissen der letzten Wochen wäre es gelinde gesagt eine Riesenüberraschung, würde Thomas Reis mit dem VfL in die nächste Spielzeit, egal in welcher Liga, gehen.
Menschen in Führungsetagen lassen sich nicht gerne mit öffentlichen Statements unter Druck setzen, sie lassen sich auch nicht gerne nachsagen, in einer herausragend wichtigen Personalie untätig gewesen zu sein. Und sie geben nur ungern ihre Prinzipien auf, zum Beispiel in Gehaltsfragen. Vielleicht lautet ja beim VfL ein ehernes Prinzip: Trainer und Sportvorstand dürfen nicht mehr verdienen als der teuerste Spieler.
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Auch eine frühere Trennung von Reis im Misserfolg-Fall ist denkbar
Wie geht es also weiter in der Causa Reis/VfL? Man hat sich vertagt, sagt man. Und was heißt das? Die Entscheidungsträger schauen sich an, ob die Mannschaft mit dem Trainer in den restlichen Vor-WM-Partien die Kurve kriegt und sich trotz des verhauenen Starts eine gute Chance erarbeitet, erneut den Klassenerhalt zu schaffen. In dem Fall wird man mit Reis die Saison beenden wollen. Punkt. Aus.
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Im Fall anhaltenden Misserfolgs, unter Umständen schon nach unbefriedigenden Ergebnissen gegen Bremen und auf Schalke, bliebe dagegen wohl nur der letzte Strohhalm, was im Profifußball immer nur eines bedeutet: vorzeitiger Austausch des federführenden Übungsleiters. Damit wäre Thomas Reis zwar frei für einen anderen Klub, sein im Moment nur oberflächlich angekratztes Image hätte aber etwas gelitten.
Fazit: Pesönliche Animositäten müssen beim VfL Bochum hinten anstehen
Fazit: Als Gewinner werden sich am Ende alle Beteiligten nur dann fühlen können, wenn sie die persönlichen Animositäten hinter sich lassen und in der aktuell ungemütlichen Situation an einem Strang ziehen. Nur dann besteht die Möglichkeit, der Konkurrenz weiterhin auf Augenhöhe zu begegnen und sich ungeachtet der Abschlusstabelle im nächsten Frühjahr mit Anstand und respektvoll voneinander zu verabschieden. Das hätten nicht zuletzt die VfL-Fans verdient, die bislang einen grandiosen, oder um im Wettkampf-Jargon zu bleiben, absolut erstligareifen Auftritt hingelegt haben.